von Werner Menke
Für die ersten beiden Jahrhundertjahre 1636 und 1736 ist von einem besonderen Gedenken an die durch Fräulein Maria 1536 verliehenen Stadtrechte nichts bekannt. Erst die intensive Hinwendung zur eigenen Geschichte, die mit der Romantik und dem in Folge der Befreiungskriege wachsenden Nationalbewusstsein einsetzte, hat das geistige Klima dafür geschaffen, dass auch regional bzw. lokal bedeutsame Jahrestage stärker ins Bewusstsein gelangen und entsprechend begangen werden.
Die 300-Jahrfeier von 1836
So kann 1836 als das erste Jahrhundertjubiläum der Stadtgründung gelten, das in Jever gefeiert wurde. Verglichen mit späteren Gedenkveranstaltungen verliefen die Feierlichkeiten seinerzeit allerdings recht bescheiden und beschränkten sich auf einen Tag, den 21. Februar. (Das Datum erklärt sich daraus, dass der Beginn der Befestigungsarbeiten 1536 am ersten Tag der Fastenzeit erfolgte.)
Eingeleitet wurde der Festtag mit 21 Kanonenschüssen, die am frühen Vormittag von einem Geschütz auf dem Schlossberg abgefeuert wurden. Von 7 bis 8 Uhr erklang dann feierliches Glockengeläut der Stadtkirche. Um 10 Uhr setzte sich ein vom Magistrat, Beamten der Vorstadt und Bürgern der Stadt gebildeter Zug vom Rathaus aus zur Kirche in Bewegung. Die auf einem Kissen mitgetragene älteste Urkunde der Stadtprivilegien wurde dort auf dem Altar niedergelegt. In der Kirche trug der Singverein eine von Christian Friedrich Strackerjan (1777 – 1848; von 1818 bis 1833 wirkte Strackerjan als Amtmann in Jever) verfasste und von Assessor Jansen vertonte Festkantate vor. Strackerjan gibt in seiner anlässlich des Jubiläumsjahres erschienen Schrift „Beiträge zur Geschichte der Stadt Jever“ auch eine genauere Darstellung des Festtages, der die hier vorgelegte Beschreibung im Wesentlichen folgt.
Im Anschluss an die Kantate hielt Superintendent Tiarks die Festpredigt; nach dem Ende des Gottesdienstes setzte sich der Zug wieder Richtung Rathaus in Bewegung. Nachmittags trafen sich 250 Teilnehmer zu einem Festmahl in zwei Lokalen der Stadt, in dessen Verlauf Bürgermeister Jürgens ein großherzogliches Reskript verlas, mit dem Paul Friedrich August die Stiftung eines mit 5000 Reichstalern ausgestatteten Fonds zur Verbesserung der Provinzialschule (des heutigen Mariengymnasiums) anlässlich des Stadtjubiläums ankündigte.
Doch nicht allein die Honoratioren ließen es sich schmecken: Bereits am Mittag waren im Armenhaus (dem späteren Sophienstift) siebzig Arme der Stadt festlich bewirtet worden, zudem waren an dreißig bedürftige Familien Lebensmittel verteilt worden, „damit auch sie sich ein Festmahl bereiten könnten“ (Strackerjan).
„1000jähriges Reich“ – „1000jähriges Jever“ 1936
400 Jahre Stadtrechte – das schien in den sich protzig darstellenden Anfangszeiten des „1000jährigen Reiches“ nicht Jubiläumsanlass genug. Man feierte daher nicht allein das Stadtjubiläum, sondern gleichzeitig ein 1000jähriges Jever. Das mochte insofern seine Berechtigung haben, als die historischen Wurzeln Jevers weit zurückreichen und man in der Tat von einer rund tausendjährigen Geschichte des Ortes sprechen kann. Nirgendwo in den Annalen erscheint jedoch das Jahr 936 als ein bedeutsames Datum (z. B. als das einer ersten urkundlichen Erwähnung); es gab also keinerlei konkreten Anlass dafür, eine Tausendjahrfeier gerade im Jahre 1936 zu begehen.
