Opfer des Porajmos aus Zetel
- Grete Frank geb. 10.9.1898 in Zuch, Pommern – gest. 18.6.1943 in Auschwitz
- Georg Frank geb. 20.7.1906 in Conradswalde, Westpr. – gest. 19.10. 1943 in Auschwitz
- Frieda Gertrud Frank geb. 10.3.1929 in Rosenberg, Westpr. – gest. 1943/1944 in Auschwitz
- Ella Lisbeth Frank geb. 3.7.1930 in Rosenberg, Westpr. – gest. 1943/1944 in Auschwitz
- Hans Georg Frank geb. 12.1.1933 in Deutsch-Eylau, Westpr. – gest. 1943/1944 in Auschwitz
- Herbert Otto Frank geb. 25.1.1934 in Rosenberg, Westpr. – gest. 1943/1944 in Auschwitz
- Anna Ursula Frank geb. 15.12.1935 in Leer – gest. 1943/1944 in Auschwitz
- Angela Frank geb. 18.10.1938 in Burlage, Landkreis Leer – gest. 28.3.1943 in Auschwitz
weitere Informationen:
- Die Sintezzas Margot Schwarz und Therese Hauer über ihre Deportation nach Auschwitz
- Margot Schwarz geb. Franz berichtet über ihre Verschleppung 1943 aus Friesland nach Auschwitz und das Schicksal ihrer Familie
- Zeitzeuge Otto Husmann berichtete in der NWZ (25.02.2017) über die deportierte Sinti-Familie Franz/Frank
- Tätowierte Häftlingsnummer beginnt mit „Z“ (14.12.2017, Jeversches Wochenblatt)
- „Ihr braucht keine Kissen mehr, wo ihr hinkommt“ (16.12.2017, Jeversches Wochenblatt)
- Verdrängte Verbrechen (17.12.2022, Rheiderland Zeitung)
- Stele erinnert an Schicksal der Familie Frank (17.03.2018, Friesländischer Bote)
Von Hartmut Peters
Ungefähr 500.000 Menschen aus Deutschland, Österreich und aus den von den Nationalsozialisten okkupierten Gebieten Europas wurden Opfer des nationalsozialistischen Völkermords an den europäischen Sinti und Roma. Dieser Genozid stand lange im Schatten der Shoa, wie der Völkermord an den Juden Europas auf Hebräisch genannt wird, und heißt auf Romanes Porajmos.
Nach einer ganzen Reihe von unterdrückerischen Maßnahmen bis hin zur Verschleppung in Konzentrationlager, die zum Teil schon vor 1933 bestehende staatliche Diskriminierungen fortführten, verfügte am 8. Dezember 1938 der Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, die vollständige polizeiliche Erfassung aller Sinti und Roma in NS-Deutschland. Im Februar 1939 füllten in Bremen und im Land Oldenburg die Ortspolizeistellen auf Anweisung der Kriminalleitstelle Bremen die entsprechenden Fragebögen aus. Kinder noch ohne eigene Ausweispapiere wurden erkennungsdienstlich behandelt. Das Ziel war die „restlose Erfassung der Zigeuner“ und auch der Personen, „die vermutlich von Zigeunern abstammen oder bei der Bevölkerung als Zigeuner gelten.“ (LA OL, Best. 231-2A, Nr. 132; zit. n. Hesse, 239) Die Maßnahme traf sowohl die Sinti mit festem Wohnsitz als auch die Handels- oder Schaustellerfamilien, deren Reiserouten ebenfalls zu dokumentieren waren. Im Oktober 1939 folgte dann die sog. „Festsetzung“, nach der die Sinti ihre Wohnort- bzw. Meldegemeinde bei Strafandrohung nicht mehr verlassen durften, gleichzeitig jegliche berufliche Reisetätigkeit verboten wurde und eine umfassende Zählung erfolgte.
