- Einleitung
- Die Synagoge von 1802
- Der Bau der Synagoge von 1880 und ihr Status
- Beschreibung der Synagoge von 1880
- Zerstörungen an der Synagoge vor 1938
- Die Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938
- Die Synagogenbrand-Prozesse 1949 bis 1953
- Erinnerungsgeschichte des Grundstücks seit 1953
1: Einleitung
Das Grundstück Große Wasserpfortstraße 19 ist der zentrale Erinnerungsort an die Juden des Jeverlands und ihre Geschichte, die das deutsche, nationalsozialistische Terrorregime auszuradieren versuchte und die nicht auf diese Epoche und ihre gegenwärtige Vergangenheit beschränkt ist. Die konkreten Umstände und Orte des synagogalen Kultus verdeutlichen von den Anfängen um 1700 bis auf den heutigen Tag den Verlauf der gesamten jüdischen Geschichte Jevers und ihrer einzelnen Teilstrecken.
Dieser Artikel stellt den Erinnerungsort Synagogengrundstück Wasserpfortstraße dar und beleuchtet besonders den Bau der Synagoge im Jahre 1880 und ihre Zerstörung in der ersten Phase des jeverschen Novemberpogroms von 1938. Für die Opfer des Pogroms ist in Jever das Gerichtsgefängnis der Erinnerungsort. Dieser wird zusammen mit dem dort 1996 errichteten Mahnmal für die Ermordeten Juden an anderer Stelle dargestellt.
Zunächst lässt sich das Wachsen der jüdischen Gemeinde am Kampf für ihren Kultus ablesen: Der ersten Niederlassung eines Juden in Jever (1698) und den häufig unterdrückten Gottesdiensten in Privathäusern folgte 1779 die erste Synagoge – eine Betstube in einem Hinterhaus. Die erste selbsterbaute Synagoge von 1802 ersetzte die Gemeinde 1880 durch eine größere und erwarb 1910 – auf dem Höhepunkt ihrer Blüte – ein Haus für kulturelle Zwecke hinzu. Diese Orte des religiösen Lebens bildeten die hinter dem Wachstum der Gemeinde stehenden Prozesse der Duldung und Emanzipation der Juden sichtbar ab. Genau wie auch der antisemitische Hass der folgenden Jahre, die Vertreibung und Vernichtung der Juden ihre Flammenzeichen auf die 1938 niedergebrannte Synagoge setzten. Die Geschichte der Baulücke, der Neubau eines Geschäftshauses 1954 und zuletzt der Einzug des GröschlerHauses im Jahre 2014 markieren den moralischen Weg Jevers von der Verdrängung zur Erinnerung und den Umgang einer Stadt ohne Juden mit den tatsächlichen und metaphorischen Trümmern der Synagoge.
2: Die Synagoge von 1802
Nach Jahrzehnten der Unterdrückung ihres Kultus durch die Zerbster Obrigkeit konnten die Juden Jevers am 29. September 1779 ihre erste geduldete Synagoge einweihen, nachdem sie zuvor immer wieder nur heimliche, kurzfristig bestehende und in Privatwohnungen befindliche Versammlungsräume hatten benutzen können. Zur Miete befand sich die Synagoge bis ins Jahre 1802 in einem Hinterhause, einer umgebauten Scheune, und teilte sich den Platz darin mit zwei Wohnungen. Im Haupthaus an der Ecke Schlachtstraße / Lohne war während der russischen Zeit (von 1793 bis 1818 stand die Herrschaft Jever – mit Unterbrechung in napoleonischer Zeit – unter kaiserlich russischer Herrschaft) das Wirtshaus „St. Petersburg“.
Die Zahl der Juden in Jever und in der ländlichen Umgebung wuchs bis zur Jahrhundertwende deutlich, und zwar auf etwa 90 Personen. Diese Bevölkerungsentwicklung ließ es der jüdischen Gemeinde geboten erscheinen, die Betstube in der Vorstadt aufzugeben und eine eigene Synagoge zu erbauen. Sie erwarb im Jahre 1800 von der Witwe Büchner ein bisher unbebautes Grundstück an der heutigen Gr. Wasserpfortstraße. Die Lage in der Nähe der Wasserpforte, eines Durchlasses für die Wasser und Abwässer der Gossen im zu dieser Zeit noch bestehenden Festungswall, dürfte nicht die beste der Stadt gewesen sein. Die Landesadministratorin Friederike Auguste Sophie, Witwe des letzten Zerbster Fürsten, die für den Zarenthron die inzwischen russisch gewordene Herrschaft Jever verwaltete, genehmigte am 16. August 1800 den Neubau. Der Stadtrat teilte zugleich den Antragstellern, dem Schutzjuden Moses Louis, einem Pferdearzt, und den beiden anderen Gemeindevorstehern Levy Heinemann und Levi Moses mit, dass die bürgerlichen Lasten und Abgaben von dem Baugrundstück auch künftig an die Stadtkasse zu zahlen seien. Der Bau stellte für die Gemeinde einen finanziellen Kraftakt dar. Zur Finanzierung erhielt sie von der Regentin ein Darlehen von 1.000 Reichstalern, das in jährlichen Raten von 100 Reichstalern abzutragen war. Gleichzeitig nahm die Gemeinde eine Hypothek auf, die sie noch in den 1830er Jahren drückte, bis schließlich der Kaufmann Levy Koopmann Samuels durch die Schenkung von 500 Reichstalern und andere Gemeindemitglieder durch kleinere Beträge die Schuld tilgten.
Im Zuge der Bauarbeiten lud die Stadt die jüdischen Vorsteher vor, da sie angeblich die Ummauerung des Grundstücks zu hoch und zu weit heraus bauten. Man einigte sich darauf, dass die Mauer so bleiben könne, jedoch nicht weiter erhöht werden dürfe. Auch solle das Gebäude selbst nicht so weit an die Gosse herangerückt werden. Von dem 1880 abgebrochenen Bauwerk haben sich keine Abbildungen erhalten; man kann vielleicht von einem Typus ausgehen, wie er 1815 in Wittmund entstand. Die Stadtkarte von 1824 und Kataster weisen ein von der Front der anderen Häuser um ca. 2 Meter zurückgesetztes Gebäude von etwa 9 Metern Breite und 6 Metern Tiefe mit einer Fläche von rund 50 qm aus.
Ein Schlaglicht auf die gefährdete Situation der Juden zum Zeitpunkt der Einweihung der Synagoge werfen die „Jeverschen wöchentlichen Anzeigen und Nachrichten“. Alarmiert von den Gemeindevorstehern, ordnete die „Kaiserl. Regierung hieselbst“ im Vorfeld der Einweihung der Synagoge öffentlich an, dass jede Störung der Feierlichkeiten mit sofortiger Gefängnisstrafe und gegebenenfalls öffentlicher Züchtigung bestraft werden würde und betonte, dass die Synagoge mit „Landesherrlicher gnädigster Erlaubniss“ erbaut worden sei (8.1.1802) Wenig später erließ die Regierung: „Da dieser Tage in der Gegend der Juden Kirche ein starker Canonenschlag gefunden worden, welcher von übergesinnten Personen hingelegt worden; so wird hierdurch bekannt gemacht, dass derjenige welcher den oder die Täter angeben wird, so dass sie zur Verantwortung gezogen werden können, eine Belohnung von zehn Reichsthaler unter Verschweigung seines Namens haben soll.“ (11.1.1802) 15 Jahre nach dem auch auf Jever übergeschwappten und von der Obrigkeit seinerzeit niedergeschlagenen Pogrom von Neustadtgödens sah die Herrschaft sich offenbar in der Situation, antisemitischen Ausschreitungen gegen ihre abgabenträchtigen Schutzjuden vorzubeugen.