Solche Überlegungen spielten aber 1936 kaum eine Rolle; stolz feierte Jever ein doppeltes Jubiläum: „Tausend Jahre Jever – 400 Jahre Stadt“. So lautete auch der Titel einer von Karl Fissen im Auftrag der Stadt Jever im Gedenkjahr herausgegebenen Festschrift, die in zwei Bänden „Heimatgeschichtliche Aufsätze und Bilder“ (so der Untertitel) versammelte.
Höhepunkt des Jubiläumsjahres war die Festwoche vom 21. bis 28. Juni. Die Stadt hatte sich dazu in Schale geworfen, sprich: Sie prangte im Schmuck von Hakenkreuzfahnen, Girlanden und Blumenschmuck. Und fast die gesamte Stadt war Schauplatz von Veranstaltungen: Sportliche Wettkämpfe fanden auf der Schützenhofwiese statt, durch die Straßen der Innenstadt zogen Festzüge, der Alte Markt erlebte die Aufmärsche verschiedener Formationen, die Rennweide am Grashaus diente als Ort eines großen Reitturniers und als Festhalle fungierte die 1926 erbaute Reithalle am Ochsenhammsweg, die 1988 abgebrannt ist.
In der hatte übrigens Adolf Hitler am 12. Mai 1931 vor Tausenden von Menschen gesprochen; das Jeversche Wochenblatt spricht in seiner Berichterstattung von annähernd 4.000 Zuhörern. Auch wenn diese Zahl kaum glaubhaft erscheint, vermag sie doch einen Eindruck von der Größe der Halle zu vermitteln und von der großen Resonanz, die der Nationalsozialismus bereits Jahre vor der „Machtergreifung“ in Friesland fand.
Gottesdienst, Festakt und „Tag der SA“
Schon am Abend des 20. Juni 1936 fand auf dem Schützenhofplatz eine von der HJ ausgestaltete Sonnenwendfeier statt, die gleichsam den Auftakt zur eigentlichen Festwoche bildete. An deren Anfang stand dann am Sonntag, dem 21. Juni, als kirchliche Feier ein von Pastor Harms (Rüstringen/Bant) gehaltener plattdeutscher Gottesdienst. Die offizielle Eröffnungsfeier erfolgte um 10 Uhr in Form eines großen Festaktes in der Festhalle. In seiner Rede forderte Bürgermeister Folkerts dazu auf, „daß wir versprechen, noch mehr als bisher für den Führer arbeiten und opfern, für ihn leben und ihn lieben zu wollen.“ (JW 22.6.36)
Jeder Tag der Festwoche stand unter einem anderen Motto: So war der Sonntag der Tag der SA. Vormittags fuhr eine Motorstaffel des NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) aus Oldenburg durch die Straßen zum Schlossplatz, wo gegen Mittag die Vereidigung neuer NSKK-Mitglieder sowie die Weihe eines Sturmstanders erfolgten.
Am Nachmittag marschierten SA-Einheiten auf dem Schlossplatz auf. Vor dem Kriegerdenkmal war eine Brückenkonstruktion errichtet worden, die als Schauplatz eines szenischen Spiels („Wir sind die Brücke der Zeit“) diente, mit dem die SA ihre Rolle als Wegbahner der nationalsozialistischen Bewegung feierte. In dem am Folgetag erschienenen Bericht über das Spiel pries das Jeversche Wochenblatt die Aufführung überschwänglich: „Während die Begeisterung in den Seelen lohte und der Marschtritt Tausender von Braunhemden über die Brücke stampfte, bauschten sich die großen Hakenkreuzfahnen über der Brücke, deren Rot sich festlich von den Bäumen des Schloßparks abhob, stolz und jubelnd im Winde. Ein unvergeßlicher Anblick. – Was mochte wohl Fräulein Maria auf ihrem steinernen Sockel gedacht haben, als sie die braunen Kolonnen von der Brücke herab sich entgegen marschieren […] sah.“ Da der Artikel nicht namentlich gezeichnet ist, lässt sich der Verfasser dieser in ihrem schwülstigen Stil für den heutigen Leser unfreiwillig komisch wirkenden „Journalisten-Lyrik“ nicht mehr eindeutig ermitteln; sehr wahrscheinlich stammt sie von Friedrich Lange, einem überzeugten Nationalsozialisten, der als „Hauptschriftführer“ des Wochenblattes für den gesamten Textteil verantwortlich zeichnete.