Die Familie Georg und Grete (Margaretha) Frank war nach dem Kriegsbeginn im September 1939 von Wilhelmshaven nach Zetel-Bohlenberge in der damaligen Gemeinde Friesische Wehde umgezogen, weil die Marinestadt von englischen Bombern bedroht wurde. Hier wurde sie im Oktober 1939 „festgesetzt“, am 8. März 1943 verhaftet und anschließend in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Alle Mitglieder der ursprünglich aus dem Westpreußischen stammenden und 1935 nach Ostfriesland gekommenen Familie besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit und waren katholischer Konfession. Die beiden jüngsten Kinder wurden 1935 und 1938 in Leer bzw. Burlage bei Leer geboren. In Meldekarteien wird Georg Frank „Schausteller“ und „Artist“ genannt (z.B. Gemeindearchiv Zetel; zit. n. Hesse 287) Im Sommerhalbjahr ging die Familie von Leer aus auf Reise und zeitweilig hielten sich die Franks auch in Jever auf. Am 16. September 1935 schrieb das „Jeversche Wochenblatt“ über sich in Jever kurzfristig aufhaltende Sinti: „Das Zigeunervolk hat es bisher immer verstanden, jeder Arbeit aus dem Wege zu gehen. Man möge es dahin verfrachten, wo keine Arbeit mehr nötig ist.“ Es ist ungewiss, aber auch unwichtig, ob sich diese mörderische Hasstirade konkret auf die Franks bezog.
Bei den Auftritten der Schaustellerfamilie wurde je nach Bodenverhältnissen eine Umzäunung in einem Kreis oder einem Viereck errichtet, die aus einem langen, ca. 60 cm hohen Leintuch und Holzpfosten zum Befestigen bestand. Die Farben des Tuchs waren Rot und Gelb. Darin befand sich die Manege, der Boden der Auftrittsszone war nicht gesondert ausgelegt. Ein Zirkuszelt war nicht im Besitz. Georg Frank arbeitete unter anderem mit Gewichten, die er z.B. in die Höhe warf und wieder auffing. Die Töchter machten Akrobatik, auch mit ihrem Vater zusammen. Nach der Vorstellung wurde Geld eingesammelt. Die Franks traten nicht nur im Freien, sondern auch als Attraktion in Gaststätten auf. Wenn sie neu in einen Ort kamen, machten sie, in mündlicher Form, auch an Schulen Reklame, z.B. über Auftritte am Wochenende. Grete Frank versorgte den Haushalt in den beiden Wohnwagen und kümmerte sich um das leibliche Wohl der Familie. Im Dezember 1938 zog der Familienverband Frank, zu dem auch weitere Sinti gehörten, von Leer, Stellplatz Heisfelder Staße, nach Wilhelmshaven um, wo er beim Schützenhof den Stellplatz hatte. Wilhelmshaven und das unmittelbare Umland war auf Grund der nationalsozialistischen Kriegsrüstung eine Region mit sehr stark ansteigender Einwohnerzahl und Nachfrage, die sich für eine Artistenfamilie als neue Ausgangsbastion anbot.
Schon vor der eigentlichen „Festsetzung“ im Oktober 1939 hatten die zunehmenden sozialen und staatlichen Repressionen gegen die Sinti diese zunehmend in die Sesshaftigkeit und damit in eine größere staatliche Verfügbarkeit gepresst. Gleichfalls wurde hiermit die öffentliche Wahrnehmung dieser sehr kleinen Minderheit verringert. Georg Frank arbeitete nach der „Festsetzung“ seiner Familie im Oktober 1939, das ein faktisches Berufsverbot bedeutete, in einer Bohlenberger Kiesgrube, seine Frau in einer Gärtnerei, der älteste Sohn Anton als Knecht bei einem Bauern, wo er auch wohnte, und die Tochter Margot in einer Vareler Schuhfabrik. Die schulpflichtigen Kinder besuchten die Dorfschule, solange das Sintis erlaubt war. Das einzige Vermögen bestand aus zwei Wohnwagen, die auf dem Hofgelände des Landwirts Johann Haschen in Bohlenberge an der Horster Straße, heutige Straßennummer 39, standen. Zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Kriegsbeginn wurde Georg Frank zur Wehrmacht eingezogen. Er soll in Frankreich eingesetzt gewesen sein.
