Inhaltsverzeichnis
- Der „Völkische Beobachter von Jever“ (Theodor Tantzen, 1924)
- Der Schriftleiter Friedrich Lange und die Umgestaltung zur völkisch-nationalen Zeitung bis 1928
- Der Wandel zu einem Kampfblatt der NSDAP ab 1929
- Die Methoden der Leserbeeinflussung
- Resumee der Jahre 1919 – 1932
- Zwischen Republik und Diktatur Anfang 1933
- Die Mitgestaltung von NS-Volksgemeinschaft und NS-Politik im Lokalteil
- Das JW, die NS-Presselenkung und die Verantwortung des Verlegers Enno Mettcker
- Zur Sicht des JW auf die eigene NS-Vergangenheit nach 1945
1: Der „Völkische Beobachter von Jever“ (Theodor Tantzen, 1924)
Die Tageszeitung „Jeversches Wochenblatt“ (JW) gelangte um das Jahr 1925 mit ca. 3.500 Exemplaren in fast alle Haushalte der 6.000-Einwohner-Stadt Jever und der umgebenden ländlichen Siedlungen des Verwaltungsamtes Jever. In Stadt und Amt Jever lebten zusammen rund 30.000 Einwohner. Dieses Gebiet ging bei der Verwaltungsreform von 1933 im Landkreis Friesland auf. Es findet sich heute noch in den Bezeichnungen „Jeverland“, worunter man aber meist nicht mehr die Gemeinde Sande und die Stadt Schortens versteht, und „Nordkreis“ im Gegensatz zu „Südkreis“ mit dem Hauptort Varel.
Das JW war vor der Etablierung von Rundfunk und Fernsehen die wichtigste Informationsquelle dieses Gebiets, in der lokalen Berichterstattung ernsthaft konkurrierende Zeitungen existierten nicht. Das in Rüstringen erscheinende „Volksblatt – Tageszeitung der SPD für Oldenburg und Ostfriesland“ war die einzige Alternative und spielte in den sozialdemokratisch beeinflussten Orten (Schortens, Heidmühle, Sande und Minssen) eine gewisse Rolle. Das im Verlag Mettcker erscheinende JW besaß aber auch für die bis 1931 überwiegend „roten“ Orten eine fast monopolartige Informations- und Werbeträgerfunktion und zudem den Vorteil, Träger der amtlichen Anzeigen zu sein. Die Zeitung war ein wichtiger Faktor bei der Meinungs-, Willens- und Geschmacksbildung der Bevölkerung in Politik und Kultur, zumal sie über fast jede Parteiveranstaltung berichtete und die gut gepflegte Leserbriefecke („Eingesandt“) das Forum des politisch interessierten Zeitgenossen war. Im Kulturbereich gab es lokal keine andere Wahl. Nur wenige Einwohner hielten sich ein Oldenburger oder gar überregionales Blatt.
Die historische Rolle des JW beim Aufstieg der Nationalsozialisten schilderte 1938 die NSDAP in einer Festschrift zum zehnjährigen Jubiläum der Ortsgruppe, die passend bei Mettcker gedruckt wurde, nicht übertreibend:
„Das Jeversche Wochenblatt, das sich als einzige Tageszeitung im Oldenburger Lande vor Aufkommen der völkischen und nationalsozialistischen Presse für eine völkische Politik eingesetzt hatte und im Gegensatz zur herrschenden Zeitströmung stets für eine saubere deutsche Lebensordnung und –gestaltung eintrat, unterstützte die Hitlerbewegung schon in den ersten Jahren ihres Kampfes nach Kräften.“ (10 Jahre NSDAP Jever, S. 7)
Die Kennzeichnung „Völkischer Beobachter von Jever“, die bereits 1924 der liberale Ministerpräsident Oldenburgs Theodor Tantzen als Vergleich mit dem offiziellen Parteiorgan der NSDAP prägte, wird ergänzt durch den Volksmund. Dieser kannte noch in den 1980er Jahren den Beinamen „Der kleine Stürmer“. Hiermit spielte man auf das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ von Julius Streicher an, das in Jever in gleich drei sogenannten „Stürmer-Kästen“ aushing. „Klein“ meinte entweder das geringere Format der Zeitungsseiten oder den doch minderen Anteil rassistischer Tiraden des JW. Im Gegensatz zu einem Parteiorgan druckte das JW aber bis zum Februar 1933 in einem kleinen Umfang Leserbriefe demokratischer Einwohner ab und berichtete auch über Parteiveranstaltungen der NS-Gegner, um sich einen Hauch von Unabhängigkeit zu wahren.
Zum 150jährigen Jubiläum im Mai 1941 erhielt das JW eine ganze Reihe von Glückwunschschreiben der Politprominenz. Acht Jahre nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der „Gleichschaltung“ der Presselandschaft war das JW eine der recht wenigen nicht in die Parteipresse eingegliederten Zeitungen in privater Hand, und zwar deshalb, weil es 1933 längst ein Quasi-Parteiorgan war und nur die genannten Feigenblättchen weglassen musste. Der für Propaganda und die Presse zuständige Reichsminister Goebbels, der im Mai 1932 mit Unterstützung aus den Spalten des JW im jeverschen „Schützenhof“ aufgetreten war, kabelte 1941: „ Ich … wünsche … auch für die Zukunft erfolgreiches Wirken im Dienst an Führer und Volk. Heil Hitler!“ Carl Röver war seit 1923 als nationalsozialistischer „Vorkämpfer“, dann als Ministerpräsident von Oldenburg und schließlich als Gauleiter von Weser-Ems ungezählte Male im Jeverland aufgetreten. Er setzte 1941 seinem Glückwunschbrief ein handschriftliches Notabene hinzu: „Ihr Blatt hat einen großen Anteil aus der der Kampfzeit für Adolf Hitlers Revolution.“ (JW, 5.5.1941)
2: Der Schriftleiter Friedrich Lange und die Umgestaltung zur völkisch-nationalen Zeitung bis 1928
In der Endphase des Wilhelminischen Kaiserreichs war das JW eine handwerklich seriöse, in der Tendenz konservative, bismarcknostalgische und monarchietreue Zeitung gewesen, die durchaus auf liberale Strömungen einging und auch damit den Einstellungen ihrer hauptsächlich bürgerlichen Leserschaft entsprach. Dem im Kaiserreich seit 1880 aufgekommenen rassistischen und völkisch-antisemitischen Gedankengut wurde über die Chronistenpflicht hinaus kein besonderer Raum gegeben. Das sollte sich nach der Revolution von November 1918 und zu Beginn der Weimarer Republik entscheidend ändern. Stichtag war der 1. Januar 1919, als der Verleger Enno Mettcker (1878 – 1946) als Nachfolger von Hermann A. Reinhardt, der als Anhänger der Deutschen Volkspartei (DVP) Stresemanns gelten kann, mit Friedrich Lange einen Schriftleiter (Chefredakteur) einstellte, der alles andere als ein unbeschriebenes Blatt war.
