Das GröschlerHaus Jever, Ort der 1938 zerstörten Synagoge

von Hartmut Peters (Arbeitskreis GröschlerHaus)

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Das GröschlerHaus Jever ist das Zentrum für die jüdische Geschichte und die Zeitgeschichte der Region Friesland-Wilhelmshaven. Das GröschlerHaus selbst ist Zeitgeschichte, denn es befindet sich in dem Gebäude, das 1954 auf den Grundmauern der 1938 zerstörten Synagoge errichtet wurde. 2014 gegründet, entwickelt es die 1978 begonnene regionale Erinnerungsarbeit weiter durch Ausstellungen, Vorträge, Publikationen, Kooperationen mit Schulen und durch Kontakte zu den Nachkommen der während des Nationalsozialismus aus Jever vertriebenen jüdischen Einwohner.

Das Haus steht in Trägerschaft des Zweckverbandes Schloss-Museum Jever und ist Teil er Initiative „Erinnerungsorte in Friesland“. Eigentümerin ist die Hanna-und-Elfriede-Heeren-Stiftung. Die Einrichtung wird von Ehrenamtlichen geleitet. Diese und das Internetmagazin goeschlerhaus.eu sind im Jeverländischen Altertums- und Heimatverein e.V. organisiert. Die Website stellt Artikel und Dokumente zur regionalen Zeitgeschichte der Öffentlichkeit und den Schulen zur Verfügung und ist ein Medium für Kontakte aus vielen Ländern der Welt. Der Name Gröschler verweist auf die beiden letzten Vorsteher der Synagogengemeinde zu Jever, Hermann und Julius Gröschler, die 1944 von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Jevers langer Weg zur aktiven Erinnerung

Die 1880 erbaute Synagoge in einer Abbildung von ca. 1900 (Archiv Pisarek, akg images)
Achtung, für dieses Photo muss eine Lizenz bei akg images Berlin gekauft werden!

Theodor W. Adorno schrieb 1967 in „Erziehung nach Auschwitz“: „Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern.“

Heute erinnert vieles an die Jahre vor Hitler: Völkisches, demokratiefeindliches Denken und Rassisten im Parlament; die Diffamierung von Wissenschaft und Internationalismus; das Versagen der Sozialpolitik unter dem Rad der kapitalistischen Ökonomie; die Auflösung von Parteistrukturen in „Bewegungen“; Krieg als Kalkül von Politik; Antisemitismus als scheinbar normale Alltagshaltung. Und die Geister von gestern erhalten ungeahnten Auftrieb durch die Neuen Medien, deren Wahrnehmungswelten gegen Vernunft und kritische Analyse immun sind.

Adorno sagte auch: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. […] Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“ Es hat lange gebraucht, bis Jever das GröschlerHaus bekommen hat. Und es ging nicht ohne Begründung. Der Irrealis Adornos ist die Wirklichkeit von heute.

Der zerstörte Innenraum der Synagoge am 10. November 1938 (Archiv GröschlerHaus)

Vor 80 Jahren zerstörten Einwohner Jevers die 1880 erbaute Synagoge und verschleppten die jüdischen Bürger. Das Jahr 1938 war das Ende der jüdischen Gemeinde zu Jever. Die Mitglieder, die nicht dem Machtbereich des nationalsozialistischen Deutschlands entkamen, wurden Opfer des Völkermords an den Juden Europas.

Umgehend ließen die NS-Behörden die Synagoge abreißen. Die Baulücke in der Großen Wasserpfortstraße 19 wurde mit einem Bauzaun kaschiert und schließlich mit einem Wohn- und Geschäftshaus gefüllt. Da sind wir aber schon im Jahr 1954, in der Bundesrepublik von Adenauerzeit und „Wirtschaftswunder“.

Hatte 1938 das nationalsozialistische Terrorregime seine Flammenzeichen sichtbar auf die Synagoge gesetzt, bereitete der Neubau von 1954 die Bühne für eine lange, dunkle Epoche. In ihr wurden die Verbrechen des Nationalsozialismus beschwiegen, konnte die Tätergeneration weiterwirken und die jüdischen Überlebenden erneut an den Rand drängen, „die zweite Schuld“, wie Ralph Giordano diese über dreißigjährige, fast kollektive Amnesie nannte. Durch das beständige Mahnen von Fritz Levy (1901 – 1982), des letzten Juden von Jever, durch das Anbringen der Synagogen-Gedenktafel 1978 und den Besuch der vertriebenen, überlebenden Juden 1984 entstanden in diesem Meer des aktiven Vergessens langsam Inseln der Erinnerung.