Wenn in dem Artikel von „Tausenden von Braunhemden“ die Rede ist, wirkt das auf den heutigen Leser zunächst wie eine der naziüblichen bombastischen Übertreibungen, die Angabe kann aber bei näherem Hinsehen durchaus als realistisch eingestuft werden, denn die SA–Standarte 19 war vollzählig in Jever angetreten, so dass sich an diesem „braunen Sonntag“ mehr als 2.500 SA Leute in der Stadt aufhielten.
Frl. Marien-Schauspiel, NS-Gemeindetag, Kreisamtsgebäude und Ehrenbürger Röver
Was Fräulein Maria von den braunen Horden tatsächlich gehalten hätte, wird ihr Geheimnis bleiben, fest steht aber, dass die Figur der letzten einheimischen Herrscherin, der Jever seine Stadtrechte verdankt, im Laufe der Festwoche immer wieder beschworen wurde. Eigens für das Jubiläum hatte die Carolinensieler Autorin Marie Ulfers (1888 – 1960) das plattdeutsche Historienspiel „Maria von Jever“ geschrieben, das am späten Nachmittag des folgenden Montags (22. Juni) seine Uraufführung durch die jeversche niederdeutsche Bühne und in den Folgetagen noch drei weitere Aufführungen erlebte. Eine Neubearbeitung dieses Schauspiels wurde übrigens auch 1986 zum 450. Stadtjubiläum aufgeführt, und zwar als Freilichttheater vor dem Schloss. 1936 diente die Festhalle als Schauspielort, Spielleiter war der Lehrer und Schulungsleiter der NSDAP-Ortsgruppe Bernhard Schönbohm, die Bühnengestaltung hatte der in der Region bekannte Maler Artur Eden aus Sillenstede ausgeführt.
Am Montagvormittag hatte die Landesdienststelle Oldenburg – Bremen des Deutschen Gemeindetages ihre Tagung in Jever abgehalten. Die dazu versammelten Bürgermeister, Gemeinderäte und kommunalen Beamten waren größtenteils auch nachmittags unter dem Festpublikum, das dem feierlichen Baubeginn für das neue Amtsgebäude, das heutige Kreishaus, beiwohnte. Um 15 Uhr tat der Oldenburger Staatsminister Pauly (1901 – 1988) den ersten Spatenstich. Bei dem anschließenden Festakt in der Festhalle wurde dem Leiter des Gaues Weser-Ems, Carl Röver, die Ehrenbürgerwürde der Stadt Jever verliehen.
Diese hatte Adolf Hitler bereits am 31. März 1933 erhalten. Auf die Grußbotschaft von Bürgermeister Martin Folkerts anlässlich des Stadtjubiläums („Wir bedauern außerordentlich, Ihnen unseren Dank nicht persönlich in den Mauern unserer Stadt aussprechen zu können“) hatte der oberste Ehrenbürger der Stadt mit einem Telegramm antworten lassen: „Der Stadt Jever danke ich für die mir anläßlich ihres 1000 jährigen Bestehens entbotenen Grüße. Ich erwidere sie mit den besten Wünschen für weiteres Blühen und Gedeihen Ihrer alten Stadt.“
„Tag der Musik“
Der folgende Dienstag war der „Tag der Musik“. Höhepunkt war die abendliche Aufführung des Oratoriums „Das Spiel vom deutschen Bettelmann“, das nach Texten von Ernst Wiechert von Fritz Reuter komponiert worden war. Mitwirkende waren neben von außerhalb verpflichteten Solisten der jeversche Singverein und die vereinigten jeverschen Männerchöre. Die musikalische Leitung des ehrgeizigen Projekts lag in den Händen des für das jeversche Musikleben der Zeit maßgeblichen Musiklehrers Franz Freese, der auch dem Singverein vorstand.
