von Hartmut Peters
Hinweis: Die Situation von in sog. „Mischehen“ lebenden Ehepartnern wird außerdem in folgenden Artikeln dagestellt:
- Der Lebensweg der „arisch verheirateten“ Jüdin Johanne Titz geb. Weinberg und ihres Ehemannes Hermann Titz
- Der Apotheker Ulrich Mamlok und die Sonnen-Apotheke in Hohenkirchen
- Eva Basnizki: Erinnerungen eines „Mischlings 1. Grades“
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Inhaltsverzeichnis
- Max und Paula Solmitz – zwei Opfer des Holocaust aus Schortens-Heidmühle
- Das Schicksal der Kinder Lina, Käthe, Adolf und Arthur
- Die abenteuerliche Rettung von Helene Duden geb. Solmitz und ihrer Kinder durch den Ehemann
1: Max und Paula Solmitz – zwei Opfer des Holocaust aus Schortens-Heidmühle
Zur Zeit des Nationalsozialismus lebten in Schortens nur wenige Juden. Bekannt sind bisher allein Max und Paula Solmitz, die Mitte der 1920er Jahre in der Jeverschen Straße 16 eine Viehhandlung und eine Schlachterei aufmachten und ihre Kinder. Max und Paula Solmitz verloren durch das NS-Terrorregime ihr Leben. Der Weg ihrer Kinder durch die NS-Zeit war lebensgefährlich. Ihr Leben blieb zum Teil bis in die 1980er Jahre mit Schortens eng verbunden.
Max Solmitz wurde am 8. Februar 1879 in Asendorf im heutigen Landkreis Diepholz (frühere Grafschaft Hoya) rund 35 km südlich von Bremen geboren. Er war ein Sohn des Schlachters, Viehhändlers und Lohgerbers Adolf Solmitz (1851 Isernhagen – 1928 Bremervörde) und dessen Ehefrau Henriette geb. Levy (1850 Carolinensiel – 1925 Bremervörde). Diese war eine Schwester von Julius Levy und damit eine Tante von Fritz Levy (1901 – 1982), des sehr bekannten „letzten Juden von Jever“, über den in den 1990er Jahren der Dokumentarfilm „Fritz lebt!“ entstand.
Max Solmitz lernte das Schlachterhandwerk in einer jüdischen Schlachterei in der Kreuzstraße des Bremer Ostertorviertels und heiratete um das Jahr 1905 herum Paula Baum, geboren am 30. Juni 1886 in Herne als Tochter des dort ansässigen Schlachters und Inhabers einer Speisewirtschaft Abraham Baum und seiner Ehefrau Regina geb. Hellwitz. Nach der Geburt der Kinder Lina 1905, Käthe 1907 und Adolf 1910 ging die Familie zusammen mit den Eltern von Max Solmitz aus dem Hoyaschen nach Bremervörde. Hier lebten die Solmitz zunächst zur Miete in der Neuen Straße 118 und schalteten unter der Firmenbezeichnung „A. Solmitz & Sohn“ Anzeigen wie: „Haben fortwährend hochtragende Starken und Kühe sowie Weidevieh zum Verkauf und Tausch gegen bar und auf Kredit.“ (Bremervörder Zeitung, 12.10.1912) Wenig später machte sich Max Solmitz als Viehhändler „Max Solmitz jun.“ selbständig und erwarb in der Nachbarschaft ein eigenes Haus. 1914 und 1917 kamen die Kinder Arthur und Helene zur Welt. Der Erste Weltkrieg, den der Familienvater von Anfang bis Ende als aktiver Soldat bei der Artillerie mitmachte, brachte den Geschäftsbetrieb völlig zum Erliegen. Er kämpfte von 1914 bis 1917 an der Ostfront und anschließend im Westen. Hier wurde er schwer verwundet und lag bis Ende 1918 im Lazarett. Die linke Seite des Körpers wurde von Splittern getroffen, die nicht entfernt werden konnten und den Arm teilweise lähmten. Der zu 60 Prozent Kriegsversehrte erhielt das Eiserne Kreuz und das Kriegsversehrtenabzeichen.