Die bei der Einweihung am 15. Januar 1802 gehaltenen Reden und Gesangstexte wurden anschließend in deutscher Sprache herausgegeben. Leider hat sich der Druck nicht erhalten. Für die Zusammenstellung war der aus Braunschweig stammende Lazarus Hirsch verantwortlich, der als Hauslehrer beim wohlhabenden Schutzjuden Koopmann Samuels tätig war und als Privatlehrer seine in Frankreich erworbenen Sprachkenntnisse allen Bürgen per Zeitungs-Annonce anbot.
3: Der Bau der Synagoge von 1880 und ihr Status
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem in der Gründerzeit, erlebte Jever einen deutlichen, aber nur ca. 70 Jahre dauernden wirtschaftlichen Aufschwung. Die Geestrandstadt wurde, gefördert durch den Ausbau der Chausseen und ganz besonders durch die Bahnanschlüsse ins Reich und ins Hinterland der Marsch, zu einem regionalen Vieh- und Pferdehandelszentrum mit wachsender Einwohnerzahl. Eine Industrialisierung, die nachhaltig gewirkt hätte, blieb wegen der unterentwickelten Produktionsfaktoren und der Randlage jedoch aus. In dieser direkt nach dem Ersten Weltkrieg beendeten Episode gewannen die schließlich rechtlich gleichgestellten Juden an Gewicht im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Leben. Deutlichster Ausdruck der von den Juden erzielten Emanzipation war ihre aktive Beteiligung an der Kommunalpolitik. Juden waren von 1849 bis 1933 mit nur einer kurzen Unterbrechung im Stadtrat vertreten, wirkten in städtischen Ausschüssen mit oder standen sogar einem Stadtbezirk vor. Der Viehhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde Joseph David Josephs (1835 – 1936) erhielt 1917 vom Oldenburger Großherzog für sein jahrzehntelanges Wirken im Stadtrat, für seine Arbeit als Leiter der Synagogengemeinde und im Landesgemeinderat das Ehrenkreuz 2. Klasse verliehen. Die Zahl der Juden – ihr relativer Anteil ging vor allem wegen des deutlichen Bevölkerungswachstums auf knapp 6.000 Einwohner zurück – stieg von 139 im Jahre 1850 auf 219 im Jahre 1880 und blieb in etwa auf diesem Niveau, bis sie sich dann im Laufe der 1920er Jahre bis zum Beginn der NS-Ära 1933 faktisch halbierte.
Beleg für den neuen Status der Juden wurden der wegen des Anwachsens der Gemeinde notwendig gewordene Neubau der Synagoge im Jahre 1880 und die Modalitäten der begleitenden Feierlichkeiten. Der Bürgermeister der Stadt Jever Heinrich von Harten legte den Grundstein, dem die Vertreter der israelitischen Gemeinde weitere Bausteine hinzufügten, der Großherzog gab einen Baukostenzuschuss von 3.000 Mark und entsandte seinen Kultusminister Friedrich Tappenbeck zum Weihegottesdienst am 25. November, an dem auch Christen aus Jever teilnahmen und der durch die Mitwirkung der jeverschen Stadtkapelle bereichert wurde.
Die Zeit 1879/81 gilt als Formierungsepoche des sogenannten modernen Antisemitismus, in der sich deutschnationale, antiliberale und antikapitalistische Einstellungen mit rassistischen und sozialdarwinistischen Motiven amalgamierten und in Teilen des Bürgertums reichsweit gesellschaftsfähig wurden. Den Synagogenbau in Jever begleitete der Berliner Antisemitismusstreit, bei dem Antisemiten wie Heinrich von Treitschke, Wilhelm Marr und Adolf Stoecker das Wort führten und die Berliner Antisemitenpetition die Rücknahme wesentlicher Gleichstellungsrechte für Juden verlangte. Die jeversche Mikrogeschichte wird durch den Kommentar der „Jeverländischen Nachrichten“ zur Einweihungsfeier sichtbar: „Angesichts der in einem großen Teile unseres deutschen Vaterlandes herrschenden Krankheit der „Judenhetze“ war es sehr erfreulich, dass Seine Königl. Hoheit unser Großherzog durch Entsendung seines Cultusministers seiner Teilnahme an seinen israelitischen Untertanen offen Ausdruck gab. Aber auch die hiesige christliche Bevölkerung, speciell auch die gebildeten Stände, haben durch ihre Teilnahme […] bewiesen, dass sie auch für ihre jüdischen Gemeindegenossen ein Herz haben und weit davon entfernt sind, sich von jener Seuche anstecken zu lassen, die dem deutschen Volke wahrlich nicht zur Ehre gereicht.“ (28.11.1880)
Am 17. Januar 1880 hatte der Synagogen-Gemeinderat seinen Vorsteher Joseph David Josephs beauftragt, zusammen mit dem Bauführer Kranz aus Oldenburg eine Reise nach Braunschweig und Hannover zu unternehmen, um die dortigen neuen Synagogen, 1875 bzw. 1870 eingeweiht, in Augenschein zu nehmen. Bereits vorher hatte sich Josephs mit Kranz wegen der Anfertigung einer Zeichnung und eines Kostenvoranschlags in Verbindung gesetzt.
Die gewählte Architektur setzte ein deutliches Zeichen des Selbstbewusstseins der jeverschen Judengemeinde, die in der gesamten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr Mitglieder zählte als die mehr als vierfach größere Residenzstadt Oldenburg. Man ließ sich vom orientalischen (auch byzantinisch genannten) Stil, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst in den Großstädten aufgekommen war, inspirieren und setzte damit und vor allem mit einer maurischen und mit Davidstern gekrönten Kuppel, wie sie z. B. die Berliner Neue Synagoge von 1866 zierte, ein bauliches Signal eigenständigen Judentums auch in einer Kleinstadt. Die an eine christlich geprägte Romanik angepasste Neue Synagoge Hannovers diente nicht als Vorbild, sondern eher die orientalisierende Braunschweiger Synagoge. Jevers neue Synagoge galt lange als die schönste und größte weit und breit und der Stolz darauf hallte noch 1984 nach, als die von den Nationalsozialisten vertriebenen Juden Jever besuchten.
