Hürth, den 3.12.2015
An die Gemeinde 26340 ZETEL/ Herrn Bürgermeister Heiner Lauxtermann
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
heute las ich den Artikel von Hans Begerow in der Nordwest Zeitung „Zetel verweigert Denkmal für KZ-Opfer“. Die darin enthaltene Information, dass die Gemeinde Zetel ein Mahnmal für die 1943 deportierte und fast vollständig ermordete Familie Frank ablehnt und stattdessen auf eine Gedenktafel für die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft in der Gemeinde verweist, empört mich aufs Äußerte.
Ich habe mich in zwei Büchern mit der NS-Verfolgung von Sinti und Roma in Nordwestdeutschland auseinandergesetzt. Die Buchttitel habe ich Ihnen als Kopien beigelegt. Ihren Ausgang nahmen diese Forschungen in Bremen. In Bremen befand sich die Zentrale des Kripoleitstellengebiets, die u.a. auch für Oldenburg zuständig war. Im März 1943 wurde auf dem Bremer Schlachthof für kurze Zeit ein Lager eingerichtet, das der Kriminalpolizei als Internierungslager für die Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland diente. Auf dem Schlachthof (!) wurden die Sinti und Roma aus Bremen, aber auch aus Oldenburg und eben auch Zetel zu drei Transporten zusammengestellt, die dann Bremen in Richtung des Vernichtungslagers Auschwitz verließen. Der Schlachthof wurde gewählt, weil er direkt am Bahnhof lag. Auch die Familie Frank aus Zetel kam hierher und trat von hier aus ihren Weg in den Tod in Auschwitz an. Einige Mitglieder der Familie Mechau aus Oldenburg wurden von Dr. Karin Magnussen, einer Bremerin, für medizinische Experimente (sie forschte zu Augenfarben) missbraucht und von Mengele ermordet.
In Bremen steht seit 1995 auf dem ehemaligen Schlachthofgelände, von dem aus die Deportationen im März 1943 aus Nordwestdeutschland aus nach Auschwitz organisiert wurden, ein Mahnmal. Wie kann es sein, dass sich die Gemeinde Zetel dieser notwendigen Erinnerungsarbeit entziehen will, in dem sie sich dem Gedenken an eine Familie, die in der NS-Zeit zu den Bürgern der Gemeinde gehörte, verweigert? Wie kann es sein, dass die Gemeinde Zetel offenbar meint, mit einer sehr allgemein gehaltenen Erinnerungstafel, die unterschiedslos, zusammenhangslos und gesichtslos von „Opfern der Gewaltherrschaft“ spricht, ihrer Verantwortung, die sich aus unserer Geschichte ergibt, Genüge getan zu haben?
Ich fordere Sie auf, sich der Verantwortung zu stellen, die sich aus unserer Geschichte ergibt, so wie es schon viele Gemeinden vor Ihnen getan haben. Ich fordere Sie auf, durch die Nennung der Namen der Opfer dem Ziel der Nationalsozialisten, jede Spur dieser Menschen zu vernichten, entgegenzutreten. Dadurch, dass sich die Gemeinde weigert, diese Namen der Opfer zu nennen, tötet sie diese Menschen ein zweites Mal. Erst die Nennung der Namen entreißt sie dem Vergessen. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ (Talmud).
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans Hesse, Severinusstr. 18, 50354 Hürth / www.hans-hesse.de
Anmerkung der Redaktion: Hans Hesse ist Autor des Buches „Vom Schlachthof nach Auschwitz: Die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland“, das 1999 im Marbacher Tectum-Verlag erschien und auch das Schicksal der Zeteler Sinti dokumentiert. Der Brief kommentiert den Beschluss des Rats der Gemeinde Zetel von Ende 2015, eine Gedenktafel für die in Auschwitz ermordeten Mitglieder der Familie Frank abzulehnen. Hierüber berichten wir in unserem Beitrag „Zetel: Die in Auschwitz ermordete Sinti-Familie Frank“.