Der lange Weg Jevers zur institutionalisierten Erinnerung des GröschlerHauses brauchte dann noch einmal 30 Jahre. Schließlich übernahmen die politischen Entscheider die Verantwortung für eine nachhaltige Erinnerungsarbeit und halfen, die Ergebnisse der zivilgesellschaftlichen Basisarbeit in geeigneten Räumlichkeiten zu präsentieren. Ohne die Ermutigung durch die jüdischen Überlebenden und ihre Nachkommen hätte der Arbeitskreis „Juden und Jever“ diese Durststrecke vielleicht nicht durchgehalten.

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Die glückliche Geburt des GröschlerHauses

Die Geburt des GröschlerHauses beruht auf einer glücklichen Fügung und der Tatkraft der Beteiligten. Ende 2013 zog die im Erdgeschoss der Großen Wasserpfortstraße 19 ansässige Papeterie aus. Die Chance, an diesem zeitgeschichtlich einmaligen Ort ein Erinnerungszentrum zu gründen, wurde erkannt und von der Leitung des Zweckverbandes Schloss-Museum Jever, dem Landkreis Friesland und der Stadt Jever ohne Umschweife am Schopfe gepackt. Kreis und Stadt kamen für die Miete des Erdgeschosses auf und im Juli 2014 konnte hier der Arbeitskreis seine Arbeit aufnehmen. Die Tafeln der Ausstellung „Geschichte der Juden Jevers“, die zuletzt 2006 in der jeverschen Stadtkirche gezeigt worden waren, kamen an die Wände und bekamen feste Öffnungszeiten und eine Reihe von bis heute 25 öffentlichen Veranstaltungen wurde begonnen. Die Namensgebungsfeier 2014 zog viele Nachkommen der jüdischen Überlebenden aus aller Welt für „Tage der Begegnung“ nach Jever.

Angehörige jüdischer Familien aus Jever am 28. September 2014 bei der Namensgebungsfeier für das GröschlerHaus (Foto H. Peters)

Während der dreijährigen Pionierphase war aus baurechtlichen Gründen immer klar, dass eine umfangreiche Neugestaltung der Räumlichkeiten erfolgen musste, wenn hier ein außerschulischer Lernort entstehen sollte. Seit September 2017 konnte die Renovierung und der Umbau des GröschlerHauses mit beachtlichen EU-Mitteln aus dem Förderprogramm LEADER für das Projekt „Erinnerungsorte in Friesland“ umgesetzt werden. Das Konzept der „lieux de mémoire“ stammt von dem französischen Historiker Pierre Nora und bezeichnet konkrete Kristallisationen des kollektiven historischen Gedächtnisses. In Deutschland ist es vor allem als Chance zum Aufarbeiten der Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bekannt, da über reale Orte ein direkter Zugang zu den Menschen möglich erscheint. Das Konzept für Friesland wurde von Dr. Antje Sander, Leiterin des Schloss-Museums Jever und Geschäftsführerin des Zweckverbandes Schloss-Museum, entwickelt und bisher u.a. durch das GröschlerHaus, die Ehemalige Synagoge Neustadtgödens, die Gedenkstele für die ermordeten Zeteler Sinti in Zetel und die Informationstafel für die Zwangsarbeiter in Neuenburg realisiert.

Die Heeren-Stiftung förderte, zusammen mit Mitteln des Landkreises und der Stadt Jever, ebenfalls das Vorhaben. Der Umbau umfasst Barrierefreiheit, Heizung, Toilettenanlage, Fenster, Licht- und Belüftungssysteme, Dach, Entkernung des Hofs u.a.m. Für die künftige Dauerausstellung und die Inneneinrichtung haben bereits weitere Stiftungen und Förderer ihre Unterstützung signalisiert. Zur Wiedereröffnung nach achtmonatiger Umbauphase im April 2018 kamen erneut viele Nachkommen der jüdischen Überlebenden aus aller Welt nach Jever. Die vom Arbeitskreis erhoffte Institutionalisierung ist, was das Gebäude betrifft, also fast abgeschlossen.

Die Internetzeitschrift groeschlerhaus.eu ist ein Informationsmagazin mit inzwischen über 130 wissenschaftlichen Artikeln, vielen Fotos und Materialien zur Geschichte des Nationalsozialismus und der Juden in Friesland und Wilhelmshaven. Es dient auch Schulen zur Vorbereitung von Unterricht. Seit dem Start 2015 zählt groeschlerhaus.eu pro Jahr rund 40.000 Besucher und 150.000 Seiten-Zugriffe. Über das Internet entstehen Kontakte zu Forschern und auch zu Nachkommen von Juden, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in aller Welt. Die Mitarbeiter beantworten Anfragen und bekommen im Gegenzug häufig weitere Informationen und bisher unbekannte Fotos.