Der neue Mann an der Spitze der Zeitung (1879 Braunschweig – 1952 Jever) war der Sohn des bekannten gleichnamigen völkischen Journalisten und Politikers Dr. Friedrich Lange (1852 – 1917), der zu den führenden Publizisten der nationalen und antisemitischen Rechten des Kaiserreichs gehörte und umtriebig eine Sammlungsbewegung des entsprechenden Gesinnungsspektrums anstrebte, um dessen politische Wirksamkeit zu erhöhen. Lange sen. war u.a. geschäftsführendes Mitglied im „Alldeutschen Verband“, er gründete Mitte der 1890er Jahre den rassistischen „Deutschbund“ sowie die „Deutsche Zeitung“, die er bis 1912 selbst herausgab und zur führenden Tageszeitung der extremen Rechten entwickelte. Lange jun. studierte nach dem Gymnasium in Berlin zunächst Landwirtschaft, trat 1899 in die väterliche Zeitung ein und gehörte ihrer Schriftleitung bis 1910 an. Nach Stationen in Elbing und Insterburg übernahm er 1913 die Leitung der „Zeitung für Hinterpommern“ in Stolp, von wo er nach Jever wechselte.
Ludolf Haase (1898 – 1972), ein früher Hitler-Vertrauter und Gründer der Göttinger Ortgruppe der NSDAP, kennzeichnete 1942 Langes Wirken in den Sachaussagen zutreffend: „In der … Kreisstadt Jever hat wohl ganz besonders den Weg für die Bewegung Dr. [sic ]Lange bereitet, der Sohn des großen völkischen Vorkämpfers Dr. Friedrich Karl Lange … Der Sohn dieses Deutschbund-Lange war nämlich (und ist es auch heute noch) Redakteur des Jeverschen Wochenblattes. Wo sein Vater … schon seit den 80er Jahren unermüdlich immer versucht hatte, in Presse und Literatur den führenden Kreisen sowohl wie auch der Allgemeinheit klar zu machen, dass nur ein nationaler Sozialismus Deutschland retten könne, da kann man sich vorstellen, wie die Arbeit des Sohnes … den Boden für die Bewegung im Jeverlande aufgelockert hat.“ (Haase, S. 94 f.)
In der Tat kombinierte Lange mit Dienstantritt seine politischen Interessen umtriebig mit seinem Beruf und förderte die aufblühende, vielfältige und noch nicht auf Hitler fokussierte völkische Szene nach Kräften und gelegentlich sogar über das rechtlich erlaubte Maß hinaus. Die Entwicklung der publizistischen Tendenz des JW zwischen 1919 und 1945 lässt sich in zwei Phasen einteilen. Einem deutsch-nationalen und völkischen Vorlauf folgte ab 1928/29 die immer deutlicher werdende Hinwendung zur erstarkenden NSDAP mit dem Zielpunkt der Machtübertragung von 1933.
Sofort schloss Lange sich der „Sicherheitswehr“ an, die von den bürgerlichen Kreisen zur Abwehr sozialistischer Umtriebe im Kontext der Revolutionsunruhen von 1918/19 gegründet worden war und die er publizistisch unterstützte. 1920 trat Lange der in diesem Jahr gegründeten Ortsgruppe des „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes“ bei. Diese Nachfolgeorganisation des väterlichen „Deutschbundes“ wurde nach der Ermordung des jüdischen Reichsaußenministers (6. Juli 1922) durch die „Legion Condor“, ihres illegalen militärischen Arms, im Freistaat Oldenburg verboten. Ein bei dem örtlichen Leiter, dem Gymnasiallehrer Dr. Oskar Hempel, bei einer Hausdurchsuchung gefundener Brief zeigt Kontakte zum putschbereiten Hitler-Ludendorff-Lager auf. Hempel stand im Verdacht, zur Terror-Organisation „Condor“ in Beziehung zu stehen. Der notorische Rassist Hempel, gegen den zu diesem Zeitpunkt das Oldenburger Schulministerium ein Disziplinarverfahren wegen antisemitischer Reden führte, und andere Scharfmacher hatten freien Zugang zu den Leserbriefspalten des JW, dessen allgemeiner Teil auch zunehmend dieser Tendenz entsprach. Anschließend trat Lange der Deutsch-Völkischen Freiheitsbewegung bei, die ab 1923/24 die extremen Rassisten und Demokratiefeinde des bürgerlichen Lagers sammelte, bei Wahlen mit der zeitweise verbotenen Hitler-Bewegung bzw. NSDAP zusammenging und entsprechende publizistische Unterstützung bekam.