Der sich mehr und mehr ausprägende Wille der nationalsozialistischen Machthaber, die „Zigeuner“ zu vernichten, widersprach dem Kern der eigenen „Rassenlehre“ von der angeblichen Überlegenheit der „arischen Rasse“. Denn die Sprache der Sinti und Roma führt nachweislich auf eine indo-germanische Sanskrit-Variante im „kernarischen“ Siedlungsgebiet Indien zurück. Der nationalsozialistische Rassismus hatte zunächst Anpassungsschwierigkeiten, die als bloß absurd zu kennzeichnen den auch in der schließlich erfolgreich zurechtgebogenen Theorie begründeten Massenmord verharmlosen würde. Die NS-Chefrassisten konnten hilfreicherweise auf jahrhundertelange Vorbehalte und Diskriminierungen, die auch heute längst nicht vollständig abgebaut sind, zurückgreifen und erfassungstechnische Vorarbeiten staatlicher Stellen aus der Weimarer Demokratie in ihr Wahnsystem integrieren. Als Folge dieser – hier nur skizzierten – Debatte unter Rassisten wurden jetzt alle „Zigeuner“ im Reichsgebiet von der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ (RHF) in Berlin in einem „Zigeunersippenarchiv“ erfasst und individuell begutachtet. Die „Gutachterliche Äußerung Nr. 15 341“ lautete: „Auf Grund der Unterlagen, die sich in dem Zigeunersippenarchiv befinden, hat nach den bisher durchgeführten rassenkundlichen Sippenuntersuchungen Frank, Georg […] als Zigeunermischling (-) zu gelten.“ (zit. n. Hesse, 266 f.) Für diese Einstufung zeichnete Dr. Robert Ritter (1901 – 1951), der Leiter der RHF und hauptverantwortliche Vordenker und Mittäter des Porajmos, verantwortlich. Ritter unterschied nicht weniger als 28 [!] Klassifikationen von „Mischlingen“, die nach seiner Auffassung etwa 90 Prozent der Gesamtgruppe „Zigeuner“ ausmachten. „Untersuchungen“ von Georg Frank fanden in den Gesundheitsämtern von Leer (1936) und vermutlich Jever (1942) statt. In der Logik des Chef-Rassehygienikers Ritter konnten natürlich nicht die sog. „stammechten“ (d.h. „arischen“) Zigeuner das (angebliche) Problem sein: Er konstruierte ersatzweise eine im Laufe der „Wanderungen“ seit Indien sich herausgebildet habende soziale Kaste von „Mischlingen“. Diese wurde, egal was Wissenschaft und Wirklichkeit hergab, unter Rückgriff auf bestehende Vorurteile als „kriminell“, „asozial“ und „gemeinschaftsfremd“ stigmatisiert, um sie dem NS-Terrorapparat zuführen zu können. In der Wirklichkeit der Deportationen und der Vernichtung ab 1941/43 spielten Unterscheidungen zwischen „Stammechten“ und „Mischlingen“ dann keine wirkliche Rolle mehr.
Auf der Basis des sog. „Auschwitz-Erlasses“ Himmlers vom 16. Dezember 1942 verhaftete am 8. März 1943 die Kriminalpolizei in Zetel-Bohlenberge die hier nunmehr seit dreieinhalb Jahren lebende Grete Frank und ihre sechs Kinder Frieda, Ella, Hans, Herbert, Anna und Angela im Alter zwischen 13 und vier Jahren. Sie wurden von Bremen aus zusammen mit den anderen Verschleppten aus dem Bereich Weser-Ems nach Auschwitz deportiert. Genauso widerfuhr es der Tochter Margot Franz (geb. 1924 in Berlin) aus der ersten Lebenspartnerschaft von Grete Frank, die in einer Vareler Schuhfabrik arbeitete und in ihrem Zimmer in Varel ebenfalls am 8. März 1943 verhaftet wurde. Ihr Bruder Anton Franz (geb. 1927 in Wildenbruch), ebenfalls aus erster Lebenspartnerschaft, befand sich zum Zeitpunkt des Zugriffs in einer Strafhaft. Der Sechszehnjährige hatte kurz zuvor in der Nachbarschaft aus Hunger einen Schinken gestohlen, den er ohne Wissen der Familie im unter dem Wohnwagen lagernden Brennholz versteckt hatte. Die Deportationswaggons wurden auf dem Gelände des Bremer Schlachthofs (heute Kulturzentrum „Schlachthof“), nahe dem Bremer Hauptbahnhof, zusammengestellt und zumindest zum Teil planmäßigen Zügen angehängt. Auf dem Schlachthofgelände trafen die Mutter und ihre – mit Margot – jetzt sieben Kinder auf den Familienvater Georg Frank, der als Sinto aus der Wehrmacht entlassen worden war und noch Militär-Drillich anhatte.