In der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit orientierten sich Max und Paula Solmitz mit ihren fünf Kindern zunächst nach Jever und wohnten dort in der Mühlenstraße 18. Die jüngeren Kinder gingen in Jever zur Schule. Max Solmitz arbeitete zeitweise in der Schlachterei seiner 1919 verwitweten Tante Nanny Levy geb. Emanuel (1867 – 1942, ermordet in Maly Trostenez). Es scheint, er habe zunächst nach dem Willen der Witwe den Betrieb übernehmen sollen. Dieser wurde dann aber von ihrem Sohn Fritz, dem Cousin von Max, weitergeführt. 1926 zog Max Solmitz von Jever nach Heidmühle, wo er in der Jeverschen Straße 16 in Bahnhofsnähe eine Schlachterei kaufte, wegen seiner Kriegsverletzung, die schwere körperliche Arbeit behinderte, einen Schlachter einstellte und nunmehr überwiegend mit Vieh handelte. Nach erfolgreichen Jahren verpachtete er aufgrund des wirtschaftlichen Drucks und der Boykottmaßnahmen der örtlichen Nationalsozialisten („Deutsche, kauft nicht bei Juden!“) Ende 1934 Haus und Schlachterei an den bei ihm angestellten nichtjüdischen Schlachter Fiddie Siefken und strebte eine Beschäftigung als Nichtselbständiger an. Max Solmitz wird als ein großer, blonder, humorvoller und sehr gutmütiger Mensch charakterisiert. Die Familie war in ihrer religiösen Einstellung ganz liberal, aß z. B. Schweinefleisch, die Kinder heirateten überwiegend Nichtjuden. Die Schlachterei Solmitz und der nachfolgende Pächter (und baldige Hausbesitzer und Inhaber) waren noch in den 1990er Jahren in Schortens-Heidmühle namentlich recht bekannt.
Aus Schortens vertrieben, fand Max Solmitz durch befreundete Mitglieder der Kriegsopferversorgung eine Anstellung bei der Großschlachterei Pieper in Cloppenburg. Diese verlor der Jude auf Intervention des Gauleiters von Weser-Ems Carl Röver, eines glühenden Antisemiten. Röver hatte sich unwissentlich neben Solmitz bei einer Besichtigung des sog. „Gau-Musterbetriebs“ Pieper für ein inszeniertes Zeitungsfoto hatte ablichten lassen, dessen Veröffentlichung sich ausschloss. Das Ehepaar wohnte in der Ziegelhofstraße 10 bei einer nichtjüdischen Familie, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht verboten war.
Im Juni 1937 zog das Ehepaar nach Oldenburg, wo es zeitweise beim jüdischen Pferdehändler Moses Bollegraf Wohnung und Max Solmitz bis zu ihrem Verkauf 1938 bei der Handelsgesellschaft Merkur (Kaufhaus „Wohl-Wert“) des jüdischen Kaufmanns Bernhard Baermann in der Schüttingstraße 8 Arbeit fand. Während des Pogroms von 1938 wurde er am 10. November in das Oldenburger Gerichtsgefängnis verschleppt („Schutzhaft“), aber am 11. November wieder entlassen und nicht wie die anderen Juden in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin transportiert. Die Freilassung erfolgte vermutlich deshalb, weil Max Solmitz Träger des Eisernen Kreuzes und kriegsversehrt war. Im Zuge der nach dem Pogrom forcierten Arisierungen musste das Haus in Schortens-Heidmühle unter Zwang verkauft werden und ging an den ehemaligen Angestellten Fiddie Siefken, zu dem immer ein gutes Verhältnis bestanden hatte. Das erlöste Geld wurde nach Abzug der staatlichen „Sonderabgaben“ für Juden auf einem Sperrkonto festgehalten, von dem monatlich nur etwa 100,– RM abgehoben werden durften, von denen der jetzt arbeitslose Max Solmitz und seine Ehefrau leben mussten. Ob die Solmitz zu dieser Zeit eine Emigration versuchten, ist unbekannt. Sie wäre auch, wie vergleichbare Fälle zeigen, faktisch fast nicht mehr möglich gewesen.