Die NSDAP und ihre Neben- und Vororganisationen besaßen spätestens 1922 Mitglieder und Sympathisanten im Jeverland. Im April 1923 bestand im Carolinensiel eine Ortgruppe des „Vereins deutschdenkender Arbeiter“, der das Hakenkreuz auf dem Mitgliedsausweis führte. Sehr rührig war hier der Lehrer Heinrich van Dieken, der auch der Ortsgruppe Jever des Verbandes nationalgesinnter Soldaten angehörte und ab den Reichstagswahlen 1924 als nationalsozialistischer Aktivist hervortrat. In Sillenstede versteckten die ersten Nationalsozialisten, angeblich zur Vorbereitung des Hitlerputsches vom November 1923, ein Waffenlager „… bei einem Pg. Blohm gut unten im Keller“, wie Ludolf Haase zu berichten weiß. (Haase, S. 99) Im August 1923 hob die Polizei bei dem Bauern und Gemeindevorsteher Pielstick in Sillenstede ein umfangreiches Waffenlager aus. Im Oktober 1923 wurde der Marinebaurat Georg Linde aus Jever festgenommen, weil er verdächtigt wurde, den jeverschen Stahlhelm militärisch zu organisieren und einen Umsturz vorzubereiten. Alle genannten Personen dieses noch diffusen völkisch-nationalen Umfelds traten, wie auch Lange selbst, rund fünf Jahre später als NSDAP-Parteikader in Erscheinung. (vgl. Peters 1, S. 95 ff.)
Den Kapp-Putsch von Mitte März 1920, der im benachbarten Wilhelmshaven „weite Kreise“ (Grundig, S. 136) zog, verfolgte auch das Jeverland mit Anspannung. Das JW beklagte sich darüber, das Programm der rechtsextremistischen Militärs nicht in der Zeitung veröffentlichen zu dürfen, hängte es dafür in den Schaukasten des Verlagshauses, unterließ jedes Wort der Kritik an diesem Versuch, die junge Weimarer Republik durch eine Militärdiktatur zu ersetzen, und berichtete in der Folge wohlwollend über die Putschisten. Die von dieser Staatskrise ausgelösten Reichstagswahlen von Juni 1920 brachten dem Landstrich den beträchtlichen Zuwachs der demokratiefeindlichen und z.T. antisemitischen Rechtsparteien DNVP und DVP auf zusammen 42,7%. Das Inflationsjahr 1923, in dem auch die Arbeitslosigkeit vor allem im südlichen Teil des Jeverlandes stark anstieg, beschleunigte die Erosion der demokratischen Einstellungen. Den gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch („Marsch auf die Feldherrenhalle“) vom 9. November 1923 begleitete das JW mit kritikloser Aufmerksamkeit, wie auch die völlig ausufernde und parteiische Berichterstattung über den Prozess Anfang 1924 belegt. Hiermit geriet auch die Person Hitlers in den Fokus der Leserschaft.
In dem Wahljahr 1924 (zwei Reichstagswahlen, eine Kommunalwahl) sind auch die ersten lokalen parteipolitischen Aktivitäten der NSDAP – im Bündnis mit den Völkischen – zu beobachten. Am 6. März 1924 gründete sich die Ortsgruppe Jever des Völkisch-Sozialen Blocks (später Nationalsozialistische Freiheitspartei), die die zahlreichen auswärtigen Gastredner durch viele, von ihrem Mitglied Lange in das JW übernommene Leserbriefe unterstützte. Der Auktionator und Bezirksführer des „Stahlhelm“ Wilhelm Aßling aus Sillenstede, der bereits 1922 der NSDAP beigetreten war, agierte als lokaler Hauptsprecher. Der „Stahlhelm“ war für den Aufbau der rechtsradikalen Parteien im Jeverland mit konstitutiv und wurde vom JW entsprechend herausgestellt.
Wie man Fuß zu fassen suchte, zeigt eine konzertierte antisemitische Diffamierungskampagne, die die Leser des JW an die Nationalsozialisten binden sollte. Unter dem Titel „Brutalität oder Sadismus“ bezichtigten acht Jeveraner, die „als hervorragende Mitglieder der Nationalsozialistischen Freiheitspartei bekannt“ (Oldenburgische Landeszeitung, Nr. 345, 1924) waren, am 24. September 1924 in einem Leserbrief den jüdischen Viehhändler Erich Levy der Misshandlung eines Knechts. Als Levy „die politische Verranntheit der völkischen Herren“ im JW feststellte, folgte ein weiterer Schmähbrief der acht und die Ortsgruppe der Nationalsozialistische Freiheitspartei drohte aus den Spalten: „Herr Levy, bei Philippi sehen wir uns wieder.“ Die anschließenden Prozesse sprachen Levy von der Anklage der Körperverletzung frei und verurteilten die Einsender sowie auch den Chefredakteur Lange als Mitbeteiligten wegen Beleidigung. Während in der Rubrik „Gerichtszeitung“ grundsätzlich keine Prozesse gegen einheimische Geschäftsleute erwähnt wurden, machte das JW bei Juden eine „Ausnahme“ und stellte geringfügige Verfehlungen der jüdischen Viehhändler Fritz Levy und Philipp Sternberg an den medialen Pranger. (JW, 1.2.1924)
Zu den beiden Reichstagswahlen von Mai und Dezember 1924 stellte das JW die Agitation des Völkisch-Sozialen Blocks (VSB) bzw. der Nationalsozialistischen Freiheitspartei in den Mittelpunkt der Berichterstattung, die, wie dargestellt, durch antisemitische Leserbriefe flankiert wurde. Neben den üblichen Anzeigen für die Wahlveranstaltungen waren dem JW im Verlagshaus Mettcker gedruckte, z.T. ganzseitige Werbereklamen beigefügt, über deren Finanzierung man nur spekulieren kann.