Wenn man den Bestand an Synagogen auf der ostfriesischen Halbinsel zum Zeitpunkt 1880 sichtet, findet man entweder überkommene ländliche Zweckbauten oder Gebäude im älteren klassizistischen Rundbogenstil, aber kein solches einer christlichen Kirche vergleichbares eigenständiges Statement. Im Jahre 1885 erbaute dann die rund 306 Mitglieder umfassende jüdische Gemeinde der ostfriesischen 10.000-Einwohnerstadt Leer eine Synagoge, die dem von Jever gesetzten neuen Regional-Standard entsprach. Das ostfriesische Emden, in dem 1885 bei rund 14.500 Einwohnern 663 Juden lebten, baute erst 1910 die in die Jahre gekommene Synagoge von 1836 repräsentativ um. In der Oldenburger Landeshauptstadt wurde 1905 die Synagoge von 1855 im orientalisierenden Stil umgestaltet und erweitert. Am Amtssitz des auch für Jever zuständigen Landesrabbiners lebten zu diesem Zeitpunkt unter 28.500 Einwohnern nur 265 Juden. Landesrabbiner David Mannheimer (1863 – 1919) erwog um das Jahr 1900 herum für eine Zeit, den Amtssitz in das aus seiner Sicht religiös besser ausgestattete Jever zu verlegen. [Q 8]
Allerdings kam das stattliche Gebäude an der Gr. Wasserpfortstraße 19 wegen des engen Platzes nicht voll zur Geltung, was schon 1880 bedauert wurde. Es ist zu vermuten, dass man sich einen anderen Bauplatz nicht leisten konnte, wie auch die Finanzierung und der Abtrag der Hypothekenzinsen belastend war. Gleichzeitig erbaute sich die Gemeinde eine Räumlichkeit für den Religionsunterricht als Anbau an die Synagoge. Als die Gemeinde 1910 zur Vergrößerung der Religionsschule ein Nachbargrundstück samt kleinem Haus dazu erwarb und deshalb eine Umstrukturierung der Schuldenlasten vornahm, waren von den auf eine 70 Jahre laufende Tilgung berechneten Kapitalien noch 13.100 Mark abzutragen. Zum Zeitpunkt der Zerstörung war die Synagoge frei von Hypotheken. [Q 6]
4: Beschreibung der Synagoge von 1880
Trotz vieler Recherchen sind keine Bauzeichnungen gefunden worden. Obwohl die Synagoge in ihrer 58jährigen Geschichte sicherlich außen und innen dokumentiert wurde, sind lange nur wenige und immer zufällige Fotos mit dem Gebäude bekannt gewesen. Erst 2017 tauchte aus dem Nachlass von Abraham Pisarek (1901-1983) – bekannt geworden als Fotograf des Berliner Ensembles von Brecht – eine Architekturaufnahme aus ungefähr dem Jahr 1900 auf. Die bereits zerstörte Synagoge zeigen vier gezielte Fotos. Diese Totos, eine Bleistiftzeichnung von 1881 und die Beschreibungen im Urteil im Synagogenbrandprozess von 1950 sowie weitere Quellen sind hier zusammengefasst:
Auf dem bis auf die Risalite quadratischen Grundriss von fast exakt 12 Metern Seitenlänge erhob sich das mit Dach und Kuppel ca. 17 Meter hohe Gebäude aus roten Backsteinen bis ungefähr in die Höhe von ca. 12 Metern. Hier schloss sich ein von allen vier Seiten gleichmäßig und in einem Neigungswinkel von ca. 35 Grad zulaufendes Dach an, das eine sich über der Mitte befindliche ca. drei Meter hohe, maurische Kuppel mit sechs großen Glasfenstern und einem metallenen Davidstern an der Spitze krönte. Weitere, wesentlich kleinere Zierkuppeln leicht oberhalb der Dachecken waren bereits 20 Jahre später nicht mehr vorhanden. Auf dem Dachsims, und zwar in der Mitte der Vorderfront und deutlich über den Sims hinaufragend, waren zwei Tafeln mit hebräischen Schriftzeichen festgemauert – die zehn Gebote. Ein knapp zwei Meter breiter Vorgarten und eine ca. 1,40 Meter hohe aus Steinpfeilern, Eisengittern und einer Pforte bestehende Einfriedung trennte das so von der Front der übrigen Häuser zurückgesetzte Gebäude.
Zur Straße hin, auf der Nordseite, besaß die Synagoge in zwei übereinanderliegenden Reihen, die im Inneren dem Hauptraum und der Frauenempore entsprachen, neun Fenster, und zwar fünf große oben und jeweils genau darunter vier kleinere. Die untere Fensterreihe begann in etwa 1,75 Meter Höhe. Statt eines Fensters befand sich auf der rechten Seite der Vorderfront der repräsentative, mit einer Eisentür ausgestattete Haupteingang. Die mittleren drei Fenster beider Reihen waren durch einen Risalit von ca. 0,30 Meter hervorgehoben. Alle Fenster besaßen kleine, bunte und in Blei gefasste Scheiben. Schmucksimse aus Ziegelsteinen mit kreis- und blumenförmigen Motiven liefen über die dadurch feingegliederte Fassade und bestimmten zusammen mit den bunten Kirchenglasfenstern und dem Mittelrisalit wesentlich das schmuckvolle Äußere. Die Westfassade ist wahrscheinlich bis auf ein Fenster statt eines Eingangs identisch gewesen. Auf der Ostseite fiel die untere Fensterreihe weg, da sich im Inneren der Thora-Schrein befand. Auf der Südseite lag, dem Haupteingang gegenüber, der Fraueneingang. Da daneben das durch eine Brandmauer abgetrennte Schulgebäude angebaut war, gab es hier die untere Fensterreihe nicht, möglicherweise auch nicht die obere. Von der Wasserpfortstraße aus erfolgte der Zugang zur Schule durch den sog. Tönjes-Gang, der links von der Synagoge und rechts von einer Mauer, die den Gang von dem rechts liegenden Haus trennte, begrenzt war.
Die rechten Seitenmauern von Synagoge und Anbau lagen nicht in einer Fluchtlinie, vielmehr war der Anbau etwa 1,80 Meter nach links versetzt. In dem dadurch entstandenen rechten Winkel war ein mit einem Holzfenster versehener Windfang eingebaut, in den eine Tür von der der Straße abgewandten Seite führte. Vom Inneren des Windfangs zweigten der Fraueneingang in die Synagoge und der Eingang in die Schule ab. Der Schulanbau besaß in Richtung Mönchswarf drei große Glasfenster und in Richtung Tönjes-Gang eines. Vom Anbau konnte man nicht direkt in die Synagoge gelangen. Wie heute als gesichert gelten kann, befand sich im östlichen Teil des Anbaus eine Keller-Mikwe. Diese ist offenbar erst im Jahr 1893 dem Ensemble hinzugefügt worden. Das Gelände war auch durch einen schmalen Gang von der Mönchswarf zu erreichen, der durch eine Pforte in der rückwärtigen Umfriedungsmauer in den kleinen Hof der Synagoge führte.
Über das Innere der Synagoge ist fast nichts bekannt. Die verputzten Wände besaßen aufgemalte Motiven, der Raum selbst war schmuckvoll ausgestattet, soll aber nicht überladen gewesen sein. Es wirkten vor allem das Ausmaß des kuppelüberkrönten Raums und die zahlreichen und großen Kirchenglasfenster, durch die bunt von oben und den Seiten das Licht fiel.
Über den Vordereingang eingetreten, erreichte man nach ein oder zwei Stufen zunächst einen bis zum Fraueneingang reichenden Gang, über dem sich der Westteil der Empore befand und von dem aus die Treppe hinauf führte. Von diesem Gang aus war über eine Stufe und eine Pforte der Hauptraum mit den Holzbänken für die Männer zu erreichen. In Richtung Osten, an der Stirnseite, stand in der Mitte der vom Außen-Risalit gebildeten Nische der von hohen Säulen und einem verzierten Rundbogen überkrönte Thoraschrein. Das Pult für die Thora-Lesung (Almemor, Bima) soll sich, wie fast immer üblich, in der Raummitte befunden haben. An den Wänden, aber nicht an der Stirnseite, liefen in knapp vier Meter Höhe und knapp drei Meter Tiefe die aus Holz erbauten und von schlanken gusseisernen Säulen gestützten Emporen. Befragt, wie sie die Geschlechtertrennung empfunden habe, äußerte eine 1907 in Jever geborene Jüdin, dass sie die „Männerwelt“ immer im Blick und es im Winter wärmer als unten gehabt hätte. Die Synagoge besaß keine Orgel, es wurde das Horn geblasen. Seit 1914 war sie mit Zentralheizungskörpern ausgestattet.