Anfang des Jahres 1940 machten die regionalen Nationalsozialisten unter Federführung der Gestapo Wilhelmshaven den Gau Weser-Ems „judenfrei“. Mit Ausnahme der in „Mischehe“ lebenden mussten alle Juden unter Androhung des Konzentrationslagers innerhalb weniger Wochen in eine Großstadt östlich des Rheins ziehen. [Link zu „Vertreibung der Juden aus Jever“] Am 23. April 1940 wich das Ehepaar von Oldenburg zunächst zu Verwandten der Frau nach Herne, die dort in der Moltkestraße 10 wohnten, aus. Von dem Herner „Judenhaus“ in der Bahnhofstraße 53 aus erfolgte dann gut zwei Jahre später, am 29. Juli 1942, die Deportation nach Theresienstadt. Der Zug ging vom Herner Bahnhof über Dortmund in das genannte Konzentrationslager. Dort starb Max Solmitz am 20. März 1943. Paula Solmitz wurde am 15. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Der Transport kam dort am 16. Mai 1944 an. Sie ist sehr wahrscheinlich noch an diesem Tag in einer der Gaskammern des Vernichtungskomplexes Auschwitz-Birkenau ermordet worden. Die Namen Max und Paula Solmitz befinden sich auf dem 1996 eingeweihten Mahnmal für die Ermordeten Juden Jevers in der Frl. –Marienstraße, auf der Gedenktafel von 2010 in Bremervörde und auf dem 2013 errichteten Mahnmal für die Opfer aus der Stadt Oldenburg.
2: Das Schicksal der Kinder Lina, Käthe, Adolf und Arthur
Die 1905 geborene älteste Tochter Lina heiratete nach 1925, wo sie noch bei ihren Eltern in Jever wohnte, und vor 1935, als die Nürnberger Rassegesetze solche Verbindungen ausschlossen, einen Christen. Das Ehepaar kam im Zweiten Weltkrieg an seinem späteren Wohnsitz Stuttgart bei einem alliierten Bombenangriff ums Leben.
Die 1907 geborene Tochter Käthe heiratete um 1930 den Christen Ewald Wodtke, das Ehepaar lebte in Heidmühle. Ende 1943 (Poststempel 15.11.1943) erreichte Käthe Wodtke eine auf den 13. August datierte Postkarte aus dem Konzentrationslager Theresienstadt; Absender war ihre Tante Selma Bendix aus Herne. Vermutlich erst über diese Postkarte erfuhr die Tochter vom Tod des Vaters „im März nach kurzer Krankheit“ in Theresienstadt. Von ihrem Bruder Arthur, der Mitte 1943 in den Niederlanden in den Untergrund gegangen war, hatte sie sicherlich nichts erfahren. Selma Bendix wurde mit demselben Transport am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wie die Mutter Paula Solmitz. Der Ehemann von Käthe Wodtke fiel als Soldat 1944 im Baltikum, kurz zuvor war am 20.10.1944 die Tochter Iris geboren worden. Käthe Wodtke, die durch den Tod ihres Mannes den „Schutz“ der „privilegierten Mischehe“ verloren hatte und jetzt unmittelbar wie auch ihre Tochter von den Deportationen bedroht war, starb im Frühjahr 1945 nach längerer Krankheit in Heidmühle. Pastor Gerdes, Heidmühle, habe sich geweigert, die Grabrede zu halten, „er wolle nicht seinen Posten im schönen Heidmühle verlieren“. Dann habe Pastor Dr. Christel Matthias Schröder aus Jever angerufen, um zu helfen, doch da sei schon ein freier Redner aus Wilhelmshaven angesprochen gewesen (nach Ernst Duden, 1994). Die Tochter kam zu den in Schortens lebenden nichtjüdischen Schwiegereltern Wodtke.