Der VSB erreichte im Mai 1924 bei den RTW 22,6 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen in Stadt und Amt Jever, während er im Reichsdurchschnitt bei 6,6 Prozent verblieb. Da gleichzeitig die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) auf 30,9 Prozent kam, hätte die spätere „Hitler-Koalition“ von 1933 bereits 1924 im Jeverland eine klare absolute Mehrheit besessen. In Niedersachsen gab es nur noch in der Lüneburger Heide, in Braunschweig, Göttingen und im nahen Wittmund ähnliche Erfolge für die Sammlung VSB, in der die Hitler-Anhänger schon eine wichtige Rolle spielten. Im ostfriesischen Kreis Wittmund erzielte der VSB mit 46 Prozent der Stimmen sein reichsweites Rekordergebnis. Dem hier dominierenden „Anzeiger für Harlingerland“, der ebenfalls Enno Mettcker gehörte, hatte der Verleger mit Richard Kleinadel (1878 – 1939) 1920 einen Schriftleiter vorgesetzt, der in Biografie, Gesinnung und publizistischem Impetus eine Parallele zu Friedrich Lange darstellte. Kleinadel ging 1901 „nach Deutsch-Südwest-Afrika, wo er den Herero-Aufstand als deutscher Kämpfer miterlebte und dann bis 1906 Redakteur an der Swakopmunder Zeitung war.“ ( JW, 23.9.1938) Der Vernichtungskrieg der deutschen Kolonialtruppen in Namibia gegen die Herero und Nama gilt heute als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Kleinadel trat 1930 der NSDAP bei, nachdem er schon seit Jahren den „Anzeiger“ in das deutschvölkische und nationalsozialistische Fahrwasser gebracht hatte. Nach einer Reihe von Beschwerden, deren erste aus dem Jahre 1923 stammt, wurden dem „Anzeiger“ aufgrund seiner antidemokratischen Tendenz schließlich zum 1. August 1929 vom Regierungspräsidenten in Aurich die amtlichen Bekanntmachungen entzogen. (Lüpke-Müller, S. 61 ff.) Die publizistischen Methoden der Beeinflussung der Leser seit 1920 sind im Prinzip mit der des Schwesterblatts im wenige Kilometer entfernten Jever identisch. Der Rechtstrend von 1924 gab indes nur einen Vorgeschmack auf das, was nach der Atempause der „goldenen Jahre“ der Republik im Zuge der Agrar- und Wirtschaftskrise noch auf die Region zukommen sollte.
Lange wusste um die sublime Macht der Kultur, dass politische Einstellungen, mit kulturellen unterfüttert, dauerhafter verinnerlicht werden, und entfaltete auch hier eine Vielzahl von Aktivitäten. Bereits im September 1920 begründete er mit anderen rechtsstehenden Persönlichkeiten wie z.B. dem Geschäftsführer der Landkrankenkasse und frühen NS-Parteimann August Blikslager (1878 – 1928) und dem lange Hitler favorisierenden Pastor und Heimatschriftsteller Carl Woebcken (1878 – 1965) den „Heimatverein für Jever und Jeverland“ , der 1923 mit dem schon bestehenden „Altertumsverein“ zum Jeverländischen Altertums- und Heimatverein fusionierte. Ausführlicher als den Altertumsverein förderte das JW jetzt die Veranstaltungen des Heimatvereins. Lange sah in der erstarkenden und überwiegend reaktionären Heimatbewegung ein Vehikel zur Verbreitung der völkischen Ideologie und sich selbst offenbar als den lokalen Chefideologen. Besonders wichtig war ihm die Verstärkung des Negativ-Positiv-Bildes von „Stadt und Land“ und die Abwertung der städtischen Kultur, deren Gefahren er selbst vom nahen Wilhelmshaven herüberwehen wähnte. Berlin, die Bühne der freiheitlichen kulturellen und politischen Entwicklungen dieser Zeit, sei im Grunde nur eine „alte Vettel“. Die Abwehr der „westeuropäischen Vergnügungskultur“, des Gelderwerbs und „der Wucherer“ versteckte nur mühsam die Feindschaft gegen die Demokratie und die offene Gesellschaft. Lange lässt hier noch das Attribut „jüdisch“ weg, in welcher Ursache die Völkischen den Ursprung der angeblichen Misere sahen und welches im öffentlichen Raum von 1920 noch häufig unausgesprochen blieb, aber wenig später an vergleichbarer Stelle einfügt wurde. Die durch diese Ausgrenzungen extra erst konstruierte, angeblich „deutsche“ Kultur sollte die folgende „Heimat“ finden: „Heimat, das ist die erdgewachsene Kraft und Treue unseres Bauerntums, der redliche Erwerbsfleiß, der Geist unserer besten von einst und heute, die Summe der sittlichen Werte, der tüchtigsten Eigenschaften, die grundlegend sind für die stete Erneuerung und Verjüngung unseres Volkstums.“ (JW, Sept. 1920; vgl. auch Sander, 311 f.) Die spätere NS-Staats-Ideologie von „Blut und Boden“ fand über Lange den Weg in den Heimatverein, deren führende Mitglieder übrigens bürgerliche Honoratioren und keine Bauern waren.
Um die Bauern zu erreichen, nahm auf Initiative und Organisation von Lange und des ebenfalls völkischen Diplomaten i.R. Georg von Eucken-Addenhausen (1855 – 1942), der auf dem Sielhof in Neuharlingersiel residierte, Anfang 1924 im Nebengebäude des Sophienstifts eine Filiale der von Heinrich Himmler hoch gelobten „Bauernhochschule“ ihre Unterrichtstätigkeit auf. „Sie bezweckt die Schärfung des völkischen Gewissens und Vertiefung der geschichtlichen Erinnerungen, die Umstellung der bäuerlichen Kultur aus beharrender Überlieferung zu bewusster Arbeit, um zum Heile des Volksganzen und zur Wiedergeburt des deutschen Volkes den zersetzenden Einflüssen entgegenzuwirken“ , heißt es im JW. Eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten der Region beteiligte sich mit Lehrangeboten unterschiedlicher Art an diesem völkisch ausgerichteten Projekt. Lange selbst gab vier Stunden Unterricht über „Deutsche Kunst, Dichtung und Presse.“ (JW, 12.2.1924) Als das Institut das Hakenkreuz als Fahnenzeichen wählte und deshalb die staatliche Unterstützung ausblieb, wurde es ins preußische Aurich verlegt und gelangte schließlich auf die SA-Haneburg in Leer. Lange förderte mit langen, unterstützenden Berichten Veranstaltungen von völkisch-nationalen Jugendgruppen wie „Adler und Falken“ oder „Artamanen.“ 1930, jetzt in der NSDAP, führte Lange Regie im historischen Drama „Die elf Schillschen Offiziere“, in dem der NSDAP-Bezirksleiter Hans Bergmann, Crildumersiel, den Schill und SA- und Parteileute die Nebenrollen spielten und das flächendeckend bei Veranstaltungen der inzwischen überall im Jeverland entstandenen NS-Ortsgruppen eingesetzt wurde. Das Stück idealisiert einen desperadohaften Freicorps, der sich 1809 dem friedensbereiten Preußen widersetzt und weiter gegen Napoleon kämpft. Die Parallele zum „Kampf gegen das Weimarer System“ ist offensichtlich. 1931 schulte Lange die jeversche NSDAP in „Deutsche Kunst“ (JW, 27.8.1931) und fungierte später als NS-Schulungsleiter des Kreises Friesland.