Wiecherts Dichtung gestaltete das Schicksal des durch Krieg und Not zum Bettelmann gewordenen deutschen Hiob. In einer Besprechung im Wochenblatt (vermutlich durch Friedrich Lange) kam allerdings nach lobenden Worten über die Leistungen der Mitwirkenden auch deutliche Kritik an dem Sujet des Oratoriums angesichts des „großen Geschehens“ des Nationalsozialismus zum Ausdruck: „Ist denn das Spiel vom deutschen Bettelmann wirklich ganz aus dem Erleben, Denken und Fühlen unserer Zeit geschöpft? Ist es nicht in gewisser Weise als ein Klagelied Jeremias stehen geblieben? Vermag unser Volk […] sein Genüge finden an dem Bild demütiger Zerknirschung, das der Handlung dieses Oratoriums sein Gepräge gibt? Ist das Geschehen unserer Tage nicht viel zu groß […] als daß man [es] in das Prokrustesbett alt- oder neutestamentlicher Vergleiche spannen könnte? Vergleiche wie Hiob oder Pilatus […] müssen bedenklich hinken, wenn man deutsches Schicksal […] auf deutsche Art dichterisch und musikalisch schildern und deuten will.“
Zum Programm des „Tages der Musik“ gehörten auch die Auftritte verschiedener Chöre sowie ein großes Militärkonzert des Musikkorps der Fliegerhorstkommandantur am Nachmittag. Diese Kapelle hatte auch schon am Sonntag aufgespielt und war auch an den weiteren Tagen der Festwoche noch mehrfach im Einsatz.
Am 1. Mai des Jubiläumsjahres war Jever mit der feierlichen Übergabe des neuen Flugplatzes an die Luftwaffe wieder Garnisonsort geworden (die erste Flugstaffel war bereits seit Mitte April auf der Militäranlage), eine Entwicklung, die von den meisten Bürgern auch als Signal eines wirtschaftlichen Aufschwungs freudig begrüßt und die in mehreren Redenbeiträgen, so des Bürgermeisters Folkerts, während der Festwoche als Manifestation der neuen Zeit gefeiert wurde. Diese „neue Zeit“ hatte unmittelbar vor der Festwoche für Jever auch eine erste größere Luftschutz- und Verdunkelungsübung am 16. Juni mit sich gebracht. Wohl die wenigsten allerdings wollten damals schon sehen, dass mit Aufrüstung und Luftschutzübungen die Vorbereitungen für einen neuen Weltkrieg getroffen wurden.
„Tage“ von Bauer, Handel, Heimat und Volkstum
Der Mittwoch wurde als „Tag des Bauern“ begangen. Vormittags wurde auf dem Alten Markt ein Großviehmarkt abgehalten, mit dem an die frühere Bedeutung Jevers als Ort großer Viehmärkte erinnert werden sollte. Mit dem Auftrieb von 35 Stück Hornvieh war der Markt allerdings nur ein schwacher Abglanz alter Zeiten. Pferdesportlicher Höhepunkt des Tages war das vom Jeverländer Rennverein veranstaltete Turnier mit einer Reihe von Wettkämpfen. Anwesend waren auch der Kreisbauernführer Blohm und der Reichsobmann des Reichsnährstandes, Staatsrat Meinberg, der bei der abschließenden feierlichen Veranstaltung die Festrede hielt („Das Leben des deutschen Bauern bedeutet Kampf um die und Kampf auf der Scholle“). Der Abend klang mit Ballveranstaltungen in allen Sälen der Stadt aus.