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Artefakt und Akteur der Zeitgeschichte

Nach dem Einzug 2014 fand der „Arbeitskreis GröschlerHaus“ unverhofft Reste der früheren Bausubstanz und zeichnete provisorische Grundrisse der alten Synagoge in den Neubau hinein. Am Schulanbau, dessen Mauern 1954 übernommen wurden, hat sich ein originales Fenster erhalten. Ein lange verschlossener Keller, der an die Außengrundmauer der Synagoge grenzt, entpuppte sich als Ort einer früheren Mikwe, des jüdischen Ritualbades.

Die Mikwe im Keller wurde durch Fußbodenfenster sichtbar gemacht (Foto H. Peters)
Durch einen Polyurethan-Abzug wurde durch das Nds. Landesamt für Denkmalspflege ein Planum des Brandhorizonts vom 9. November 1938 gesichert. (10. April 2018, Foto H. Peters)

Beim Umbau dann kamen im Erdboden Artefakte der zerstörten Synagoge zutage: verkohltes Holz, Splitter des Schieferdaches, Steine mit Rußspuren u.a.m. Diese führen zusammen mit dem Schulanbau, der über Fußbodenfenster sichtbar gemachten Mikwe und dem Grundriss der Synagoge auf dem Estrich vor Augen, dass das GröschlerHaus Artefakt und Akteur der Zeitgeschichte zugleich ist. Ein außerschulischer Lernort, dessen Gestalt selbst Gegenstand des Lernens ist. Jede Ausstellung, die hier gezeigt wird, besteht nicht nur aus Informationstafeln, sondern auch aus allen Winkeln des Gemäuers. Wer die 180 qm Ausstellungsfläche besichtigt, bewegt sich auf vier Zeitebenen: in der Synagoge von 1880, die der ganze Stolz der damals blühenden jüdischen Gemeinde von Jever war, in den Trümmern der Ruine des nächtlichen Verbrechens von 1938, in einem Gebäude, das 1954 diesen schwärzesten Jevers für lange Jahrzehnte überdeckte, und im GröschlerHaus, das nicht nur erinnert, sondern auch die Geschichte der Erinnerung erzählt. Den I-Punkt setzten die Nachkommen von Frank Gale, als sie bei der Wiedereröffnung dessen Mezuzah an den Rahmen der Eingangstür nagelten. Der Sohn des letzten Gemeindevorstehers war 1938 als Fritz Gröschler nach England entkommen.

Im April 2018 eröffnete die erste Ausstellung nach dem Umbau, die speziell die Synagoge von 1880, ihre Zerstörung im Jahr 1938, das Ende der jüdischen Gemeinde und die „Baugeschichte der Erinnerung“ zum Thema hat und bis Ende 2018 zu sehen sein wird. Anlass ist der 80. Jahrestag der Zerstörung der Synagoge.

Blick in den großen Ausstellungsraum des GröschlerHauses (Foto H. Peters)

2019 soll dann eine Dauerausstellung über die Geschichte des Jeverlands im Nationalsozialismus sowie über die Geschichte der Juden eröffnet werden. Die Räume bleiben flexibel, damit wechselnde Ausstellungen, öffentliche Veranstaltungen bis 70 Personen und das Arbeiten mit Schulklassen das Zeitgeschichtszentrum mit Leben erfüllen.

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Die Vergangenheit ist die Gegenwart

Das GröschlerHaus hat sich inzwischen als zentraler Erinnerungsort an die facettenreiche Geschichte der Juden des Jeverlands – von ihren Anfängen an – und an die Verbrechen des Nationalsozialismus einen Namen gemacht. Es ist der Prüfstein für den Umgang einer Region mit den tatsächlichen und moralischen Trümmern der Vergangenheit.

Vergangenheit? Nach Adorno ist die Vergangenheit die Gegenwart. Er nannte seinen Aufsatz „Erziehung nach Auschwitz“, um zu verdeutlichen, dass wir „vor Auschwitz“ leben – solange die Bedingungen, die den „ungeheuerlichen Rückfall in die Barbarei“ ermöglichen, weiter existieren.

Was kann ein GröschlerHaus da schon tun? Es stellt sich jeder Absicht entgegen, das nationalsozialistische Terrorsystem und jedes andere Unrechtsregime zu verharmlosen, zu rehabilitieren und in welchen Facetten auch immer neu aufzulegen. Denn die über alle verfügbaren Kanäle gesendete Erforschung und Vermittlung der Vergangenheit und die entschiedene, politische Bekämpfung der menschenverachtenden Ideologen von heute sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

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Mai 2018