5: Zerstörungen an der Synagoge vor 1938
Schon vor ihrer Niederbrennung 1938 war die Synagoge häufiges Ziel von antisemitischen Attacken, die die Polizei niemals aufklärte, wenn sie denn überhaupt ermittelte. Inwiefern die Synagoge deshalb vor dem Pogrom noch benutzbar war, ist ungeklärt. Neben Hakenkreuz-Schmierereien warfen „unbekannte Täter“ etwa ein halbes Dutzend Mal massiv Fensterscheiben ein, zu deren Reparatur auf eigene Kosten immer die jüdische Gemeinde gezwungen wurde, obwohl oder weil das zu ihrer weiteren Verarmung beitrug.
Als Beispiel sei hier ein grußloses und zynisches Schreiben des NS-Bürgermeisters und „alten Kämpfers“ Martin Folkerts zur Behebung einer Situation, die er selbst mit geschaffen hatte, an den „Vorstand der jüdischen Synagogen-Gemeinde z .Hd. des Herrn Gröschler“ wiedergegeben:
„Die Synagoge befindet sich, wie Ihnen bekannt ist, seit längerer Zeit in einem unansehnlichen Zustand. Die mit Holz und Pappe verkleideten, kaputten Fensterscheiben stören das schöne Gesamtbild unserer Stadt. Wenn mir auch bekannt ist, dass die Fensterscheiben nicht durch die mangelnde Unterhaltung des Gebäudes, sondern durch Steinwürfe von unbekannter Seite zerstört worden sind, dann entbindet dieser Umstand noch nicht den Besitzer (- genauso wie jeden anderen Hausbesitzer in der Stadt -), sein Haus wieder in einen ordentlichen Zustand zu versetzen. Ich erwarte somit, dass die jüdische Gemeinde alles daran setzen wird, um die Fensterscheiben in der Synagoge so schnell als möglich wieder in einen ordentlichen Zustand zu versetzen.“ (10.12.1936) [Q 7]
Folkerts ersuchte sogar das antisemitische Zentralorgan „Der Stürmer“ um Hilfe: „Wer die Fenster eingeworfen […] hat, ist mir nicht bekannt. Es können sowohl verantwortliche [sic!, gemeint ist „unverantwortliche“] Volksgenossen als auch natürlich die Juden selbst sein. Im augenblicklichen Zustand macht die Synagoge einen sehr schlechten Eindruck, verschandelt das Stadtbild und gibt den Juden Anlass zu fotografischen Aufnahmen und lässt bei manchen Teilen der Bevölkerung ein Mitleid für sie aufkommen.“ (4.5.1937) Vom dienstwegübergangenen Kreisleiter Hans Flügel leicht gerüffelt, erzwang Folkerts im Herbst 1937 eine notdürftige Wiederherstellung der Scheiben und das Anbringen von Klappen an den unteren Fenstern. [Q 7]
6: Die Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938
Im November 1938 lebten noch etwa 50 Menschen jüdischen Glaubens bzw. „volljüdischer“ Abstammung in Jever. In der Nacht und am frühen Morgen des 10. November zerstören NSDAP-Aktivisten die Synagoge durch Brandstiftung und die SA verschleppte anschließend mit einer Ausnahme alle erwachsenen Juden der Stadt in das Gerichtsgefängnis. Vierzehn Männer zwischen 16 und 70 Jahren wurden am folgenden Tag zusammen mit den anderen jüdischen Männern aus Oldenburg Stadt und Land, Wilhelmshaven und dem Kreis Wittmund von Oldenburg aus in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin verbracht. Ferner unternahm die SA am Tage des 10. November in allen jüdischen Wohnungen und Geschäftshäusern sog. Beschlagnahmeaktionen, die häufig wilden Plünderungen glichen und zum Teil in Gewalttätigkeiten übergingen. Am Abend plünderten Angehörige der SA und der Hitlerjugend sowie Zivilisten erneut in wohl sämtlichen jüdischen Wohnungen.
1984 gab der fast 90jährige Hans Flügel (1894 – 1991) aus Varel zu Protokoll, wie er die Niederbrennung der Synagoge in Jever in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hauptverantwortlich organisiert hatte. [Q 5] Von Beruf ursprünglich Lebensmittelkaufmann, wirkte Flügel von 1933 bis 1945 als Kreisleiter der NSDAP Friesland. Nach einer Zeit der Internierung durch die Briten hatte er bereits Ende 1951 seine schlussendlich 21 Monate Gefängnis „wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und Zerstörung eines Bauwerks“ (Urteil 1950) abgesessen, lebte und arbeitete weiterhin in Varel – „mit ruhigem Gewissen“, wie er betonte – und pflegte guten Kontakt zum dortigen Heimatverein.
Flügel machte nur äußerlich den Eindruck des netten Rentners von nebenan: Triumphierend holte er einen kurz zuvor bei einem Hamburger Antiquar persönlich erworbenen historischen Druck von Luthers antijudaistischer Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem Bücherschrank und zitierte den ersten der sieben vom Reformator gegebenen Ratschläge zur Bekämpfung der Juden: „Dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich.“ Die berüchtigte Stelle, die übrigens exakt seiner Tat und der anschließenden Beseitigung der Trümmer entsprach, fand er mit großer Sicherheit sofort. Er sei aber nie „richtiger Antisemit“ gewesen. Hiermit suchte er sich vom Judenhasser und fränkischen Gauleiter Julius Streicher („Der Stürmer“) und Teilen der Vareler SA abzugrenzen. Die „Endlösung der Judenfrage“ sei ihm „zu weit gegangen“, da hätte es auch andere „Methoden“ gegeben. Es hätte niemals fünf Millionen, „höchstens ein paar Hundertausend“ Opfer gegeben. Hitlers größter Fehler sei der zu frühe und zu schlecht vorbereitete Angriff aus „Russland“ gewesen. Er wäre, der Ärger war noch spürbar, als Gouverneur von Kasachstan nach dem „Endsieg“ im Gespräch gewesen. Im Übrigen wäre er nie „echter“ Nationalsozialist gewesen, sondern im Grunde immer Anhänger der DNVP. In Sachen Synagogenbrandstiftung war Flügel nur insofern glaubwürdig, als er nur das preisgab, was durch andere Quellen ohnehin nachgewiesen ist.
Der 9. November war für die NSDAP ein wichtiges Datum, alljährlich wurde im Münchener „Bürgerbräukeller“ in parteieigener Mythologisierung des missglückten Hitlerputsches von 1923 („Marsch auf die Feldherrenhalle“) gedacht. Kernpunkt war immer ein sogenannter Kameradschaftsabend, bei dem sich die „alten Kämpfer“ und die leitenden Parteifunktionäre um Hitler scharten. Zeitgleich fanden in allen deutschen Städten Feiern der örtlichen Parteigrößen statt, meist in Gaststätten. Flügel stieg gerade, von einem Rednereinsatz bei der Ortsgruppe Zetel zurückgekehrt, aus dem Auto, um noch zur Vareler Feier im „Schütting“zu stoßen, als ihn der Gastwirt aufgeregt ans Telefon winkte. An der Strippe war um ca. halb Zwölf der aus der Gauhauptstadt anrufende Kreisleiter von Oldenburg Wilhelm Engelbart, der Flügel als Gebietsverantwortlichen dazu aufforderte, die Synagogen in Varel und Jever in Brand stecken zu lassen. Engelbart war telefonisch vom Gauleiter Weser-Ems Carl Röver, der in München bei der Feier weilte, angewiesen worden, alle Kreisleiter des Gaus entsprechend anzuweisen. Röver seinerseits reagierte wie die anderen NSDAP-Führer auf eine Rede von Goebbels, die dieser kurz zuvor gehalten hatte. Sie gipfelte im Appell auf Vergeltung und Rache für den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath in Paris, der kurz zuvor an den Folgen des Attentats durch den polnischen Juden Herschel Grünspan gestorben war. Die versammelten Funktionäre sollten die Aktionen so organiseren, dass sie nach spontanem „Volkszorn“ aussähen und die Partei nach außen hin nicht als Verursacher erkennbar sei. Die unüberlegte Tat des 17jährigen Desperados war willkommener Anlass, die vielen immer noch auf Besserung der Situation hoffenden deutschen Juden zur Flucht zu zwingen, der Parteibasis Raum für Aggressionen zu geben und sich der jüdischen Vermögen zu bemächtigen. Innerhalb der Strukturen der SA erging etwas später von München aus eine weitere Anweisungskette, die die Verhaftungen und Plünderungen ab dem frühen Morgen nach sich zog.