3: Der Wandel zu einem Kampfblatt der NSDAP ab 1929
In den Jahren 1925 bis 1929 erlebte die Republik einen Moment des wirtschaftlichen Aufschwungs, der Jever den Anschluss an die überörtliche Energieversorgung, die Wasserleitung und die Gasversorgung sowie einen Sportplatz bescherte. Die Städtische Sparkasse warf gute Gewinne ab. (vgl. Peters 1, S. 97 f. ) In dieser ruhigen Periode bildete sich keine beständige Parteiarbeit der NSDAP aus. Der genannte NS-Ableger bestand jedoch noch bei den Landtagswahlen Mai 1925, als die Deutsch-Völkische Freiheitsbewegung 14 Prozent erzielte und ihr Potential in Stadt und Amt Jever andeutete, während sie im Staat Oldenburg mit 2,6 Prozent bedeutungslos blieb. In den Jahren der politischen Ruhe der Weimarer Republik arbeitete die Ortgruppe Oldenburg der NSDAP in einer Art Missionsarbeit an der Installierung weiterer Ortsgruppen. Nach Auftritten Carl Rövers, Spangemachers und des berüchtigten antisemitischen Volksredners Münchmeyer, eines ehemaligen Pastors, fanden die zunächst wenigen Aktiven Jevers im Februar 1928 zusammen und gründeten am 12. Juni 1928 die Ortsgruppe der NSDAP, die erste des Jeverlands. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte Friedrich Lange, der zum 1. März 1929 mit der Mitgliedsnummer 124.755 dann in die offizielle NS-Ortskartei eingeordnet wurde. Das JW unterstützte die NSDAP jetzt immer offener. Ein regionales Treffen der Hitler-Bewegung in Jever wurde so kommentiert: „Das ist die neue geistige Frontgemeinschaft, die sich unter dem Zeichen des Hakenkreuzes bildet; es sind die ersten Kriegsfreiwilligen in dem Kampf, der jetzt zwischen dem alles Leben niedertretenden Mammonismus und dem Streben völkischer Selbsterhaltung einsetzt. Das Heer Hitlers ist schon eine Macht geworden, und sie wächst von Tag zu Tag.“ (JW, 3.9.1928) „Mammonismus“ war ein anderes Schlagwort für „internationales Judentum“.
Die bereits Ende 1927 die „Bauernrepublik“ Oldenburg besonders treffende Agrarkrise und die dadurch ausgelöste „Landvolk-Bewegung“ sowie vor allem die 1930 einsetzende massive allgemeine Wirtschaftkrise bildeten den Hintergrund für das Erstarken der NSDAP. Zwischen Mai 1928 und März 1933 fanden im Freistaat Oldenburg resp. Jeverland in schneller Abfolge 15 [!] Wahlen und Abstimmungen unterschiedlicher Art statt. Sie boten die idealen Zielpunkte für die fieberhaften Aktivitäten der Nationalsozialisten, die so immer eine nächste Etappe auf dem Weg zur Macht vor Augen hatten und den Anlass, im öffentlichen Raum zu agitieren. Im Jahre 1928 führte die NSDAP im Jeverland ca. zehn Veranstaltungen durch, 1930 lag die Zahl bei 50 und in den nächsten beiden Jahren waren es jeweils etwa doppelt so viele. Die DDP/Staatspartei als aktivste bürgerliche Partei brachte es 1931 gerade einmal auf etwa sieben Veranstaltungen. Das JW berichtete über viele Veranstaltungen ausführlich, insbesondere wenn prominente Redner wie Röver, Münchmeyer, Goebbels oder Hitler in Jever auftraten. Auch Ausführungen Hitlers in Oldenburg oder Rüstringen wurden seitenweise wiedergeben. Die Ergebnisse der Reichstagswahlen spiegeln die Entwicklung und die Vorreiterrolle des Jeverlandes wider: Hatte hier die NSDAP im Mai 1928 bereits 10,9 Prozent (Staat Oldenburg 8,2%, Reich 2,6%) erzielt, sprang sie im September 1930 auf 44,8 Prozent (Staat Oldenburg 27,3%, Reich 18,3%) und im Juli 1932 auf satte 60,4 Prozent (Staat Oldenburg 46,2%, Reich 37,2%).
