Übersichtsseite: Besuch der in der NS-Zeit vertriebenen Juden in Jever im Jahre 1984: Dokumentation
Sehr geehrte Projektgruppe, geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren!
Als gebürtige Jeveranerin und als eine der älteren Besucher ist es mir hier ein Bedürfnis, einige Gedanken auszusprechen. Als wir nach beinahe 50 Jahren im Ausland gelebt zu haben, zuerst von der Einladung hörten, reagierten wir – und wahrscheinlich wird es einigen anderen Jeveraner Juden ebenso ergangen sein – skeptisch, hatte es doch in fast 50 Jahren keinen Versuch zu einem Kontakt gegeben. Aber sehr wahrscheinlich wären wir in einem früheren Stadium auch noch nicht reif gewesen, um eine uns gereichte Hand zu akzeptieren. Wir wussten wohl, dass einige Bestrebungen in dieser Richtung im Gange waren, wie zum Beispiel die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Oldenburg.
Der Grund, dass wir dieser Einladung Folge geleistet haben, ist einzig und allein euch Schülern und jungen Lehrern des Mariengymnasiums zu verdanken. Ihr seid junge Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus noch nicht geboren wart. Ihr seid unbelastet von der Vergangenheit. Ihr habt im Herbst 1982 ein Projekt geplant über die Geschichte der Juden in Jever und eine Ausstellung darüber organsiert, die außer in Jever auch noch in einigen anderen Orten gezeigt wurde. Schließlich stelltet ihr die Forderung an die Stadt Jever mitzuwirken, die ehemaligen jüdischen Mitbürger nach Jever einzuladen, damit sie ihre Heimatstadt noch einmal wieder sehen sollten. Ihr jungen Menschen seid systematisch an die Arbeit gegangen, um diesen Plan zu verwirklichen und ihr habt es gewiss nicht leicht gehabt, die erheblichen finanziellen Mittel dafür zusammenzubekommen und auch die organisatorischen Probleme zu lösen. Ich gratuliere euch zu diesem Resultat und sicherlichlich spreche ich auch hiermit im Namen aller anderen, wenn ich euch für die großzügige Gastfreundschaft danke.
Natürlich werdet ihr begreifen, dass diese Wiederbegegnung mit unserer Heimatstadt uns allen gewiss nicht leicht ist, verbunden mit emotional geladenen Gefühlen. Wie erkennen die Straßen und zum Teil die Häuser, in denen wir und unsere Eltern, Angehörigen und Freunde gelebt haben und aus denen wir ALLE vertrieben wurden. Das bedeutete für den überwiegenden Teil der HOLOCAUST.
Wir nehmen die Genugtuung mit nach Hause, dass ein Teil der Jugend hier heute bestrebt ist, mit der Vergangenheit abzurechnen. Ich möchte hiermit noch die Warnung verbinden, wach zu bleiben. Der Dämon der Vernichtung ist angeschlagen, aber nicht tot. Nazis und Neonazis warten wieder auf Möglichkeiten.
(Wortlaut des originalen Redemanuskripts, Sammlung H. Peters)