Der Donnerstag war als „Tag des Handels und des Handwerks“ etikettiert. Zunächst fanden Innungsversammlungen der Handwerker statt, am Nachmittag eine öffentliche Kundgebung von Handwerkern und Kaufleuten in der Festhalle. Die im Programm angekündigten Festredner, der Reichsbetriebsgemeinschaftsleiter der Reichsbetriebsgruppe Handwerk Paul Walter aus Berlin und der Landeshandwerksmeister Michel aus Hannover, hatten allerdings kurzfristig absagen müssen, die Festvorträge hielten nun der Präsident der Handwerkskammer Oldenburg Havekost und der Gauschulungswalter der DAF Bruns. Das Wochenblatt resümierte: „Beide Vorträge vermittelten den Anwesenden viel wertvolles nationalsozialistisches Gedankengut.“
Freitag war der Tag für „Heimat und Volkstum“. Am Vormittag tagten Vertreter der Abteilung „Volkstum und Heimat“ der NS- Kulturgemeinde und der Arbeitsgemeinschaft für oldenburgische Landes- und Volkskunde im Großen Saal des „Erb“ („Concerthaus“ am Alten Markt). Die Reihe der Fachvorträge wurde von dem Vorgeschichtler Hermann Schroller, Kustos am Landesmuseum Hannover und Schriftleiter des Mitteilungsblattes „Die Kunde“, eröffnet, der über „Die Vorgeschichte des Jeverlandes“ sprach. „Der Vortragende schloss […] mit dem Appell an alle Heimatfreunde, festzuhalten in Treue an dem arteigenen Volkstum“ (JW 27.6.36). Vorträge über „Die Mundarten unserer plattdeutschen Sprache“ und die „Kulturgeschichte der Stadt Jever“ (Redner Karl Fissen) folgten. Nachmittags hielt der Gauschulungsleiter Buscher eine Grundsatzrede zum Thema „Idee und Landschaft“ und gab der Gauvolkstumswart Stölting einen Arbeitsbericht. Ihren Abschluss fand die Veranstaltung mit dem abendlichen „Güstkindelbeer“.
„Tag“ der Jugend, der Leibesübungen und der DAF
Der Samstag firmierte unter der Überschrift „Tag der Jugend – Abend für Leibesübungen“.Tagsüber wurde das Sportfest des Jungbanns 2/ 59 und des Jungmädel-Untergaus 59 abgehalten. Die Siegerehrungen nahm der Gaugebietsführer der Hitler-Jugend (HJ) Lühr Hogrefe vor. Abends gab es eine Gala- Turnvorstellung in der Festhalle, deren Höhepunkt der Auftritt von acht Turnern der deutschen Bestriege war. Es handelte sich zwar nicht um Mitglieder des aktuellen Olympiakaders – die waren so kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Berlin (1.8.1936) nicht abkömmlich – , aber doch um namhafte Sportler, die bis vor einiger Zeit sogar zur Olympiamannschaft gezählt hatten und in Jever unter anderem an Pferd, Reck und Barren beeindruckten. Anwesend war auch der Reichsfachamtsleiter des Fachamtes Turnen im NS.-Reichsbund für Leibesübungen Carl Steding.
Und schließlich stand der Sonntag, 28. Juni, als achter und letzter Festtag unter der Überschrift „Tag der Deutschen Arbeitsfront, der Hitlerjugend und des Gesanges“.
Zentrale Veranstaltung am Vormittag war die Großkundgebung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Friesland in der Festhalle, bei der „Gauwalter“ Diekelmann und „Kreiswalter“ Schnoing sowie ein Mitarbeiter des DAF Propagandamtes Berlin namens Cohrs die Reden hielten und „Schaffende aller Stände“ das chorische Spiel „Tu Deine Pflicht!“ aufführten. Cohrs’ Rede gipfelte in dem Ausruf: „Es gibt in Deutschland nur eine Parole jetzt und in alle Zukunft: Wir stehen oder fallen mit Adolf Hitler.“ (JW 29.6.36)
Nachmittags fanden zunächst das Sportfest der Hitlerjugend und dann der Liedertag der Männerchöre der Bezirksgruppe Friesland statt. Den abendlichen Abschluss bildete ein „Volksfest der NS-Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude’ in der Festhalle“, an dem u. a. Mitglieder des Ensembles des Bremer Staatstheaters, eine Werkscharkapelle aus Nordhorn, und Gruppen der Heimatvereine Varel und Neuenburg sowie erneut die Fliegerhorstkapelle mitwirkten.