Die Deportationszüge verließen Bremen frühmorgens über das Gleis des ehemaligen Auswandererbahnhofs an der Rückfront des Lloyd-Gebäudes, ganz in der Nähe des heutigen Gleis 10 des Bremer Hauptbahnhofs (Hesse 285). Insgesamt drei Deportationen sind bekannt, die erste startete bereits am 9. März, die letzte erreichte Auschwitz am 14. März 1943. Es ist wahrscheinlich, dass die Franks – mit Ausnahme von Anton Franz, der erst einige Zeit später in Auschwitz mit einer höheren „Z“-Nummer tätowiert wurde – mit diesem Transport dorthin gekommen sind. Die Wagen und der Besitz verblieben in Bohlenberge und wurden teilweise nach einigen Monaten öffentlich versteigert. Die Nachkommen haben dafür niemals eine Entschädigung erhalten.
Die Familienmitglieder überlebten anschließend unterschiedlich lange im sogenannten „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau, in das die Nationalsozialisten rund 22.600 Sinti und Roma aus dem sogen. „Altreich“ (Deutschland und Österreich) verschleppten. In den Lagerbaracken, die anfangs keine sanitären Anlagen besaßen, in unmittelbarer Nähe der späteren Selektionsrampe und der Gaskammern/Krematorien 2 und 3 starben die Menschen an planmäßiger Mangelernährung, Krankheiten und Seuchen und faktisch ohne medizinische Versorgung. Oder sie wurden Opfer von Medizinverbrechen, wie sie Josef Mengele, der sein „Versuchslabor“ im „Zigeunerlager“ eingerichtet hatte, beging. Als sich im Sommer 1944 die SS anschickte, die noch lebenden Einwohner des Lagers in den Gaskammern zu ermorden, vergruben zwei Häftlinge neben einer Baracke Namensverzeichnisse von Insassen. Diese Dokumente konnten nach der Befreiung geborgen werden. Sie sind fast die einzigen Hinweise auf das Schicksal der Mitglieder der Familie Frank / Franz in Auschwitz-Birkenau.
Margot und Anton Franz sowie außerdem ihr Bruder Erwin (geb. 1925 in Rosenberg, Westpr.), der bei einem Onkel in der Nähe von Danzig lebte und von dort deportiert wurde, überlebten das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deshalb, weil sie vor der systematischen Ermordung der zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Sinti im Jahre 1944 als „brauchbare“ Arbeitssklaven der SS an verschiedene mit dem NS-Staat verbündete Unternehmen bzw. Konzentrationslager überstellt worden waren – und dank glücklicher Umstände. Über Erwin ist dokumentiert, dass er vor seiner „Verlegung“ nach Buchenwald in Auschwitz Opfer der kriminellen Bakterien-Experimente des berüchtigten SS-Arztes Dr. Mengele wurde.
Die von der SS in Auschwitz vergebenen Häftlingsnummern begannen, getrennt nach Geschlechtern, mit Vater bzw. Mutter und ab dann aufwärts nach Alter. Sie wurden auf das Handgelenk tätowiert. Grete Frank bekam die Nummer Z-3482 („Z“ für „Zigeuner“) und Angela, die jüngste ihrer Töchter, Z-3486. Wer vor der abschließenden Mordaktion von 1944 starb, hinterließ unter Umständen Spuren in einem der Sterbebücher des Standesamts Auschwitz, die nur bruchstückhaft erhalten sind. Angela Frank starb am 28. März 1943 wenige Tage nach ihrer Deportation angeblich an „Angina phlegmonosa“, einer schweren Mandelentzündung, bzw. an deren Nichtbehandlung. Sie wurde keine fünf Jahre alt. Es ist extrem zweifelhaft, ob die angebenen Diagnosen überhaupt zutreffen, denn die Todesbescheinigungen des an die Mordfabrik angeliederten Standesamts entstanden im Fließbandverfahren und hatten rechtlich die Funktion, auf vorhandene Vermögenswerte Zugriff zu bekommen. Der Tod der Mutter wird für den 18. Juni 1943 verzeichnet. Während Tochter Margot ihre Ermordung durch die Gewehrkolben der SS-Wachmannschaft protokolliert, weil die Mutter wegen akuter Krankheit nicht am Zählappell teilnehmen konnte, nennt das NS-Dokument Nierenversagen als Todesursache. Georg Frank starb am 19. Oktober 1943. „Behandelnder“ Arzt des Ehepaars war der SS-Mann Dr. Josef Mengele. Über die Umstände des Todes der anderen Kinder wissen wir nichts. Es ist zu vermuten, dass sie im Sommer 1944, als die Ermordung der 500.000 ungarischen Juden begann und die SS in Auschwitz-Birkenau Platz benötigte, in die Gaskammer getrieben wurden, falls sie überhaupt bis zu diesem Zeitpunkt die extrem schlechten Bedingungen im „Zigeunerfamilienlager“, die Gewalttaten der Wachmannschaften und die verbrecherischen Experimente der SS-Ärzte überlebt haben. Bekannt ist, dass die Sinti und Roma sich bis ganz zuletzt mit allen ihren Möglichkeiten und mit selbst gefertigten Waffen gegen die Ermordung gewehrt haben. Die SS brach den Widerstand durch Einsatz von Machinengewehren. Am 2. August 1944 wurden die letzten bis dahin überlebenden 2.897 Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet.