Mancher war sich des Kulturbruchs, flächendeckend Gotteshäuser anzustecken, und der Straftat durchaus bewusst. Immerhin stand 1938 auf „menschengefährdende Brandstiftung“ bis zu 12 Jahre Zuchthaus. Auch Flügel – das vorläufige Ende der Kette Hitler-Goebbels-Röver-Engelbart – ist in diesem Fall abzunehmen, dass er sich zunächst etwas gesträubt haben will. Er leitete aber den „Gauleiterbefehl“ an die feiernden SA- und Parteigenossen weiter, die anschließend die Vareler Synagoge in Brand steckten. Die jeversche Angelegenheit konnte nicht allein fernmündlich auf den Weg gebracht werden. Gemäß dem Goebbelschen „Volkszorn“-Diktum wechselte Flügel von Parteiuniform in Zivil und fuhr dann zusammen mit seinem Stellvertreter Hahn im Dienstwagen nach Jever. Dort traf er die vorab informierte örtliche NSDAP-Spitze in der Gaststätte „Erb“ an. Flügel: „Die Partei in Jever war zunächst begreiflicherweise skeptisch und ich musste mit gewissem Nachdruck vorgehen. Fritz Husmann, auf ihn war immer Verlass, Theodor Wilken und Hans Förster sicherten mir die Durchsetzung des Befehls zu.“
Flügel fuhr zurück, nicht ohne sicherzustellen, der Polizei die geplante Brandstiftung anzuzeigen und die Feuerwehr anzufordern. [Weitere Angaben zum Ablauf der Brandstiftung nach Q 2] Der Polizist Erich Freudenthal hatte auf Anweisung von Gendarmerieführer Lindner „morgens bereits vor Ausbruch des Brandes am Ausgang der Wasserpfortstraße zur Burgstraße abgesperrt“ und die Freiwillige Feuerwehr Jever unter Kreisfeuerwehrführer Richard Borchers stand schon vor der Brandsirene Schlauch bei Fuß, um die angrenzenden Häuser zu schützen. Auch der Bürgermeister und der Amtshauptmann (Landrat) waren vorab informiert.
Deutlich schon nach Mitternacht stand die nächtliche Schar führender NS-Kader Jevers vor der Aufgabe, nach Hause zu kommen, um Zivil anzulegen, geeignete Brandbeschleuniger aufzutreiben und das Eindringen in das Gotteshaus zu bewerkstelligen. Mindestens einer der Beteiligten hatte stark getrunken. Fritz Husmann, wie Flügel 43 Jahre alt und von Beruf selbständiger Gemüsegärtner, war als altgedienter Ortgruppenleiter ein Vertrauter des Kreisleiters. Theodor Wilken, 34, arbeitete als Flugzeugschlosser auf dem Militärflugplatz Upjever, seit 1929 in der Partei, war er oberster SA-Mann Jevers und Mitglied des Stadtrats. Der Lehrer Hans Förster, 33, unterrichtete an der Stadtknabenschule und war oberster HJ-Führer der Stadt. Er zog sofort den erst 21jährigen Erich Janssen hinzu, seine rechte Hand bei der HJ und Leiter des HJ-Dienstbüros. Janssen arbeitete als technischer Angestellter auf dem Militärflugplatz Upjever. Gerne schloss sich auch Paul Liebenow, 37, an. Er blickte auf eine wechselhafte berufliche Vergangenheit zurück. Als „alter Kämpfer“ genoss er gewisse Vorrechte. 1938 leitete er die städtische Altmaterialsammelstelle, die den jüdischen Kaufleuten Gröschler weggenommen worden war.
Die folgenden Ausführungen über den eigentlichen Tathergang beruhen weitgehend allein auf dem Urteil im Synagogenbrandprozess von 1950. Die Täter hatten zuvor genug Zeit, sich eine Legende zu basteln, zumal keine Belastungszeugen antraten. So waren sich die Stadtgerüchte der 1970er Jahre einig, dass die Synagoge vor dem Brand geplündert worden sei. Liebenow gab am 16. Februar 1941, wie 2015 im Eingangsbuch des Schlossmuseums bemerkt wurde, hier „Judenakten und Synagogenschlüssel“ ab. Die Archivalien sind allerdings noch nicht gefunden worden..
Aus der Altmaterialsammelstelle und aus Husmanns Garage kamen Altöl, Benzin und Altpapier zusammen, was mit Husmanns Auto herangeschafft wurde. Das Anlegen eines Brandherdes im Inneren gestaltete sich schwierig, weil die Synagoge, vermutlich auf Grund der Anschläge in den Jahren zuvor, gut abgesichert war. Nach einigen Versuchen half dann aus dem HJ-Heim herangebrachtes Werkzeug, über den Windfang und den aufgebrochenen Fraueneingang zur Tat schreiten zu können. Die im Schulgebäude, das sich den Windfang mit dem Eingang teilte, zur Tatzeit lebende Rosalie Grünberg (1878 Aschendorf – 1941 ermordet in Riga-Rumbala) war bereits bei den ersten Einbruchsversuchen wach geworden, hatte sich verschanzt und schrie verzweifelt um Hilfe. Liebenow schleppte sie schließlich unter Anwendung grober Gewalt durch ein Fenster hinaus, während die anderen Täter den Brandherd präparierten.
„Der Brand flammte sofort mit einer großen Stichflamme auf und ergriff bald das gesamte Gebäude. […] die Kuppel drohte einzustürzen.“ Jetzt, es war inzwischen ca. 3 Uhr, griff die Feuerwehr ein: „Sie griff sofort mit mehreren Schlauchleitungen das Feuer in der Synagoge selbst an, musste sich aber, nachdem der Wind gedreht hatte, darauf beschränken, die umliegenden Häuser und den Anbau, dessen Dach von den Flammen bereits ergriffen war, vor dem Übergreifen zu schützen. Die Synagoge ist durch den Brand völlig zerstört worden. Der Anbau selbst ist bis auf Teile des Dachs nicht mit abgebrannt.“
Husmann fuhr nach Hause, zog Zivilkleidung aus und erneut Parteiuniform an und inspizierte nunmehr als NSDAP-Ortsgruppenleiter offiziell den Brand. An den folgenden Ausschreitungen war er wohl nicht beteiligt. Wilken zog ebenfalls wieder Uniform an, alarmierte die jeversche SA und trat anschließend als leitender Organisator der um 5 Uhr beginnenden Verschleppung und Ausplünderung der jüdischen Einwohner in Erscheinung. Janssen zog HJ-Uniform an, mischte sich unter die SA und gehörte zu einer Menschengruppe, die die Aktionen mit „Johlen und Schreien“ begleitete. Sein HJ-Vorgesetzter, Lehrer Förster, versah vermutlich zunächst seinen Unterricht an der Stadtknabenschule in Sichtweite der noch schwelenden Brandruine. Abends stand er hinter der Welle wilder Plünderungen in fast allen jüdischen Haushalten durch Hiltlerjungen und Ad-hoc-Gruppen von Zivilisten. Der anfangs schwer betrunkene Liebenow hielt sich die ganze Nacht und den ganzen Morgen am Tatort auf und trat dann nicht mehr als Täter in Erscheinung.