Es ließe sich jede beliebige Ausgabe des JW von 1929 bis 1933 als Beleg für die jetzt klare Parteilichkeit der Zeitung heranziehen. Hier eine Collage aus Artikeln von 1931: „Die deutsche Schicksalsfrage ist nicht anders lösbar als durch die Lösung der Judenfrage.“ (6.2.) / „Die SA schuf unserem Volke die Möglichkeit, wieder für seine Ideale kämpfen zu können. In ihr werden alle Tugenden des wehrhaften deutschen Menschen gepflegt. Möge die Hitlerbewegung ihrem Endsiege entgegengeführt werden.“ (10.12). / „Es geht eben heute ums Ganze, das sollte sich jeder gesagt sein lassen. Jeder Mann – natürlich auch jede Frau – muss an die Front, damit der Sieg unser wird.“ (1.8.) / Über Hitler: „Darum erstrebt der Führer Adolf Hitler die Schaffung des dritten Reiches aus deutschem Blut und Boden unter stärkster Betonung der Rasse.“ (5.6.1931) „Möge diese Oriflamme [Flamme auf der Kriegsfahne, H.P.] doch wenigstens so lange vor unserem Volke herglühen, bis dieses den Weg in die Freiheit gefunden, … „(22.4) Nach der Wiedergabe der kompletten Rede Hitlers vom 12. Mai 1931 in der jeverschen Reithalle kommentiert das JW: „Die große aufbauende Idee des nationalen Sozialismus, die unser Volk wieder zu einer Einheit zusammenführt, wirkt wie ein starker Magnet, der Alles, was Stahl und Eisen ist in unserem Volke, alle gesunden, aufbauenden Kräfte […] herausholt aus dem Schutt- und Trümmerhaufen. […]Der nicht nur an Ideenkraft, sondern auch an Klugheit, Besonnenheit und unbeirrbarer Zielklarheit vielen Staatsmännern von heute turmhoch überlegene nationalsozialistische Führer […] führte sein Bekehrungs- und Erweckungswerk an allen Ständen unseres Volkes […] nach der Losung deutscher Gründlichkeit durch. […] Wir sind überzeugt, dass die gestern gestreute Saat auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Möge sich das bei den kommenden Landtagswahlen erweisen!“ (13.5.1931)
4: Die Methoden der Leserbeeinflussung
1: Die Titelseite, die die „große“ Politik behandelte (nur als Hitler 1931 in Jever redete, war ein lokales Ereignis vorne), stellte die Aktivitäten der NSDAP ausführlich und stets positiv dar. Den liberalen Parteien war kleiner Raum gewidmet, ihre Bestrebungen wurden distanziert geschildert. Über die SPD wurde immer negativ berichtet, während die KPD für das JW eine Art Verbrecherbande war. Bezeichnend ist die Übernahme von Meldungen aus dem NSDAP-Parteiorgan „Völkische Beobachter“ und anderer einschlägiger Blätter. Das JW nutzte für die allgemeinen Teile den Nachrichtendienst der Telegraphen-Union Alfred Hugenbergs, dessen mit der NSDAP verbündete DNVP ebenfalls positiv herausgestellt wurde. Zur Gründung der „Harzburger Front“, eines Bündnisses von NSDAP, DNVP, Stahlhelm und anderen Gruppen, brachte die Zeitung im Oktober 1931 einen Sonderbericht von zwei Seiten. Im Zusatz zu dieser gezielten Nachrichtenpolitik fügte Lange zunehmend in die ausgewählten Artikel eigene Kommentare ein, die die Tendenz bekräftigten oder den berichteten Vorgang scharf kritisierten. Diese Vermischung von Nachricht und Kommentar gehört zu den Kennzeichnungen totalitärer Journalistik, wie sie ab 1933 dann allgemeiner Brauch wurde.
2: Die Lokal- bzw. Regionalteile berichteten über fast jede Veranstaltung oder sonstige Aktivität der NSDAP und ihrer Unterorganisationen. Es stand offenbar unbegrenzt Raum zur Verfügung, um die Agitation der NS-Redner den Lesern zu vermitteln. 1931 z.B. finden sich im JW 71 NSDAP-Veranstaltungsberichte mit insgesamt 7.080 Zeilen Länge, die größte liberale Partei des Jeverlandes, die Staatspartei, erhielt bei sieben Veranstaltungen 265 Zeilen. (vgl. Eissfeldt, S. 44) Die Berichte über die NSDAP hatten mithin im Durchschnitt einen fast dreifachen Umfang. Selten kann man die Wiedergabe von Reden von Meinungsbekundungen des JW unterscheiden, fast immer finden sich für die NSDAP Stimmung machende Randbemerkungen. Häufig rief die Redaktion offen dazu auf, NSDAP zu wählen. Die Berichterstattung über die bürgerlich-liberalen Parteien war indes meist sachlich, aber knapp. SPD und Reichsbanner hingegen wurden redaktionell bekämpft, indem die Berichte mit abfälligen Bemerkungen gespickt waren. Die KPD erhielt, trotz ca. 5 Prozent Wähleranteil, gar keinen Raum.
3: Regelmäßig kündigte das JW im redaktionellen Teil der lokalen Kleinnachrichten NS-Veranstaltungen an, pries die Qualität der SA-Kapelle oder des Redners, gab Verkehrsverbindungen und Verkaufsstellen für Eintrittskarten bekannt. Einen derartigen Service bekamen die politischen Gegner fast nie. Im Vorfeld von Großveranstaltungen finden sich bis zu fünf in NS-Emphase abgefasste „Hinweise“ von bis zu 50 Zeilen Länge. 1931 gab es insgesamt 117 davon, die gut mit den 119 Anzeigen der Ortsgruppen abgestimmt waren (Eissfeldt, S. 44). Auch die Setzer spielten mit: Im Anzeigenteil findet sich einmal ein aus elf verschiedenen Anzeigen der NSDAP kunstvoll montiertes Hakenkreuz. (2.5.1931)
4: 1932 wählten noch ca. 25 Prozent der potentiellen Leser demokratisch. Deshalb und weil die Zeitung ja verkauft werden sollte, wies die Leserbriefecke auch demokratische Meinungsäußerungen auf. Das letzte Wort bei Debatten hatte aber stets die NSDAP. Wenn kein einzelner NS-Lokalpolitiker schrieb, wurde die Pressestelle der NSDAP tätig, die 1931 z.B. etwa 40 Zuschriften platzierte, die sich vor Wahlen häuften. Der Stil dieser Zuschriften deutet häufig auf Lange hin, wie auch eine Panne, die in Form folgenden Inserts behoben werden sollte: „Bei der gestrigen Zuschrift der Pressestelle der NSDAP ist versehentlich die Überschrift `Eingesandt´ weggelassen worden. Die Schriftleitung.“ (JW, 6.1.1931)
5: Der Kulturteil, sicherlich in den meisten Beträgen als Mantel übernommen, glich spätestens ab 1923 und mit zunehmender Tendenz einem völkisch-vaterländischen Lesebuch und wäre einer gesonderten Studie wert, die auch den reinen Unterhaltungsteil und die hier transportierten Einstellungen mit einbezieht. Hier folgen nur Beispiele offener Politisierung im Feuilleton-Bereich. Auf der Titelseite wurden gelegentlich grundsätzliche Fragen ausführlich thematisiert. Das JW ließ hier bereits 1924 den völkischen Sozialdarwinisten Gustav Reptau zu Wort kommen und unter der Überschrift „Pazifismus“ alle anderen Anschauungen vom Zusammenleben der Menschen und Nationen diffamieren: „Das Leben ist Kampf – eine Wahrheit, die so alt ist wie die Welt. […] Wer im Kampfe nachlässt, wird zu Boden gestampft. Nur wer im Kampfe fällt geht in Walhalla ein. Um drei Dinge geht der Kampf, um das Brot, um das Weib und um die Führung. […] Erst langsam wird in unserer Not das neue Ideal erkannt: der völkische Staat, die Führung Europas durch die nordische Rasse und die Zusammenarbeit völkischer Staaten und völkischer Wirtschaften.“ (17.7.1924) Der Text liest sich wie ein Programm, das Lange in den Jahren danach abarbeitete.