Günter Heuzeroth führte mit der überlebenden Margot Schwarz, geb. Franz, 1982 in Oldenburg ein Interview: „Nach Angaben von Frau Schwarz waren die meisten Säuglinge und Kinder innerhalb von sechs Wochen nach der Einlieferung tot. Sie waren durch Giftbeimischungen im Essen ermordet worden. Die Mutter von Margot Schwarz, Frau Frank, wurde vor ihren Augen von einem SS-Mann mit dem Gewehr zu Tode geprügelt, weil sie wegen Krankheit nicht zum Zählappell auf dem Hof erschienen war. Margot wollte sich dazwischen werfen, konnte aber gegen die Schläge nichts ausrichten. Während ihrer gesamten Haftzeit in Auschwitz war sie schweren Folterungen ausgesetzt. Wie viele andere Frauen wurde sie zu schweren körperlichen Arbeiten, wie Transport von Bahnschwellen, Ziegelsteinen usw. eingesetzt. Auf dem berüchtigten „Bock“ wurde sie oft mit zehn Schlägen auf den Körper bestraft. Drei Wochen lang verbrachte sie die Nächte, nach getaner Arbeit und unzureichendem Essen, im „Stehbunker“, einem einen Quadratmeter großen Raum mit rauen Wänden und einem Fäkalieneimer in der Mitte, wobei sie mit drei anderen Frauen eingesperrt wurde. Margot Schwarz, auf deren linkem Unterarm immer noch deutlich die Häftlingsnummer „Z-3487“ zu erkennen ist, litt nach der Befreiung 1945 noch jahrelang an Verfolgungsträumen.“ (Heuzeroth, 257)
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Anmerkungen zur Gedenkkultur in Zetel
Zetel war bereits Jahre vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 eine braune Hochburg. Angesehene Bürger gründeten im Oktober 1929 die Ortsgruppe der NSADP, die von Karl Ahlhorn geleitet wurde. Bei den Reichtagswahlen von März 1933 wählten 65,5% der Zeteler die NSDAP. Auch weitere Informationen zeugen von der aktiven Beteiligung Zetels, bzw. der Gemeinde Friesische Wehde, an Aufbau und Etablierung des NS-Terrorregimes. Im Zeteler Rathaus hat jemand damals auf dem Meldebogen der Franks vermerkt: „8.3.1943 festgenommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen.“
Das Schicksal der Familie Frank ist in Zetel und Umgebung unter Einwohnern immer bekannt gewesen, zumal die überlebenden Kinder Margot und Anton Franz nach ihrer Befreiung 1947 zeitweilig wieder ihren Wohnsitz in Zetel und Bockhorn nahmen. Seit den Publikationen von G. Heuzeroth und K.-H. Martinß (1986) sowie von H. Hesse und J. Schreiber (1999) ist der Leidensweg dieser acht Zeteler Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes in den grundlegenden Details dokumentiert. Hans Begerow hat ihr Schicksal ab dem Jahre 2007 weiter recherchiert, Kontakte zu Nachkommen aufgenommen und darüber mehrfach in der Nordwest Zeitung berichtet.
