Bericht über das Jahr 2023

Das Jahr 2023 war für das GröschlerHaus Jever – Zentrum für jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region – von besonderer Bedeutung und voller Ereignisse.

Der Besuch von 55 Nachfahren von Juden aus Jever, welche den Holocaust überlebt hatten, war dabei sicherlich der Jahreshöhepunkt. Die Besuchswoche im April konnte auf der Basis der seit den 1980er Jahren gewachsenen, persönlichen Kontakte von Mitgliedern des Arbeitskreises mit den Holocaust-Überlebenden, deren Kindern und Enkeln stattfinden. Als Blaupause diente das Programm des  historischen Besuchs von 1984. Der Empfang der aus verschiedenen Erdteilen und Ländern angereisten Gäste durch Kreis und Stadt bot bewegende Redebeiträge und eine Ad-Hoc-Band, in der zwei  New Yorker Musiker mit Wurzeln in Jever (Stephen Josephs und Colin Pohl) und drei Jeveraner ambitionierte Songs spielten. Die öffentliche Abendveranstaltung mit den Gästen zum Thema „Biographies“ in der Aula des Mariengymnasiums war überfüllt. Viele Gäste standen außerdem im Unterricht als Zeitzeugen zur Verfügung.  Ein  von der „Enkelgeneration“  getragener Schabatt-Abend  im Evangelischen Gemeindehaus beschloss eine lebendige Besuchswoche, die viele neue persönliche Beziehungen knüpfte.

Veranstaltung „Biographies“ am 19. April 2023 in der Aula des Mariengymnasiums: Paulette Buchheim, eine Nachfahrin der jeverschen Familie Levy, stellt den Lebensweg ihrer Vorfahren und ihren Wohnort Boston vor. Außerdem auf den Foto Nachfahren der jüdischen Familien Weinstein und Hoffmann aus England, Biberfeld (Israel) und de Taube (New York)).
Foto: GröschlerHaus

Im Rahmen des Besuchs eröffnete das  GröschlerHaus die Dauerausstellung „Die jeverschen Juden und ihre Synagoge“.  Sie zeigt die Geschichte der Juden aus Jever in den Stationen Emanzipation, Verfolgung, Nachkriegszeit und kurz auch Gegenwart. In die Ausstellung integriert sind die ursprünglich an die Synagoge angrenzenden Gebäude von Mikwe und jüdischer Schule. Sie haben die den Abriss der 1938 zerstörten Synagoge überstanden, auf deren Grundstück sich das GröschlerHaus befindet. Die Ausstellung wurde von Hartmut Peters unter Mithilfe von Susanne Hoffmann erarbeitet und wird von Schulklassen und Touristen gut angenommen.  

Nach intensiven Vorarbeiten wurde am 3. Dezember eine virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Betrieb genommen. Sie lässt das jüdische Gotteshaus in 3D-Visualisierung  mittels VR-Brille und in 2D auf einem Monitor erleben, wurde von Reunion Media (Norden) aufwändig modelliert und stellt die bisher einzige Realzeit-Animation einer Synagoge in Norddeutschland dar.  Die Visualisierung informiert  an speziellen „Haltestellen“  des virtuellen Rundgangs über Grundlagen des Judentums wie z.B. Toraschrein oder Bima.

Innenraum der virtuell rekonstruierten Synagoge von Jever. Blick auf den Toraschrein (Mitte), die Bima (links) und die Frauenempore.
Foto: Reunion Media Norden

Der Arbeitskreis GröschlerHaus im Jeverländischen Altertums- und Heimatverein war an der Abfassung der Resolution „Solidarität mit Israel“ vom 12. Oktober des Netzwerks „Reise durch das jüdische Ostfriesland“ beteiligt. In ihr heißt es u.a.: „Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Das Existenzrecht Israels ist durch nichts zu relativieren.“

Trotz der umbaubedingten Schließung  des Hauses Anfang des Jahres haben 2023 rund 1.400 Personen ihren Weg in die neue Ausstellung und in die Veranstaltungen des GröschlerHauses gefunden. Die Steigerung um 70% zum Vorjahr ist auf den besonderen Effekt der Besuchswoche und auf das Abklingen der Corona-Folgen zurückzuführen. Zwar kommen wieder verstärkt Schulklassen, doch hat sich noch nicht überall die Existenz der didaktisch optimierten neuen Ausstellung herumgesprochen. Die Führungen erfolgen durch die Mitglieder des ehrenamtlichen Arbeitskreises GröschlerHaus.

Das GröschlerHaus bot im Jahr 2023  zehn öffentliche Veranstaltungen an, zum Jahresausklang am 29. Dezember einen Vortrag über die neu installierte virtuelle Synagoge. Einige weitere: Dr. Hans Hesse (Köln) schlug – in Kooperation mit dem Schlossmuseum Jever – mit „Widerstand der Sinti und Roma“ am 7. Dezember ein bisher fast unbekanntes Kapitel der NS-Zeit auf. Die jährliche Veranstaltung an der Gedenktafel für den Pogrom vom 9. November 1938 – zusammen mit der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit – fand 2023 den erheblichen Zuspruch von rund 150 Menschen. Gleichzeitig hielt ein Mitglied des Arbeitskreises in der Ehemaligen Synagoge von Neustadtgödens einen Vortrag über den Pogrom von 1938 in diesem Ort. Im Herbst fand erneut eine gut besuchte Führung über den jüdischen Friedhof in Schenum statt. Zusammen mit dem Kinofreunden Friesland präsentierte der Arbeitskreis am 5. April im ausverkauften LOK-Schuppen den ZDF-Film „Schüler erforschen die NS-Geschichte von Jever“ von 1981 mit anschließender Diskussion und einem spontanen Auftritt der Band Andrae/Bahlmann/Harjes.

Die Internetzeitschrift www.groeschlerhaus.eu – gleichzeitig auch Website des GröschlerHauses – bekam im Herbst ein neues, smartphonetaugliches Lay-out. Sie  erreichte die vor Corona übliche und in langjähriger Tendenz ansteigende Nutzerzahl. 48.000 Besucher riefen 84.000 mal  die Seite auf – eine stattliche Bilanz. Das GröschlerHaus beantwortete wie jedes Jahr eine Reihe von Anfragen aus dem In- und Ausland zu geschichtlichen und biografischen Fragen und stellte für verschiedene Buchpublikationen Abbildungen zur Verfügung.

Das Portal www.erinnerungsorte-friesland.de des Schloss-Museums ist mit der genannten Internetzeitschrift eng verbunden. Eine interaktive Landkarte der Erinnerungsorte in Friesland, rund 150 Informationsartikel sowie weitere Angebote zur Landesgeschichte stehen zur Verfügung. Wegen des großen Interesses an Fritz Levy bietet das GröschlerHaus außerdem die Website www.fritzlevy.de an und arbeitet mit dem Portal www.woistfritz.de von Ariane Litmeyer und Jan Charzinski zusammen. Das GröschlerHaus bekommt nach wie vor verlässliche Unterstützung durch den Landkreis Friesland, die Stadt Jever, die Heeren-Stiftung, das Schloss-Museum, den Jeverländischen Altertums- und Heimatverein, das Netzwerk der  Kooperationspartner sowie von vielen Förderern aus der Geschäftswelt, der Zivilgesellschaft und der Politik. Ohne sie könnte die Geschichtsarbeit, die Arbeit für die demokratische Gegenwart und Zukunft ist, ideell und materiell gar nicht aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Im September 2024 kann das GröschlerHaus auf zehn Jahre Erinnerungsarbeit zurückblicken und plant hierfür eine besondere Veranstaltung.

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