Jevers Ehrenbürger Dr. Hillmer und seine Karriere in der NS-Zeit

Quelle: Stadtarchiv Jever

Bis 1945 als Oberfinanzpräsident Thüringen/Mitteldeutschland verantwortlich für Ausplünderung der emigrierten oder deportierten Juden

Auf der Liste der Personen, denen die Stadt Jever im Laufe ihrer Geschichte die Ehrenbürgerschaft verlieh, steht ein Mann mit zweifelhaftem Werdegang im „Dritten Reich“: Dr. Theodor Hillmer.

Geboren im Januar 1881 in Cloppenburg und gelernter Jurist, begann er nach seinem Studium und Erlangung des Doktorgrades 1905 den beruflichen Aufstieg als Regierungsbeamter im Großherzogtum bzw. Freistaat Oldenburg. In den Jahren 1913 bis 1920 diente er als Amtshauptmann (heute würde man sagen: Landrat) in den oldenburgischen Ämter Rüstringen und zuletzt Jever.

1920 wechselte er in die Finanzverwaltung und bekleidete zunächst die Position eines Abteilungsleiters im Landesfinanzamt Oldenburg. 1922 stieg Dr. Theodor Hillmer zum Präsidenten dieser Behörde auf und blieb in dieser Funktion in Oldenburg bis Ende Juli 1933.

1928 Ehrenbürgerschaft der Stadt Jever

In die Oldenburger Zeit fällt auch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft in Jever, die ihm wegen seiner Verdienste um die Wasserversorgung der Stadt zuerkannt wurde. Hintergrund war die ab 1927 diskutierte Installation öffentlicher Wasserleitungen. Als Landesfinanzpräsident bemühte sich Hillmer darum, der Stadt Jever beim Deutschen Reich günstige Konditionen für die Finanzierung dieses Projektes zu verschaffen. Die Stadt Jever musste schließlich lediglich das investierte Kapital verzinsen, die Rohre verblieben im Eigentum des Reiches. Das Vorhaben konnte somit fast ohne Belastung für den Stadtsäckel erfolgreich abgeschlossen werden. Am 21. Mai 1929 beschloss der Jeversche Stadtrat, ihm für dieses Enagement die Ehrenbürgerwürde zu verleihen.

1933 bis 1945 NSDAP-Mitglied und Oberfinanzpräsident

Dr. Theodor wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Im August 1933 verließ er Oldenburg und bekleidete bis 1936 das Amt des Präsidenten des Landesfinanzamtes Schleswig-Holstein in Kiel. Nach der Umorganisation der Reichsfinanzverwaltung erhielt er den Posten des Oberfinanzpräsidenten für Thüringen (Sitz in Rudolfstadt), später erweiterte sich sein Zuständigkeitsbereich zum Oberfinanzpräsidenten für Mitteldeutschland (Sitz in Weimar).

In dieser Rolle als Oberfinanzpräsident war Hillmer zuständig für die Durchführung der steuerlichen Diskriminierung, finanziellen Drangsalierung und zuletzt Beraubung und Enteignung der jüdischen Bürger. Seine nachgeordneten Finanzämter trieben – schärfer als bei den nichtjüdischen Bürgern – die steuerlichen Abgaben für Juden und die „Reichsfluchtsteuer“ ein.

Die Finanzämter waren mitverantwortlich für den Zwangsverkauf jüdischen Grundbesitzes und von Gewerbebetrieben. Sie verwalteten und verwerteten den beschlagnahmten Besitz der deportierten oder emigrierten Juden. So stellten sie sicher, dass diese Werte dem Reichsfiskus zugingen.

Vor allem zwei der Dienststellen von Dr. Hillmer hatten mit der Überwachung und Verfolgung von Juden und der Einziehung und Verwertung ihres Vermögens zu tun: Zunächst waren da die bereits 1931 gegründeten Devisenstellen, die für Genehmigung, Überwachung und späterhin auch Strafverfolgung von Devisenbestimmungen und -vergehen zuständig waren.

Ende 1941 richtete die Finanzverwaltung sogenannte „Dienststellen für die Einziehung von Vermögenswerten“ (ab Mitte 1942 „Vermögensverwertungsstellen“) ein. Letztere waren zuständig für die Erfassung, Verwaltung und Verwertung des Vermögens von deportierten und später ermordeten, aber auch ausgewanderten oder verstorbenen Juden. Auch die öffentliche Versteigerungen von ehemaligem „Judengut“ fanden unter ihrer Regie statt.

Die Finanzverwaltung sorgte so für den „finanziellen Tod“ der Opfer, während sich Geheime Staatspolizei, SS-Verbände und Ordnungspolizei um die Verschleppung und schließlich physische Vernichtung der jüdischen Opfer kümmerten.