Postkarte aus „Theresienstadt/Protektorat“ vom 13.8.1943 an Käthe Wodtke. Die Zensur der Mitteilungen ist offensichtlich. Enthalten ist ein Gruß an „Fiddie“ (Siefken). Archiv H. Peters
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Der 1910 geborene Sohn Adolf war noch im Januar 1933 in Schortens-Heidmühle polizeilich gemeldet. Später wohnte er u.a. in Frankfurt am Main. Obwohl Jude, arbeitete er während des Krieges in Thüringen bei der Organisation Todt, der staatlichen Organisation für den Bau von Militäranlagen, Straßen usw. Es ist anzunehmen, dass er eine andere Identität angenommen hat und so die NS-Zeit überlebte. Nach Kriegsende soll er bei einem kurzen Aufenthalt in Bremervörde erzählt haben, dass in seiner Geburtsurkunde als Religionsbekenntnis „evangelisch“ angegeben sei. Zeitweilig versuchte er, sich in der SBZ eine Existenz aufzubauen, ging dann aber nach Westdeutschland. Präzise Informationen liegen nicht vor.
Der 1914 geborene Sohn Arthur erlernte nach der Schulzeit in Jever in Elsfleth das Schlachterhandwerk, Ende 1933 kam er nach Heidmühle zurück und arbeitete zeitweise bei Fritz Levy in Jever als Schlachter, dessen Betrieb zu dieser Zeit Notschlachtungen vornehmen durfte. 1934 orientierte er sich wie die Eltern nach Cloppenburg, wo er beim Schlachter Wilhelm Gerdes Anstellung fand, was nicht überall Zustimmung fand. Nach einem Streit über seine jüdische Herkunft in einer Gaststätte flüchtete er 1937 mit dem Motorrad in die Niederlande. Hier heiratete er die deutsche Jüdin Jenny Kahn (geb. 1912 in Wawern/Saar). 1939 wurde in Amsterdam die Tochter Ilse geboren. Arthur Solmitz arbeitete hier als Textilhändler. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutschen Truppen ging das Ehepaar 1943 in den Untergrund, das Kind wurde anderweitig versteckt. Die Ehefrau wurde entdeckt und über Westerbork 1944 nach Auschwitz deportiert. Einmal wurde auch Arthur Solmitz verhaftet, aber von niederländischen Widerstandskämpfern befreit.
Nach dem Krieg heiratete er in zweiter Ehe eine Niederländerin, mit der er einen Sohn hatte. Diese folgte ihm 1947 nach Cloppenburg verließ ihn aber drei Jahre später wieder und nahm neben dem gemeinsamen Kind auch die Tochter aus der ersten Ehe mit. Arthur Solmitz arbeitete zunächst wieder in der Schlachterei Gerdes und danach bei einer Viehhandelsagentur. Er besaß seit 1951, vermutlich wegen der Ehe mit der Niederländerin, außer der deutschen auch die niederländische Staatsbürgerschaft und ließ seinen Pass aufgrund seiner Verfolgungserfahrung regelmäßig verlängern. Er war an der Entdeckung des in Cloppenburg unbehelligt lebenden und später in Oldenburg zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilten NS-Verbrechers Erich Kassner, des Zivilgouverneurs von Kowel (Ukraine), beteiligt. Dieser war ihm in einer Gaststätte durch eine antisemitische Äußerung aufgefallen. Um das Jahr 1958 herum machte Arthur Solmitz sich erfolgreich selbständig und kaufte meist Vieh auf, das mit der Bahn nach Dortmund gebracht wurde. Es soll Diabetiker gewesen sein. Bis zu seinem Tod lebte er in Cloppenburg, starb aber in Lünen (Kreis Unna) am 16.2.1966.