- Leidensweg begann in Bohlenberge
- Zwei Geschwister überleben Deportation GeschichteKinder der Zirkusfamilie Frank besuchten die Schule in Bohlenberge
- Zetel verweigert Denkmal für KZ-Opfer
Im Dezember 2015 lehnten die politisch Verantwortlichen in Zetel fast einhellig ein öffentliches Denkmal oder eine Hinweistafel auf ihre ermordeten Mitbürger ab. Der Gemeinderat, der eine SPD-Mehrheit aufweist, beschied Anfang Dezember auch mit den Stimmen von CDU, FDP und UWG einen entsprechenden Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen negativ. Dazu liest man (NWZ v. 3.12.2015) zwei Argumente des Bürgermeisters Heiner Lauxtermann (SPD): „Eine große Mehrheit im Rat wolle keine einzelne Familie herausheben in `Sorge, dass man eine vergisst.´“ Und: Es gebe „ja bereits in Zetel einen zentralen Erinnerungsort für alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.“ Beide Argumente wie auch ergänzende Ausführungen des Pressesprechers der Gemeinde gegenüber dieser Internetzeitschrift überzeugen nicht.
Lauxtermann bezieht sich auf eine beschriftete Glastafel, die 2008 das bereits lange bestehende Denkmalsensemble für die Gefallenen der drei Kriege 1870/71, 1914/18 und 1939/45 sowie für die Kriegsgefangenen ergänzte, indes aber der Gemeinde Anlass gab, die eingezäunte Grünfläche von ca. 250 Quadratmetern als „Friedensgarten“ zu bezeichnen. Der Text konstatiert einleitend mit Bezug auf eines der drei Denkmäler sachlich richtig: „Der Friedensgarten ist der Ort mahnenden Gedenkens für die Gefallenen der Weltkriege aus Zetel.“ Es folgen Aufforderungen an den Leser wie bei einer Kranzniederlegung: „Wir gedenken hier aller Opfer von Gewalt und Krieg – der Kinder, Frauen und Männer aller Völker, […]“. Es wird dann ausgeführt, was mit „alle Opfer“ gemeint sei. Es werden gefallene und in der Kriegsgefangenschaft umgekommene Soldaten, zivile Kriegstote, Tote aufgrund der Vertreibungen sowie außerdem Opfer des Rassismus, der Tötung wegen „Krankheit oder Behinderung“, des „Widerstands gegen die Gewaltherrschaft“ und aufgrund von „Überzeugung oder Glauben“ erkennbar. (Zwangsarbeiter, Homosexuelle und „Gemeinschaftsfremde“ fehlen.) Der Nationalsozialismus oder ein zeitlicher Rahmen werden mit keinem Wort deutlich. Am Schluss radikalisiert sich der Appell und erweitert sich thematisch: „Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung und um die Opfer sinnloser Gewalt.“
Die Schriftafel ist ikonographisch kein Mahnmal, sondern die Bekräftigung der Idee des deutschen Volkstrauertags. An diesem Tag spielt sie in Zetel nach dem Gottesdienst eine Rolle (vgl.“Volkstrauertag: Kranzniederlegung im Friedengarten“, NWZ v. 18.11.2013) und wird einzig und allein nur dieser Aufgabe gerecht. Erinnerung und damit der Anlass, in freier Entscheidung zu gedenken oder auch nicht zu gedenken und eventuell sogar im Einzelfall auch zu „trauern“, was eine persönliche Beziehung voraussetzt, sind aber immer konkret. Und genau das verhindert die Tafel mit ihrer Beliebigkeit und ihrem vereinnahmenden Sprachduktus.
