Änne Gröschler geb. Steinfeld

Änne Gröschler, Groningen 1948 (Sl. B. Löwenberg)

16. August 1888 Osnabrück – 23. September 1982 Groningen

Eltern: Bernhard Steinfeld (1858 – 1931), Friederike Steinfeld geb. Cohen (1863  – 1935)

Wohnort in Jever: Albanistraße 3 (Sparkassengebäude), ab 1933: Blaue Str. 1  

„Immer Anfang Januar vereinigten sich alle Nachbarn zum Püttbierfest. In einer befreundeten Wirtschaft gab es zu essen und Getränke. Nachts Punkt 12 standen draußen alle eng um die Wasserpumpe, die wunderbar bekränzt war. Es wurde gesungen, man hielt hübsche Vorträge.  1933 noch war mein Mann der Redner. Es war eine Harmonie zwischen Jude und Christ. – Mit einem Mal waren wir Juden aus dem Buch der Menschheit ausgestrichen. Die Armen, die wir unterstützt hatten, straften uns mit Missachtung. Mein Kolonialwarenhändler, der die Liebenswürdigkeit selbst gewesen war, hatte als erster das Schild „Juden haben keinen Zutritt!“. Der Eisenwarenhändler, der mit meinem Mann lange im Stadtrat gewesen war: „Ich kann Ihnen keine Ware verkaufen.“ Der früher beste Freund meines Sohnes sah fort, wenn ich ihm begegnete.“  ( Änne Gröschler: Aus dieser schweren Zeit. – Bremen 2020)

Änne Steinfeld aus Osnabrück heiratete 1914 Hermann Gröschler (1880 Jever – 1944 KZ Bergen-Belsen), der zusammen mit seinem Bruder Julius  (Jever 1884 – 1944 Auschwitz)  das Unternehmen „S. Gröschler KG“  an der Albanistraße leitete. Hermann Gröschler wurde 1923 Vorsteher der jüdischen Gemeinde, gehörte bis 1933 dem Stadtrat und dem Vorstand der städtischen Sparkasse an und bekleidete weitere Ehrenämter.

In ihrem 1944 entstandenen Bericht „Aus dieser schweren Zeit“ schildert Änne Gröschler minutiös den steilen Sturz von der hofierten Honoratioren-Gattin zu einer „Jüdin“  im nationalsozialistischen Jever und ihr weiteres Leben. Das Ehepaar brachte seine drei Kinder früh im Ausland unter, zögerte aber lange mit der eigenen Auswanderung aus sozialer Verantwortung. In der Pogromnacht wurden Hermann und Änne Gröschler und fast alle anderen jüdischen Einwohner Jevers in das Gerichtsgefängnis verschleppt. Während die Frauen nach einigen Stunden unter Bewachung nach Hause entlassen wurden, kamen die Männer am folgenden Tag (11.11.1938) in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin. Durch Vorsprachen bei der Gestapo in Wilhelmshaven drängte Änne Gröschler auf die Beendigung der KZ-Haft ihres Mannes. Er wurde mit Auflage, schnell auszuwandern und nichts von den KZ-Qualen zu erzählen, am 24.11.1938 entlassen.   

Anfang 1939 emigrierten die Gröschlers ins niederländische Groningen, wo die Tochter Käthe mit ihrem Ehemann, dem Allgemeinmediziner Dr. med. Alfred Löwenberg lebte.  

Nach der Okkupation durch NS-Deutschland 1940 gingen die Gröschlers 1942 in ein Versteck, wurden aber bald verraten und in das Durchgangslager Westerbork verschleppt.  Hier entgingen sie mehrfach nur knapp  den von dort ständig ausgehenden Deportationen in die Vernichtungslager Sobibor und Auschwitz-Birkenau.

Durch Glück und Vermittlung des in Palästina lebenden Bruders Fritz Steinfeld (1900 Osnabrück – 1950 Jerusalem) und es bei ihm untergekommenen Sohns Walter Gröschler (1922 Jever – 2017 Vancouver) wurde das Ehepaar Gröschler Anfang 1944  als sog. „Austauschjuden“ in das KZ Bergen-Belsen verlegt. Nach zwei Wochen starb dort Hermann Gröschler an der fehlenden medizinischen Versorgung. Mit dem „Transport 222“, der 222 dem Tod Geweihte gegen dieselbe Anzahl von Auslandsdeutschen in britischem Gewahrsam freigab, erreichte Änne Gröschler im Juli 1944 nach langer Bahnfahrt das rettende Palästina. Hier versuchte sie auf Anraten der Ärzte, sich die erlittenen Qualen und Ängste von der Seele zu schreiben.

Bis zu ihrem Tod 1982 lebte sie erneut in Groningen, Jever wollte sie nicht wieder sehen. Die Tochter Käthe Gröschler-Löwenberg hatte mit ihrem Mann Dr. med. Alfred Löwenberg in ihrem Groninger Versteck überlebt. 1984 besuchten sie mit ihrem Mann Jever, auch die beiden Geschwister aus England bzw. Kanada kamen hier zum ersten Mal seit fast 50 Jahren wieder zusammen.   

Der historisch und dokumentarisch einzigartige Überlebensbericht von Änne Gröschler wurde bisher dreimal in Deutschland und den USA in kommentierter Form veröffentlicht. Ausgaben: Lüers/Jever, 2017; Fuego/Bremen, 2020; Cherry Orchard/Boston, 2023.

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