3: Die abenteuerliche Rettung von Helene Duden geb. Solmitz und ihrer Kinder durch den Ehemann
Die 1917 geborene jüngste Tochter Helene heiratete am 6. Oktober 1934, also unmittelbar vor dem Wegzug der Eltern und des Bruders Arthur nach Cloppenburg, in Heidmühle den nichtjüdischen Elektromonteur Ernst Duden (1913 – 2009) aus Sande. Ernst Duden, dessen Vater Maurermeister war, stammte aus einem sozialdemokratisch orientierten Elternhaus, war von Jugend auf politisch sehr interessiert, von hoher Auffassungsgabe und ein qualifizierter Facharbeiter. Der Kontakt zu Juden war für ihn wegen des benachbarten Neustadtgödens, in dem im Gegensatz zu Sande einige Juden lebten, selbstverständlich. Die Hochzeitsfeier fand in der Wohnung der Schwiegereltern statt. Nach dem Wegzug der Solmitz zog das junge Ehepaar in die jetzt frei werdende Wohnung im Obergeschoss des Hauses ein. Die Heirat erfolgte zwar zeitlich vor dem „Gesetz zum Schutze des Blutes und der deutschen Ehre“ von September 1935 („Nürnberger Rassegesetze“), das solche Ehen verboten, war aber alles andere als selbstverständlich, wie öffentliche Demütigungen in vergleichbaren Fällen und auch die „Rasseschande“-Kampagne von Juni 1934 gegen Fritz Levy im benachbarten Jever verdeutlichen. [LINK auf Levy-Biographie]. In den Monaten, die das Ehepaar in Heidmühle wohnte, kam es zu antisemitischen Schreiereien einzelner vor dem Haus, doch während der Umzüge der SA sei nichts passiert. (Duden) Wegen der Heirat aber verlor Ernst Duden im Frühjahr 1935 seine Anstellung auf der Kriegsmarinewerft in Wilhelmshaven. Die Arbeiterschaft, die überwiegend gegen den Nationalsozialismus eingestellt war, billigte das Vorgehen der auf die Werftleitung Druck ausübenden NSDAP nicht, wie Duden später erfuhr.
Die Familie zog 1935 nach Bremen, wo Ernst Duden auf Grund des ihm ausgestellten exzellenten Zeugnisses eine Anstellung bei der Firma Siemens bekam. Im Bremen wurde aus Tarnungsgründen öfter die Wohnung gewechselt. Ernst Duden konnte verbergen, aus welchem Grund er in Wilhelmshaven entlassen worden war. Im Jahre 1940, als sich die Luftangriffe häuften und die Situation für Juden immer bedrohlicher wurde, brachte Ernst Duden seine Frau, die 1935 geborene Tochter und den 1938 geborenen Sohn nach Weida ins von Luftangriffen unberührte thüringische Vogtland („Reichsluftschutzkeller“). Er fälschte die Stammbäume, unternahm auch sonst alles, um die Familie zu retten, und kennzeichnete 1994 sein Verhalten als eine „Kette von Lügen“, für die er damals „1.000 Jahre Zuchthaus bekommen“ hätte. Seine Tochter erzählte, dass sie und ihr Bruder im Vogtland eine recht unbeschwerte Zeit gehabt und von ihrer jüdischen Gefährdung erst nach dem Krieg erfahren hätten. 1940/1941, in der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts, arbeitete Ernst Duden als Techniker von Siemens, zu diesem Zweck ausgestattet mit hochwertiger Kleidung, in Leningrad und schickte von hier auch Pakete zur Familie. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 konnte er nach einigen Monaten der Internierung über die Türkei nach Deutschland zurückkehren. Danach arbeitete er in Lorient, Frankreich, als Siemens-Techniker bei der Instandsetzung deutscher U-Boote und schickte Pakete – ohne Kaffee, um nicht aufzufallen – und Geld zu seiner Familie ins Vogtland. Ernst Duden bezog im Auslandsdienst zeitweise ein erhöhtes Gehalt und vermochte es auch deshalb, seine Familie zu unterstützen. Eine Zeit war er auch bei Danzig („Gotenhafen“) eingesetzt. Ab Herbst 1944 wurde es für ihn als jüdisch Verheirateten immer schwieriger, der für diese Gruppe vorgesehenen, bewachten Zwangsarbeit zu entgehen. Er meldete sich deshalb nicht bei den zuständigen Behörden an und erhielt seine Lebensmittelkarten auf anderen Wegen. In der Zeit 1944/1945 kam er auch für etwa acht Wochen wieder auf die Werft von Wilhelmshaven und erlebte das Kriegsende auf Helgoland und in Cuxhaven. Sofort unterlief er die Festsetzung bzw. Kriegsgefangenschaft durch die Alliierten und machte sich, meist zu Fuß, ins Vogtland auf. Von dort brachte er unter abenteuerlichen Umständen Frau und Kinder gerade noch rechtzeitig, während die russischen Truppen schon in Thüringen einmarschierten, in die britisch besetzte Zone und dann nach Bremen.