Über die Formel „alle Opfer“ werden die Ursachen, die Verantwortlichkeiten und die Folgen der von Deutschland ausgehenden Katastrophe des 20. Jahrhunderts nicht sichtbar. Die Erinnerung an die Toten des Krieges mit den Opfern des Nationalsozialismus zu verbinden, ja zu vermengen, erinnert an den bundesrepublikanischen Gedenkstandard der Adenauer-Ära, in der die Verbrechen des Nationalsozialismus kaum vergangen und viele Mörder, Hochbelastete und Mitläufer fest in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft integriert waren. Nach Willy Brandts Warschau-Besuch von 1970 und der Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestags des Kriegsendes 1985 hat sich jedoch der Konsens ergeben, die unterschiedlichen Opfergruppen und die Sichtweisen der Überlebenden zu respektieren, die Ursachen der Völkermorde, der Verbrechen, des Krieges und der Vertreibungen in den Blick zu nehmen und zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Auffällig an Zetel ist die ahistorische Aufblähung auf die militärischen Konflikte „unserer Tage“ und „die Opfer sinnloser Gewalt“ sowie der Verzicht jeder Erwähnung, dass der Kern der Tafel die Epoche des Nationalsozialismus der Zeteler Geschichte darstellt. Christel Schwarz, der Sohn der überlebenden Margot Schwarz, geb. Franz, nahm 2008 die Einladung zur Einweihung der Tafel nicht an, weil auf ihr die Opfer des Nationalsozialismus in einem Atemzug mit den toten Tätern des Krieges genannt werden. Außerdem war er nicht in den Prozess der Tafelentstehung eingebunden worden. „Wir Sinti haben diesen Krieg nicht geführt, wir sind Opfer des Nationalsozialismus“, stellte er dieser Internetzeitung gegenüber klar.
„Eine große Mehrheit im Rat wolle keine einzelne Familie herausheben in `Sorge, dass man eine vergisst.´“ – so lautet das andere Argument von Bürgermeister Lauxtermann, das schon bei der Konzipierung der Tafel 2008 eine Rolle spielte. Wahrscheinlich wurden schon weitere Menschen aus Zetel Opfer des NS-Regimes, wenn man die vielen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in der Region und die Tötung von Behinderten, Homosexuellen und angeblich „Gemeinschaftsfremden“ berücksichtigt, deren Schicksale weitgehend unerforscht sind. Außer dem vormaligen Gewerkschaftler und SPD-Landtagsabgeordneten Fritz Frerichs (1882 – 1945), der ab 1933 in Zetel, Adolf-Hitler-Straße, wohnte, und im Juli 1944 ins KZ Neuengamme verschleppt wurde, sind den wenigen und immer ehrenamtlichen Historikern, die sich damit beschäftigen, gegenwärtig keine weiteren Opfer aus Zetel namentlich bekannt. Und selbst wenn man ihre Schicksale und Namen einmal wüsste, hieße das nicht, dass ihrer in derselben Form wie der Franks gedacht werden würde oder gar müsste. Im Übrigen haben die Zeteler eine Straße nach der Einzelperson Fritz Frerichs benannt, der damit „herausgehoben“ wird. Die Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs („Sie gaben für uns ihr Leben“, ist zu lesen, man möchte es nicht glauben) stehen eingemeißelt auf dem entsprechenden Mahnmal im Friedensgarten, das unübersehbar Namen alteingesessener Zeteler „heraushebt“. In Jever, Wilhelmshaven, Varel und Wittmund gibt es seit Jahrzehnten Erinnerungsorte mit den Namen der in der NS-Zeit ermordeten, jüdischen Bürger dieser Städte. Zetel legt an die Sinti-Familie-Frank einen besonderen Maßstab an.
Hartmut Peters, 14. Dez. 2015
Nachtrag, 1. März 2017: Die Gemeinde Zetel beschloss 2016, eine Straße in einem Neubaugebiet nach Anton Franz zu benennen. Das Straßenschild, bisher ohne zusätzliche erklärende Hinweise über den Geehrten und den historischen Hintergrund, wurde am 23. Februar 2017 angebracht. Niemand kann etwas gegen eine Anton-Franz-Straße haben, wenn das Schild einen wirklich informativen Zusatz bekommt. Die Straße ist ein Schritt in die richtige Richtung, dem der Gemeinderat einen Erinnerungsort mit den Namen der Deportierten folgen lassen sollte. Ansonsten entsteht der Eindruck eines Alibis. Politische Haltung gegen den wieder aufkommenden Rassismus sieht anders aus. Der 75. Jahrestag der Deportation, der 8. März 2018, ist das richtige Datum für die Einweihung des Mahnmals für die Zeteler Sinti.
Quellen:
- Hesse, Hans; Schreiber, Jens: Vom Schlachthof nach Auschwitz: Die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland.- Marburg 1999
- Heuzeroth, Günter; Martinß, Karl-Heinz: Vom Ziegelhof nach Auschwitz: Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma.- Oldenburg 1985 (Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933 – 1945; dargestellt an den Ereignissen im Oldenburger Land; Bd. 2)
- Gedenkbuch Auschwitz: www.auschwitz.org/en/museum/auschwitz-prisoners/