Eingebettet in die Festwoche waren weitere Aktionen wie z. B. die Verleihung der HJ Fahne an das Mariengymnasium. Diese Auszeichnung einer Schule setzte voraus, dass mindestens 90% der Schüler einer nationalsozialistischen Gliederung (z. B. der Hitlerjugend) angehörten, ein Prozentsatz, der am hiesigen Gymnasium bereits 1933 erreicht worden war. Solche Zahlen machen auch deutlich, wie stark der Gruppenzwang an einer Schule in nationalsozialistischer Zeit gewesen sein muss. Nicht in eine der nationalsozialistischen Jugendorganisationen einzutreten – dazu gehörte Mut und die Bereitschaft zum Außenseitertum.
Der Festumzug „lebender Bilder“ im Juli 1936
In Aufzeichnungen und auch noch in Erzählungen älterer Jeveraner ist meist von dem großen Festumzug anlässlich des Stadtjubiläums die Rede, bei dem verschiedene Stationen der jeverschen Geschichte dargestellt wurden. Dieser Umzug hat allerdings nicht in der Festwoche „400 Jahre Stadt – 1000 Jahre Jever“ im Juni stattgefunden, sondern vier Wochen später, als der Schützenverein sein jährliches Schützenfest feierte. Der Schützenverein war 1786 durch den Zerbster Fürsten Friedrich August ins Leben gerufen worden, beging also 1936 den 150. Jahrestag seiner Gründung. Das war der Anlass für eine Reihe von über den üblichen Schützenfestbetrieb hinausgehenden Veranstaltungen. Höhepunkt war dabei der Umzug am Sonntag, dem 19. Juli, der am folgenden Donnerstag wiederholt wurde.
Den Kern des Zuges bildeten 19 historische Gruppen, die z. T. auf von Pferden gezogenen Wagen postiert waren. So befand sich auf Wagen 3 Fräulein Maria mit ihrem Hofstaat, die Gruppe 10 stellte den Einzug der Kosaken in Jever 1813 dar, Gruppe 14 deutsche Soldaten im Frankreichfeldzug von 1870/71. Den Abschluss des Zuges bildeten SA-, SS- und Hitlerjugendverbände. Der Zug nahm seinen Ausgang auf dem Alten Markt und führte über Neue Straße, Wangerstraße, unteren Kirchplatz, St. Annenstraße, Blaue Straße, Lindenallee, Sophienstraße (und Albanistraße), Gr. Burgstraße und Gr. Wasserpfortstraße durch die Stadt und nahm dann über die Bahnhofstraße den Weg zum Festplatz am Schützenhof.
Von den in manchen Familien noch existierenden Bildern von diesem Festzug werden hier auch Fotos wiedergegeben, die in der Gr. Wasserpfortstraße aufgenommen worden sind. Sie vermitteln einen anschaulichen Eindruck von einzelnen Stationen des Zuges und geben darüber hinaus ein eindrucksvolles Zeitbild, weil auf ihnen die jeversche Synagoge zu sehen ist, die gut zwei Jahre später während des Novemberpogroms von nationalsozialistischen Fanatikern, Bürgern Jevers, in Schutt und Asche gelegt wurde. Vor diesem Hintergrund wirken die an dem der Synagoge gegenüberliegenden Haus gehisste rote Hakenkreuzfahne und die an den Girlanden befestigten Hakenkreuzwimpel wie ein flammendes Fanal.
Resümee
Die Bilder vom Festumzug sowie die Programmabfolge der Festwoche verdeutlichen, wie sehr die Nationalsozialisten das Stadtjubiläum zur Selbstdarstellung und zur weiteren Durchsetzung ihrer Ideologie nutzten. Nationalsozialistische Organisationen trugen das Programm der Festwoche und nationalsozialistische Prominenz des Gaues Weser-Ems war vielköpfig vertreten (Gau- und Reichsstatthalter Röver, Ministerpräsident und stellvertretender Gauleiter Joel, Minister Pauly u.a.). Selbst aus Berlin waren Funktionsträger angereist (Staatsrat Meinberg, DAF-Propagandist Cohrs, der Reichsfachamtsleiter für Turnen Carl Steding).
