11. Juni 1895 Ankum – 29. April 1955 Lima-Miraflores
Eltern: Victor Prag (1870 – 1941 Lima), Emilie Miriam Prag geb. Weinberg (1869 Hage – 1920 Delmenhorst
Wohnort in Jever: Gr. Burgstr. 19
„Ich, Sophie Prag, wurde am 11. Juni 1895 zu Ankum (Hannover) als Tochter des Kaufmanns Victor Prag und seiner Gemahlin Emilie geb. Weinberg geboren. Ich bin preußischer Staatangehörigkeit und jüdischen Glaubens. Nach der Volksschule und der Töchterschule zu Jever in Oldenburg bereitete ich mich privat vor und trat in die Obersekunda des humanistischen Gymnasiums in Jever ein, woselbst ich mir Ostern 1915 das Reifezeugnis erwarb. Dann widmete ich mich […] dem Studium der Medizin […].“ (Sophie Prag, in: Über einen Fall von Granatsplitterverletzung des Auges. Dissertation. – Heidelberg 1920)
Sophie Prag ist die erste Schülerin und Abiturientin in der Geschichte des auf das Jahr 1573 zurückgehenden Mariengymnasiums Jever und die erste Akademikerin und Ärztin der gesamten Region. Nach Abschluss des Lyceums Bleekerschule im Jahr 1911 holte sie privat den Lehrstoff mehrerer Jahre nach und trat 1912 in die Obersekunda des Gymnasiums ein.
Sie nahm – abgesehen von den Fächern Leibesübungen und Religion – am regulären Unterricht teil. Im August 1914 meldeten sich alle zehn Klassenkameraden der Oberprima als Freiwillige für den gerade begonnenen Weltkrieg und erhielten nach einer „Notprüfung“ das Abitur. Sophie Prag, die diese Prüfung ebenfalls bestand, legte als einziger Prüfling ihres Jahrgangs Ostern 1915 das reguläre Abitur ab. Als glänzende Schülerin war sie von der mündlichen Prüfung für das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife befreit.
Der Besuch des Gymnasiums war damals für Mädchen nicht mehr verboten, aber sehr ungewöhnlich. Eltern sahen für ihre Töchter die Ehe vor, keineswegs ein Studium. Sophie Prag hatte es schwer, den Vater von ihrem Berufswunsch Ärztin zu überzeugen. Sie schaffte das, indem sie den Landesrabbiner Dr. David Mannheimer in Oldenburg als Fürsprecher ihres Berufswunsches gewann.
Die Familie Prag zog 1903 von Ankum nach Jever, wo Victor Prag das Warenhaus „J.M. Valk & Söhne Nachf.“ in der Neuen Straße übernahm und später ein Konfektionsgeschäft in der Gr. Burgstraße leitete, wo die Familie auch wohnte.
Zum Sommersemester 1915 schrieb sich Sophie Prag an der Medizinischen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main ein. Nach der ärztlichen Vorprüfung 1917 wechselte sie an die Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Anschluss an die Ärztliche Staatsprüfung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1919 legte sie 1920 hier die Promotion ab. In Berlin-Neukölln ließ sich Dr. Sophie Prag anschließend zur Fachärztin für Kinderkrankheiten ausbilden. Nach Assistenzjahren in Stettin ließ sie sich Ende 1926 in Osnabrück als Kinderärztin nieder. In ihrer Wohnung mit Praxis in der Kreuzstraße 37 lebten außer ihr noch der verwitwete Vater und der Bruder Paul
Unmittelbar nach der Machtübernahme erteilten die Nationalsozialisten den jüdischen Ärzten Ende März 1933 durch Entzug der Kassenzulassungen das faktische Berufsverbot. Am 16. November 1933 bestieg Sophie Prag in Bremerhaven das Frachtschiff „Roland“ und emigrierte nach Peru. In Lima arbeitete sie zunächst in Krankenhäusern, wo sie es als hygienebewusste und alleinstehende „Gringa“ nicht leicht hatte, und dann in eigener Praxis. Sie ermöglichte durch ihre Bürgschaften ihrem verwitweten Vater und weiteren Familienangehörigen in den kommenden Jahren die Flucht aus NS-Deutschland nach Peru.
Der Bruder Paul Prag (1900 Ankum – 1969 Lima) besuchte wie sie, von 1910 bis 1915, das Mariengymnasium und erlernte nach der Mittleren Reife den Beruf des Textilhändlers. Nach der Emigration amtierte er lange als Präsident der Jüdischen Gemeinde von Lima. Die Gräber der Prags befinden sich dort auf dem jüdischen Friedhof. 2011 wurde das neu erbaute Unterstufengebäude des Gymnasiums und 2018 eine Straße in Jever nach Sophie Prag benannt.
Quellen / Auswahl:
- Maria von Borries: Euer Name lebt. Zur Geschichte der Juden in der Region Bersenbrück. – Bramsche: Rasch, 1997; S. 80 ff.
- Archiv Mariengymnasium Jever
- Interview mit Herbert Baruch, 1985; Archiv H. Peters)