Am 26. November 1938 bewilligte der Vorstand der Landesbrandkasse zu Oldenburg unter Dr. Bernhard Willers (1881 – 1941) der Freiwilligen Feuerwehr Jever „für ihr umsichtiges Verhalten bei dem Brande der Synagoge in Jever [ …] eine Belohnung von 100 RM“. Außer Bürgermeister Folkerts hatte sich auch Amtshauptmann Hermann Ott in einem Schreiben an die Landesbrandkasse für die Feuerwehr verwendet: „Die Synagoge ist rings von Häusern, zum Teil auch alten Häusern, umgeben. Die Feuerlösch-Polizei in Jever hat an der Brandstätte ausgezeichnete Arbeit geleistet. Der Führer der Wehr, Kreisbrandmeister Borchers, ging in der Brandbekämpfung und namentlich in dem Schutz der Nachbarhäuser sehr umsichtig vor, wobei die Wehr in lobenswerter Weise alle Anordnungen schlagkräftig und mit Erfolg durchführte. Ich habe mich während des Brandes selber von der guten Arbeit der Wehr persönlich überzeugt und darf sagen, dass es dem planmäßigen Vorgehen der Wehr zu danken ist, dass die Nachbarhäuser von einem Feuerübergriff verschont blieben.“ [Q 6]
Nur generalstabsmäßige Planung und Glück hatten eine verheerende Feuersbrunst verhindert. Wie in anderen Orten geschehen, hätte auch in Jever mit Hinweis auf die enge Bebauung die Niederbrennung der Synagoge leicht abgelehnt werden können – und müssen, selbst wenn man fanatischer Antisemit war. Der an den beiden nebenliegenden und an den beiden auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Nachbarhäusern aufgetretene und durch die Brandkasse auszugleichende Schaden betrug insgesamt 783,90 RM. Davon entfielen 533 RM auf zwei wegen der Hitze geplatzte Schaufensterscheiben des Möbelhauses Walter Hildebrand direkt gegenüber der Synagoge. [Q 6]
Der als Regierungsrat beim Amtshauptmann (Landratsamt) tätige, spätere Herausgeber von „Hitlers Tischreden“ Dr. Henry Picker (1912 – 1988) schrieb am 5. Dezember 1938 an den Vorsteher der Synagogengemeinde einen Brief: Hermann Gröschler (1880 Jever – 1944 KZ Bergen-Belsen) solle innerhalb von 24 Stunden die „stehengebliebenen Umfassungwände“ der Ruine wegen „Einsturzgefahr“ beseitigen. „Falls Sie dieser Aufforderung nicht oder nicht ausreichend nachkommen, wird der Abbruch […] auf Kosten der Synagogengemeinde durchgeführt.“ [Q 6] Gröschler hatte wenige Tage zuvor aus dem KZ Sachsenhausen zurückkommen können, in das er nach dem Pogrom mit den anderen Juden verschleppt worden war. Von der Täterseite her das Opfer mit den Abbruchkosten zu belasten war das eine. Zum anderen waren jetzt die persönlichen und korporativen Konten von Juden gesperrt, um ihre Vermögenswerte staatlicherseits weitgehend auszuplündern.
Die Ruine wurde in der Zeit von Januar bis März 1939 obererdig abgebrochen und die Baulücke mit einem Bretterzaun geschlossen, der „im Interesse des Stadtbildes mit einem einfachen neutralen Farbabstrich versehen werden möchte.“ (JW 1.4.1939 ) Der Schulanbau, der nur am Dachstuhl nachhaltig beschädigt war, weil die Feuerwehr den Brand auf die Synagoge selbst konzentriert hatte, blieb im demolierten Status stehen.
Bereits am 17. Dezember 1938 meldete Bürgermeister Folkerts an Amtshauptmann Ott, dem er im Zusammenhang des Zwangsverkaufs von jüdischen Grundstücken Bericht zu erstatten hatte, dass die Synagoge von der israelitischen Kirchengemeinde an den Bauunternehmer L. Giesenberg verkauft worden sei. Der Vorgang wurde am 7. März 1939 rechtsgültig. Giesenberg hatte den Plan, an dieser Stelle ein Geschäftshaus zu errichten, was aber wegen des Krieges nicht realisiert wurde. An ihn ging zu derselben Zeit auch das Gemeindehaus Mönchswarf.
7: Die Synagogenbrand-Prozesse 1949 bis 1953
Bereits unmittelbar nach Kriegsende wurden die Haupttäter des Pogroms von den britischen Besatzungsbehörden interniert, weil sie fast alle dem Korps der politischen Leiter der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen angehörten. Die Internierung dauerte zwischen 10 und 31 Monaten. So waren Wilken vom 18.8.1945 bis 2.9.1947 und Husmann vom 19.5.1945 bis 9.10.1947 in Esterwegen, während Kreisleiter Flügel bereits am 6. Mai 1945, dem Tag der Befreiung Varels, festgenommen wurde und bis zum 9. Oktober 1947 in Esterwegen und Fallingbostel einsaß. Inzwischen war die deutsche Staatanwaltschaft in der Britischen Zone tätig geworden und es schloss sich gegebenenfalls eine Untersuchungshaft an, und zwar in der „Strafsache wegen Synagogenbrandstiftung und Verbrechens gegen die Menschlichkeit.“ Damit war allein das Anstecken der Synagoge gemeint. Die Hauptverhandlung gegen Flügel, Husmann, Janssen, Förster, Wilken und Liebenow fand am 31. März 1949 im Schwurgericht beim Landgericht Oldenburg statt. Das Urteil erging am 1. April 1949. Es lautete auf Freispruch. Das Gericht unter Leitung von Dr. Cramer hatte sich die Behauptung der Angeklagten, sie wären bei „Befehlsverweigerung“ in eine KZ gekommen, zu eigen gemacht und auf sog. Befehlsnotstand erkannt. Nur Liebenow, der sich aus eigenen Stücken zu den Tätern gesellt hatte, bekam eine Haftstrafe, die aber durch Internierung und Untersuchungshaft als verbüßt gelten sollte. [nach Q 1] Die Haupttäter des Pogroms waren also, bis auf Flügel, der noch anders belastet war, sofort in Freiheit. (Auch Flügel konnte sich dann ab dem 18. April 1949 seinen neuen Tätigkeiten als Obstgärtner und Hausbesitzer widmen. Aus seinen Verurteilungen – er hatte u.a. 1944 den Gastwirt Jürgens aus Varel denunziert, den daraufhin der „Volksgerichtshof“ zum Tode bestimmte – war unter Einrechnung von Teilen der Internierung- und Untersuchungshaft eine Reststrafe gebildet worden. Der Strafantritt verzögerte sich durch Revisions- und Begnadigungsanträge, bis er dann „noch ein paar Wochen nachsitzen“ musste, wie er sich ausdrückte.)