Wie sehr die nationalsozialistische Ideologie die Feiern prägte, wird aus den Beiträgen im Jeverschen Wochenblatt und den darin wiedergegebenen Ausschnitten aus den damaligen Festreden und Grußworten deutlich. Über die bereits zitierten Beispiele nationalsozialistischer Phraseologie hinaus lässt sich eine Vielzahl weiterer Belege finden. So endete das kurze Geleitwort des Kreisleiters der NSDAP Hans Flügel zum Jubiläum mit der Feststellung: „Das Leben ist ein ewiger Kampf, und wir wollen kämpfen, weil wir leben wollen“. Die Grußbotschaft, die Martha Behrens, Führerin des Mädelrings IV/59, „An die jeversche Jugend“ richtet, stellt fordernd fest: „Blut und Boden, Volk und Führer, sind Grundideen Eures Lebens“. Fast gleichlautend heißt es in einem redaktionellen Beitrag in derselben Ausgabe des Wochenblattes: „So ist denn die Festwoche ein Bekenntnis der Volksgenossen zu Führer, Volk, Blut, Boden, ein Beweis einiger Geschlossenheit. “ (alle drei Zitate: JWB20.7.1936) Die Rede des Reichsnährstand-Obmanns Meinberg benutzte die übliche Terminologie vom „Volk ohne Raum“ und der „Erzeugungsschlacht“, in der sich der Bauer zu bewähren hatte. Auch der aus Berlin erschienene Reichsfachamtsleiter Turnen, Carl Steding, betonte in seiner Festansprache die Rolle des Sports in der nationalsozialistischen Ideologie eindeutig: „Die Leibesübungen sollen dazu beitragen, unser Volk wehrkräftig zu machen.“
Eine Feier, bei der doch in erster Linie Heimatbezogenheit einen Ausdruck finden sollte, wurde von den Nationalsozialisten aus Propagandazwecken zu einem Ausbund der Volksgemeinschaftsideologie instrumentalisiert. Und instrumentalisieren ließen sich auch – soweit sie nicht ohnehin schon aufgrund ihrer nationalkonservativen Haltung eine deutliche Affinität zum Nationalsozialismus zeigten – verschiedene Heimatforscher, für die das Jubiläum auch ein willkommener Publikationsanlass war. Das gilt z. B. auch für Jevers späteren Ehrenbürger Karl Fissen, der oben bereits als Herausgeber der Festschrift erwähnt worden ist. Im Geleitwort zu deren erstem Band äußert er seine Überzeugung: „Heimatbewußtsein und Heimattreue werden in unserem neuen, vom Führer befreiten Vaterland eine sichere Stätte finden können.“
Sicherlich waren nicht alle Teilnehmer des Festumzuges beim Schützenfest oder der verschiedenen Programmpunkte der Festwoche überzeugte Nationalsozialisten; vermutlich konnten sich auch manche, die dem NS-System distanziert gegenüberstanden, an vielen Veranstaltungen, die das Stadtjubiläum mit sich brachte, begeistern. Auch darf nicht übersehen werden, dass zu diesem Anlass eine Fülle von feuilletonistischen Beiträgen und heimatkundlichen Aufsätzen erschien, von denen manche auch heute noch lesenswert sind. Doch darf dieser Ertrag des Stadtjubiläums nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in erster Linie eine nationalsozialistische Veranstaltung war. Man sollte nicht vergessen, dass bei den letzten freien Wahlen im März 1933 die Bevölkerung Jevers und des Jeverlandes sich mit 72,7% der Stimmen für das „Projekt Drittes Reich“ der gemeinsam agierenden NSDAP (60,1 %) und DNVP (12,6 %) entschieden hatten.
Quellen
- Programmheft der Festwoche 1936
- Ausgaben des Jeverschen Wochenblattes von Juni und Juli 1936