Die „Bücherschau“ besprach und empfahl Neuerscheinungen wie z.B. „Die Rassenkunde des deutschen Volkes“ (6.4.1924), „Deutsche Rassenbilder“ (17.2.1924), „Lagardes Schriften“ (25.11.1924), „Schriften Ludendorffs“ (21.9.1928), „Neue Wege der Rassenforschung“ (4.2.1928), eine glorifizierende Biographie „Hitler“ (14.12.1931) oder die politisch-satirische Kampfschrift der NSDAP „Die Brennessel“ (6.10.1931). Der „lebensbejahende nordisch-niedersächsische Humor“ [sic!] des Komikerduos Pat und Patachon wurde gegen den „kommunistischen und zivilisationsmüden“ (Juden) Chaplin ausgespielt (24.3.1931). Der Jazz wurde rassistisch als Musik der „Kaffer“ beschimpft (4.2.1928) und mit dem Aufstieg der NSDAP folgender Wunsch verknüpft: „In demselben Maße, wie der fremde Großstadt-Spuk sich verflüchtigt, blühen die schönen alten Weisen, in denen die Seele des Volkes singt, wieder auf.“ (19.12.31) Rassismus war allgegenwärtig: „Die farbige Welle brandet nicht nur in Amerika an die Mauern der gesicherten städtischen Zivilisation der weißen Rasse. Auch in Europa flutet Afrika herein … Nordamerika (wird) zuerst ein Opfer des Eroberungsdranges der niederen Rassen werden, wenn es so fortfährt. Denn niemals wird die Zivilisation den Unterschied der Rassen aus der Welt schaffen, der ein Wertunterschied ist!“ (10.6.1931) In der Witzecke waren die Juden grundsätzlich Schnorrer und die Reichsfahne Gegenstand der Herabsetzung. Im pazifistischen Schriftsteller Georg von der Vring , der in Jever als Lehrer wirkte, sah das JW, das ihn mehrfach rügte, einen Gegenspieler. Vring verließ auch deshalb Jever bereits im Jahre 1929 und hat seine Erfahrungen mit Jever in „Zwiblikon: Die entgötterte Kleinstadt“ literarisch-satirisch verarbeitet. (vgl. Peters 2, passim; Dasenbrock, S. 299)
Friedrich Lange blickte 1941 auf die Jahre bis 1933 folgendermaßen zurück :„Der Angelpunkt war zweifellos die Judenfrage, mit der sich schon der Deutsch-Völkische Schutz- und Trutzbund und die Deutsch-Völkische Freiheitspartei, die beide vom Jeverschen Wochenblatt unterstützt wurden, eingehend beschäftigten. […] Schon vor dem inneren Zerfall der Völkischen wurde es allen Sehenden klar, dass nur ein Mann [im Original gesperrt gedruckt, H.P.] Deutschland aus dem Dreck herausreißen konnte: Adolf Hitler. Das Jeversche Wochenblatt unterstützte die Hitlerbewegung, […], schon in den ersten Jahren ihres Kampfes nach Kräften. In den verschiedensten Sparten der Zeitung bot sich Gelegenheit, die Leser mit der nationalsozialistischen Weltanschauung vertraut zu machen. Am besten konnte sich die Propaganda in den Wahlzeiten durch Einsendungen, ausführliche Versammlungsberichte und wirksame Inserate entfalten. Die leere, marktschreierische Dialektik und unfruchtbare Polemik von jüdisch-demokratischer Seite wurde auf diese Weise oft angenehm unterbrochen. […] Immerhin war das Blatt vor Aufkommen der völkischen und nationalsozialistischen Presse die einzige Tageszeitung im Oldenburger Lande, die sich neben der Unterstützung der nationalen Verbände im Gegensatz zur herrschenden Zeitströmung für eine völkische und später nationalsozialistische Politik einsetzte, was nicht ganz ohne Geldstrafen abging. Zusammen mit der noch wirksameren Tätigkeit hervorragender Wahlredner ergab dies den Erfolg, dass die Zahl der nationalsozialistischen Stimmen ständig wuchs. In den letzten Jahren vor der Machtergreifung spiegelte sich in zahlreichen Artikeln und Berichten des Jeverschen Wochenblattes die unerschütterliche Siegesgewissheit und die wachsende Begeisterung für den Retter und Führer Deutschlands, dessen überragende historische Bedeutung und staatsmännische Genialität wir damals noch nicht annähernd ermessen konnten.“ (6.5.1941)
5: Resumee der Jahre 1919 – 1932
Natürlich kann keine einzelne Person jede Zeile einer Zeitung im tagtäglichen Alltag bestimmen. Der Schriftleiter Lange hatte Mitarbeiter, die in seine Richtung mitzogen, und einen Verleger, der über das Personal seiner Zeitung bestimmte. Noch viel weniger kann eine Zeitung, wie auch immer sie sich bemüht, bestimmte Wahlergebnisse sozusagen produzieren. Für das Wahlverhalten sind die allgemeine wirtschaftliche und politische Lage, bereits feststehende Einstellungen resp. Vorurteile der Wählerschaft und die sozialen Parameter grundlegend. Die Sozialstruktur des Jeverlands mit dem überdurchschnittlich hohen Anteil der kleinbürgerlich-städtischen und ländlich-bäuerlichen Selbstständigen, mit dem Vorherrschen der Landwirtschaft allgemein und mit nur wenigen Industriearbeitern und mit einem extrem hohen Anteil der traditionell anpassungswilligen Protestanten war die Grundlage dafür, dass die Demokratie hier so zertrümmert werden konnte. Auch vergisst man aus heutiger Perspektive leicht das damals viel größere Gewicht des gesprochenen Worts, die Wirkung fanatischer Redner bei Massenversammlungen, das mystische Brimborium von Fahnenaufmärschen und die Bedeutung des lauten Straßenwahlkampfes.