Allgemein empfand man den Freispruch als Sensation – im positiven wie im negativen Sinne. Der zuständige Oberstaatsanwalt legte gegen das Urteil Revision ein, der am 4. April 1950 auf Beschluss des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Köln stattgegeben wurde. Das Urteil wurde in vollem Umfange aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung nunmehr an das Schwurgericht Aurich zurückverwiesen. Der „Befehlsnotstand“ wurde verworfen, da die Brandstiftung gefahrlos mit Hinweis auf die enge Bausituation hätte abgelehnt werden können. Auch müssten Brandstiftung und Ausschreitungen wegen personeller Überschneidungen als Einheit verhandelt werden. [Q 1]
Aus praktischen oder auch erzieherischen Gründen fanden die Verhandlungen ab dem 6. Dezember 1950 im Amtsgerichtsgebäude Jever statt. Die Staatsanwaltschaft mit Staatsanwalt Bruno Loesdau hatte inzwischen weitere elf Verdächtige namhaft gemacht, so dass damit 17 Personen vor Gericht standen – vielleicht 30% der tatsächlich an den Ausschreitungen Beteiligten, die 1950 noch lebten. Am zweiten der zehn Verhandlungstage unternahm das Gericht unter Leitung von Richter Alex Pfeffer zusammen mit den Angeklagten und der Verteidigung eine Tatortbesichtigung. Man „stolperte“, wie sich eine Zeitzeugin erinnerte, dabei über die Grundmauern der abgetragenen Synagoge.
Zwar wurden etwa 30 Zeugen vernommen, doch entstanden klare Tatdetails nur dann, wenn die wenigen anwesenden Opfer des Pogroms (Erich und Ruth Levy, Erna Hirche, Helene Bruns) aussagten. Die meisten Belastungszeugen hatten die Nationalsozialisten ermordete, die anderen waren über die ganze Welt verstreut. Zum Teil waren die Zeugen auch selbst irgendwie an der Tat beteiligt, wie Gendarmerieführer Lindner, der die Juden am 11. November zusammen mit dem Polizisten Erich Freudenthal nach Oldenburg gebracht hatte, oder sie wussten sich nur noch an allgemeine Dinge zu erinnern oder rückten von Aussagen der Vorermittlungen ab. Geständnisse von Angeklagten kamen nicht vor, man belastete sich auch nicht gegenseitig. Sie behaupteten, der Brand sei von „Unbekannten“ per Zeitzünder gelegt worden. Grundsätzlich zog man sich auf einen „Befehl“ zurück. Man wollte sich als „Polizist“ gefühlt haben, während man selbst stahl oder bei Plünderungen von anderen zusah. [Quelle 2] Die Angeklagten präsentierten ein Heer von Zeugen ihres guten Leumunds, die nach dem Motto „Schwamm drüber“ dachten. Das „Mitmachen“ galt bei vielen – es gab auch Ausnahmen – offenbar als eine Art Kavaliersdelikt. Zwar herrschte ein großer Andrang von Besuchern, doch ging es wohl vor allem darum, zu Unrecht vor Gericht gezerrt gewähnten Angeklagten den Rücken zu stärken. Die Ausführungen des Richters in seiner mündlichen Urteilsbegründung verdeutlichen, dass der Prozess wegen des Pogroms selbst eine Verteidigung notwendig hatte: „Trotz aller örtlichen Unpopularität sei es auch heute notwendig, derartige Verfahren durchzuführen, da dem Urteil nur Tatbestände zugrunde lägen, die bereits seit Jahrhunderten in zivilisierten Ländern als strafbar gälten. Bei dem hier durchgeführten Verfahren handele es sich auch nicht etwa um einen politischen Prozess. Keiner der Angeklagten sei seiner politischen Vergangenheit halber verurteilt worden.“ (JW 27.12.1950)
Das Jeversche Wochenblatt berichtete über den Prozess mit äußerster Zurückhaltung. Während die ganze Stadt über ihn sprach und der mehrseitige Lokalteil sonst wenig ausließ, kam in die gedruckte Chronik der laufenden Ereignisse nichts über inhaltliche Details der Verbrechen. Die Meldungen waren insgesamt fast exakt so lang wie ein kurz nach dem Urteil veröffentlichter Leserbrief des Vorgängers von Husmann als Leiter der NSDAP-Ortsgruppe. Für seine verurteilten Kumpane forderte Wilhelm Imping Entschädigungen: „Auf der Seite der Juden doppelte und dreifache Entschädigung, auf der anderen Seite kein Wort davon.“ (JW 5. 1.1951) Die Internierung wurde gegen den Holocaust aufgerechnet und die Juden mit „Feinden“ gleichgesetzt, auf die man – Befehl ist Befehl – hätte schießen können. Die kriminelle Fürsprache, die auch der Zeitung eine Anzeige hätte einbringen müssen, wurde beifällig von Flügel zur Kenntnis genommen. Flügel ergänzte 1984 noch: „In Jever hatte ich in den Mittagspausen häufiger Gespräche mit einem Teil der Geschworenen, die für uns Angeklagte Sympathie empfanden. Sie sagten, ein Freispruch läge wohl nicht drin, es gäbe sonst Schwierigkeiten.“ Bei den Wahlen zum Landtag vom Mai 1951, also fünf Monate nach dem Prozess, erreichte die Sozialistische Reichspartei 11 Prozent in Niedersachsen. Im Jeverland waren es 22,1 Prozent. Die SRP wurde 1953 als Nachfolgeorganisation der NSDAP vom Bundesverfassungericht verboten.
Das am 23. Dezember 1950 ergangene Urteil bescherte fast allen Angeklagten freie Weihnachten: „Landgerichtsdirektor Pfeffer verkündete den Spruch, nach dem die Angeklagten Theodor Wilken und Hans Förster zu je zweieinhalb Jahren, der Angeklagte Friedrich Husmann zu einem Jahr und neun Monaten, der Angeklagte Paul Liebenow zu einem Jahr und vier Monaten und der Angeklagte Hans Flügel zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurden. […] Vier weitere Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen von einem Jahr bzw. zehn Monaten. Das Verfahren gegen sieben der Angeklagten wurde aufgrund des Straffreiheitsgesetzes eingestellt, und ein Angeklagter wurde freigesprochen. Die ausgesprochenen Freiheitsstrafen gelten fast ausnahmslos als durch die erlittene Internierungs- und Untersuchungshaft verbüßt.“ (JW 27.12.1950) Außer diesen vier Haupttätern wurden verurteilt (Altersangabe zum Tatzeitpunkt): der Schuhmacher Gerhard Dirks (42, ein Jahr Gefängnis), Erich Janssen (21, ein Jahr Gefängnis), der Molkereiarbeiter Robert Ludewig (35, zehn Monate Gefängnis), der Sattler Albrecht Vogel (29, ein Jahr Gefängnis). Freigesprochen wurde der Polizist Erich Freudenthal (46), obwohl er bei einigen Ausschreitungen anwesend war. Das erwähnte „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ führte bei Freiheitsstrafen über sechs Monaten und bis zu einem Jahr Haft zu Bewährungsstrafen.