Ernst Duden hat bis 1945 angenommen, dass seine Schwiegereltern noch leben könnten, und trotz seiner guten Kontakte und weiten Reisen vom Ausmaß des Holocaust – und das ist in diesem Falle glaubhaft – erst nach Kriegsende erfahren. Nach der Zwischenstation in Bremen wohnte die Familie Duden ab Anfang 1946 dann wieder in Heidmühle, wo die Kinder die Schule besuchten. Ursprünglich sollte auch die Tochter der verstorbenen Käthe Wodtke bei ihnen aufwachsen, doch die Schwiegereltern ließen das dann doch nicht zu. 1950 lebte bei den Duden für ein dreiviertel Jahr auch die Tochter Ilse des Bruders Arthur von Helene Duden. Nach seiner Rückkehr aus den USA Ende 1950 fand hier kurzzeitig Fritz Levy Quartier, bis er ein Zimmer im ehemals elterlichen Haus in Jever beziehen konnte. Ernst Duden kennzeichnete die Zeit nach dem Krieg als schlimm, da dieselben durch den Nationalsozialismus belasteten Kräfte am Werke waren, es Diskriminierungen für seine deutsch-jüdische Familie bei Lebensmittelkarten und Bevorzugungen für die Vertriebenen aus den verlorenen deutschen Ostgebieten gegeben habe. Helene Duden wird für 1948 als Mitglied der jüdischen Gemeinde Oldenburg aufgeführt, was vermutlich auf die von dort erfolgte Unterstützung bei Entschädigungsverfahren für NS-Opfer zurückzuführen ist. Sie starb am 4. Dez. 1985 in einem Wilhelmshavener Krankenhaus. Ernst Duden arbeitete bis zu seiner Pensionierung beim Ernergieunternehmen RWE. Er starb im Jahre 2009.
Benutzte Literatur und Quellen
- Bachmann, Elfriede: Zur Geschichte der Juden in der Stadt Bremervörde insbesondere im 20. Jahrhundert.-In: Rotenburger Schriften, hg. v. Heimatbund Rotenburg/Wümme, Jg. 1991, H 74/75, S. 129 – 200
- Erinnnerungsbuch: Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933 – 1945.- Bremen 2001 vgl. auch www.erinnerungsbuch-oldenburg.de
- Warmhold, Hannelore: Arthur Solmitz – der vergessene Jude von Cloppenburg.- MS 2012 (vgl. auch „Cloppenburgs vergessene Juden“, Nordwest Zeitung v. 25.1.2012)
- Archiv des Landkreises Friesland, 102-08 Judentum
- Auskünfte der Städte Cloppenburg, Herne und Schortens und von Frau Warmhold, Cloppenburg (1994, 2015)
- Archiv H. Peters, vor allem Tonbandprotokoll des Interviews mit Ernst Duden, Schortens, vom 5.10.1994, 94 min.