1945/46 Entlassung, Rückkehr nach Jever und „Entnazifizierung“

Auf Anordnung der sowjetischen Militärregierung in Thüringen wurde Dr. Hillmer im Juli 1945 aus seiner Position entfernt und kehrte an seine alte Wirkungsstätte, das Oldenburger Land und Jever zurück. Sein 1946 durchgeführtes „Entnazifizierungsverfahren“ endete, wie bei vielen mehr oder minder in das Unrecht des NS-Regimes verstrickten Schreibtischtätern, mit einer Einstufung in die Kategorie V („unbelastet“). Über sein unheilvolles Wirken als Oberfinanzpräsident senkte sich der Mantel des Schweigens und Verdrängens. Die Akten der Finanzverwaltung zur Judenverfolgung in der Nazi-Zeit sollten noch viele Jahrzehnte unter striktem Verschluss bleiben. Lange Zeit wurde das genaue Wirken der Finanzverwaltung in der NS-Zeit nicht bekannt, sie galt lange als vorgeblich „unpolitische“ Fachbehörde. Ähnlich wie bei der Legende der „sauberen Wehrmacht“ sollte es viele Jahrzehnte dauern, bis seriöse Forschungsarbeit diese verharmlosenden und falschen Geschichtsbilder korrigieren konnten.

1946 bis 1963 Privatier und Kommunalpolitiker in Jever

Im Jever der Nachkriegsjahre – so schrieb später Dr. Fritz Blume – gehörte Dr. Hillmer zu jener Runde konservativer jeverscher Honoratioren, die sich „gegen Abend am Stammtisch im Haus der Getreuen trafen, um dort in angeregter Runde über lokale, aber auch weltpolitische Ereignisse zu debattieren“. Aus dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und dienstbeflissenen hohen Beamten des „Dritten Reiches“ wurde nun ein kommunalpolitisch engagierter Privatmann: Dr. Theodor Hillmer schloss sich, wie damals viele ehemalige Nationalsozialisten, der neugegründeten FDP an. Er zog für diese Partei in den jeverschen Stadtrat ein. Hillmer saß im Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Friesland und war zudem Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Wohnungsfragen beim Landkreis Friesland. Auch am Aufbau des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes war er maßgeblich beteiligt. 1951 erinnerte das „Jeversche Wochenblatt“ anläßlich seines 70. Geburtstages noch einmal mit einem ausführlicheren Beitrag an den Ehrenbürger. Besondere Erwähnung fand, Hillmer habe „infolge der Kriegsereignisse seinen gesamten Besitz verloren“. Was er vor 1945 mit dem Besitz vieler deutscher Juden trieb, blieb unerwähnt.

Letzte Ruhestätte in Jever

Dr. Theodor Hillmer starb am 20. Juni 1963 in Jever im 83. Lebensjahr. Er fand auf dem Friedhof in Jever seine letzte Ruhestätte. In der Lokalpresse erschienen einige ehrende Nachrufe. Im Nachruf der FDP hieß es z.B.: „Ein untadeliger und aufrechter Mann ist von uns gegangen, (…) der nie von seiner geraden, sauberen Linie abwich“. Im „Historien-Kalender“ des Jahres 2004, die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde lag nun 75 Jahre zurück, skizzierte Dr. Fritz Blume unter der Überschrift „Große Verdienste um Jever“ noch einmal das Leben und Wirken von Dr. Hillmer. Der Autor beschränkte sich jedoch auf die Jahre vor 1933 und nach 1945. Eine studentische Projektarbeit an der Universität Jena, die 2005 begann und u.a. 2009 in einer Wanderausstellung über die „Arisierung“ in Thüringen mündete, wies auf die Rolle und Verantwortung von Dr. Theodor Hillmer als Oberfinanzpräsident hin. Dies fand in den ortgeschichtlich interessierten Kreisen in Jever aber naturgemäß – weit entfernt von den Ausstellungsmachern – keinen Nachhall.

Ehrenbürger ?

Dr. Theodor Hillmer erhielt die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Jever noch in der demokratischen Weimarer Republik, also einige Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er hatte sich unzweifelhafte Verdienste um die Wasserversorgung der Stadt Jever erworben. Auch sein kommunalpolitisches Wirken nach 1945 in Jever erscheint tadellos. Zur angemessenen Erinnerung an sein Wirken gehören heute aber auch die Kenntnis über die Zeit zwischen 1933 und 1945: Dr. Theodor Hillmer war im Zusammenhang mit der Judenverfolgung der Nazis unzweifelhaft einer der „Schreibtischtäter“, der dafür nie zur juristischen Rechenschaft gezogen wurde. Welches Gewicht diese besondere „Schaffensperiode“ bei einer Nachbetrachtung über seine Ehrenbürgerwürde haben mag, soll Überlegungen im Stadtrat, im Heimatverein oder in der interessierten Öffentlichkeit in Jever überlassen bleiben.

Siehe auch: „Arisierung in Thüringen.“ Hier: Tafel 13: Die Finanzbürokratie: Verwalter und Verwerter „jüdischen Eigentums“ (2009, Ausstellung Uni Jena)

Quellen:

  • „Jeversches Wochenblatt“ 1929, 1951, 1963.
  • „Historien-Kalender“ 2004.
  • Niedersächsisches Landesarchiv Oldenburg, Entnazifizierungsakte.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 26. April 2018 im „Jeverschen Wochenblatt“ und am 23. Juni 2018 in der „Wilhelmshavener Zeitung“, Beilage „Heimat am Meer“.

Copyright: Holger Frerichs, Varel.

Forschungsstand: 26.09.2019.