Zu Einstellung des Verfahrens, aber nicht zu einem Freispruch, führten erkennbare Verurteilungen bis zu sechs Monaten. Hiervon profitierten der Tischler Hinrikus Becker (29), der Bürovorsteher Friedrich Brink (34), der Schuhhändler Richard Duneka (44), der Kaufmann Hermann Jenckel (31), der Fahrlehrer Wilhelm Otten (42), der Verwaltungsangestellte Karl Wellnitz (33) und der Lehrer Hans Zwitters (45).Die gerade gegründete Bundesrepublik Deutschland entsprach mit dieser ersten von weiteren noch folgenden Schlussstrich-Amnestien genau der populistischen „Schwamm-drüber-Mentalität“. Drei der Verurteilten akzeptierten das Urteil, die anderen erreichten am 4. November 1952 über den Bundesgerichtshof eine Revision. „Die Behauptung der Revision, dass der Angeklagte [Lehrer Hans Zwitters] sich an den Ausschreitungen lediglich beteiligt habe, um zu verhüten, dass andere Täter größeren Schaden in den Judenhäusern hervorriefen“, fand allerdings in Karlsruhe keine Beachtung. [Q 3] Das zuständige Landgericht Aurich setzte am 20. Oktober 1953 schließlich für sechs Verurteilte neue Strafzumessungen fest, die im Durchschnitt um 16,5 Prozent unter denen von 1950 lagen. Endgültig rechtskräftig erhielt z. B. Theodor Wilken zwei Jahre Gefängnis „wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Bauwerkzerstörung und wegen schweren Landfriedensbruches […] in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung […] und gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung.“ [Q 4]
8: Erinnerungsgeschichte des Grundstücks seit 1953
Am 9. Dezember 1953 ging das Grundstück in der Umsetzung eines Beschlusses der Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Osnabrück an die „Jewish Trust Corporation for Germany, London“ und am 9. Juli 1954 an den Klempnermeister Kurt Knorr, der hier umgehend das heutige Geschäfts- und Wohnhaus errichten ließ.
Nach einigem Widerstand überzeugte 1978 die ev. Kirchengemeinde Jever unter Pastor Volker Landig den Eigentümer, die Anbringung einer Gedenktafel an der Außenmauer zuzulassen, was dann am 9. November 1978 zusammen mit der Stadt Jever erfolgte. Seitdem finden auf der Straße vor der Tafel jährlich zu diesem Datum kurze Veranstaltungen im Gedenken an den Pogrom von 1938 statt. Im Jahr 2014 ist diese Tradition ergänzt worden, da sich jetzt auch jährlich im Inneren des Hauses eine Veranstaltung mit einem zum Anlass passenden Thema beschäftigen kann. Im Mai 2014 hatte der Zweckverband Schloss-Museum auf Initiative des Arbeitskreises „Juden in Jever“ (jetzt „Arbeitskreis GröschlerHaus“) die leer stehenden Geschäftsräume des Erdgeschosses angemietet. Und zwar für das „Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven“, das sich als außerschulischer Lernort begreift. Das im Aufbau befindliche Zentrum heißt seit dem 28. September 2014 „GröschlerHaus“, um an die beiden letzten Vorsteher der jüdischen Gemeinde zu erinnern. Zur feierlichen Namensgebung kamen zahlreiche Enkel, Urenkel und Ururenkel von Hermann und Julius Gröschler nach Jever.
Erst nach dem Einzug des GröschlerHauses wurden Reste der Bausubstanz im Bereich des ehemaligen Schulanbaus ausfindig gemacht, Vermessungen vorgenommen und provisorische Grundrisse gezeichnet. Während sich im Bereich der abgetragenen Synagoge kein Keller befand, wurden auf der Ostseite des ehemaligen Schulanbaus, direkt an der erhaltenen und gut sichtbaren Außengrundmauer der Synagoge, zwei Kellerräume aufgefunden, die in den 1960er Jahren der Aufnahme der Heizung gedient hatten. Experten halten die Räume unter einer Fußbodenklappe für den Ort einer früheren Mikwe.
Der Zugang erfolgte vom hinteren Teil des Schulraums über einen im Winkel von 90 Grad gedrehten Treppeneinstieg. Mangels finanzieller Mittel stehen die notwendigen Bodenerkundungen zum Nachweis des Tauchbeckens noch aus. Der Arbeitskreis GröschlerHaus hoffte, die Kellermikwe, mit einer begehbaren Glasplatte versehen, einmal museal präsentieren zu können. Dieses ist bei der Wiedereröffnung des GröschlerHauses nach dem Umbau von 2017/18 Realität geworden. Auf der südlichen Außenseite der Schule, die 1954 in diesem Teil übernommen wurde, hat sich ein originales Fenster erhalten, außerdem sind die Simse von zwei weiteren Fenstern sichtbar geblieben. (Auch das Urteil im Prozess von 1950 spricht von drei Fenstern an dieser Stelle.) Auf dem Innenhof war der Verlauf der westlichen Grundmauer der Synagoge anhand von Setzrissen im – jetzt durch Klinker ersetzten – Betonboden bis zum Umbau gut erkennbar. 2017/18 fanden sich im Boden Bruchstücke von Schieferplatten des Dachs, Simsteine der Fassade, verkohlten Balkenresten und anderes. Im Rahmen der Öffnungszeiten des GröschlerHauses oder nach vorheriger Vereinbarung können die geschilderten archäologischen Relikte gerne besichtigt werden.
von Hartmut Peters, Oktober 2015, ergänzt 2022
Benutzte Literatur und wichtige Quellen
Wenn auf Quellenhinweise verzichtet wurde, sind diese in dem unten aufgeführten Beitrag des Autors über die Synagogen nachgewiesen. Weitere wichtige Quellen sind durch [Q … ] markiert.
- Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland: Geschichte einer Baugattung im 19. und 20. Jahrhundert. 2 Bd.- Hamburg 1981
- Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. 2 Bd.- Göttingen 2005
- Peters, Hartmut: Der Pogrom vom 10./11. November 1938 in Jever und die Geschichte der jeverschen Synagogen. – In: Die Synagogen des Oldenburger Landes. Hrsg. v. Enno Meyer.- Oldenburg 1988, S. 41 – 121
- Peters, Hartmut: Die „Reichskristallnacht“ in Jever und die Geschichte der jeverschen Synagogen.- Jever 1992 [textidentisch mit dem obigen Beitrag]
- Peters, Hartmut (Hrsg.): Die Prozesse um die Jeversche „Reichskristallnacht“: Dokumentation.- Jever 1992 / Enthält aus dem Besitz von Hans Flügel
- [1] Urteil des 1. Strafsenats des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Köln vom 4. April 1950 gegen Wilken, Husmann, Förster u.a.
- [2] Urteil des Schwurgerichts beim Landgericht in Aurich vom 23. Dezember 1950 gegen Wilken, Husmann, Förster u.a. Auch in: Nds. Landesarchiv Oldenburg, Best. 140-4, Ar. 310/46
- [3] Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes von 4. November 1952 gegen Wilken, Husmann, Liebenow u.a.
- [4] Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 20. Oktober 1953 gegen Wilken, Husmann, Liebenow u.a.
- [5] Protokolle der Gespräche mit Hans Flügel, August 1984 bis Februar 1985, Archiv H. Peters; unveröffentlicht, z.T. abgedruckt in: Appelius, Stefan: Die Stunde Null, die keine war: Restauration und Remilitarisierung in Wilhelmshaven.- Hamburg 1986, S. 19 – 26
- [6] Nds. Landesarchiv Oldenburg, Dep. 25, Jev Akz. 39/1997, Nr. 311
- [7] Nds. Landesarchiv Oldenburg, Best. 262-4, 10856
- [8] Trepp, Leo: Die Oldenburger Judenschaft.- Oldenburg 1973, S. 275
- Schloss-Archiv Jever (Jeversches Wochenblatt)
- Bibliothek des Mariengymnasiums Jever (Jeversche wöchentliche Anzeigen und Nachrichten, Jg. 1802)
- Archiv H. Peters