Treffen aber in einem von der Zahl der Einwohner her verdünnten Raum mit einem kommunikativen Abstand zur Großstadtkultur wichtige Meinungsführer des öffentlichen und kulturellen Lebens und Parteistrukturen auf eine Quasi-Monopolzeitung, die in dieselbe politische Richtung marschiert, bekommt das gedruckte Wort ein besonderes Gewicht. Das war in Jever (und in Wittmund mit noch größerem Effekt) mit Sicherheit der Fall, wo Lehrer, Pastoren, führende Verwaltungsangestellte und Geschäftsleute früh Teil der von der Zeitung inszenierten Öffentlichkeit wurden. Mit seinem propagandistischen Sprachstil, der parteiischen Berichterstattung und der entsprechenden kulturellen Unterfütterung war das JW so nicht nur Echo der öffentlichen Meinung und Förderer der bereits vorhandenen Tendenzen, sondern gleichzeitig auch Wegbereiter und Mitgestalter der politischen Entwicklung, der es häufig einen Schritt voraus war. Die Rolle übernahm es bereits in der ersten Hälfte der 1920er Jahre und spielte sie in der Zeit des rapiden Aufstiegs der NSDAP ab 1929 voll aus.
Die Verantwortlichkeit des JW liegt aber nicht nur in der Erhöhung der Wahlergebnisse der NSDAP um eine nicht zu ermittelnde Prozentzahl X oder in deren Stabilisierung in den Jahren 1932/33, sondern in der damit einhergehenden Unterhöhlung der Demokratie und ganz besonders in der permanenten Infiltrierung der Leserschaft mit rassistischen, demokratiefeindlichen, die Verfolgung der Juden und den Krieg vorbereitenden Einstellungen.
6: Zwischen Republik und Diktatur Anfang 1933
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler eines Kabinetts aus Nationalsozialisten und Deutschnationalen, das JW reagierte mit einem Extrablatt und Parteileute, SA, Stahlhelm und Kriegerverein feierten spontan das endlich erreichte Kampfziel bei einem musikbegleiteten Fackelzug durch die Straßen der Stadt: „Mit welcher Begeisterung wurde jetzt das Horst-Wessel-Lied gesungen, wie freute sich Jung und Alt, diese Freuden- und Siegeskundgebung nach jahrelangen schweren Kämpfen und Enttäuschungen mitmachen zu können. Wenn die Toten der Bewegung, wenn ein Horst Wessel diese Tage hätte miterleben dürfen!“ (1.1.1933) „Deutschland wird wieder unbesiegbar, wenn es einig ist. Unser Volk gibt sich in diesen Tagen seine Ehre wieder,“ hieß es beim nächsten, jetzt sorgfältig vorbereiteten Fackelzug, der dem mit Straßengewalt und Verfolgung politischer Gegner erzwungenen Sieg bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 galt. (9.3.1933) Inzwischen war das Schloss mit einer Hakenkreuzfahne bestückt. Als „Geburtsstunde des neuen Deutschen Reiches“ bezeichnete das JW den bald folgenden, reichsweit inszenierten „Tag von Potsdam“ und stellte zufrieden eine noch höherer und jetzt endlich auch breite Beteiligung der Bevölkerung fest. (22.3.1933)
Zu diesem Zeitpunkt lag der Mord am KPD-Landtagsabgeordneten Johann Gerdes in Oldenburg (3.3.1933) schon einige Tage zurück und die SA misshandelte weiterhin Gegner in Wilhelmshaven/Rüstringen, Varel und Oldenburg. Oppositionelle Zeitungen waren bereits verboten und wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt worden. Das JW berichtete am 25. März 1933 mit Foto über die „Einrichtung“ des Konzentrationslagers Dachau, „das fünftausend politischen Gefangenen Platz bietet.“ Am 23. März beschlossen die Reichstagsabgeordneten das „Ermächtigungsgesetz“. Die „Gleichschaltung“ der Institutionen und Verbände und die Verfolgung der politischen Gegner, der Juden und anderer Minderheiten kamen in Schwung. Am 1. April 1933 übernahm der Reichspropagandaleiter der NSDAP, Joseph Goebbels, das „Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda“, das ab sofort intensiv die weitere Ausschaltung der Pressefreiheit betrieb.
Für das JW und seinen Schriftleiter Friedrich Lange hatte sich innerhalb von zwei Monaten das Vorzeichen einer ganzen Dekade gedreht. Das JW war von einem selbstangetriebenen Rädchen in den vielen Medienkampagnen gegen „das System“ nun selbst Teil des Staates geworden, eines totalitären und terroristischen, es war jetzt nicht mehr Bewegung von unten, sondern Mittel der gestaltenden staatlichen Mächte von oben mit einem kleinen Freiraum. Nach Goebbels sollte die Presse „in der Hand der Regierung sozusagen ein Klavier [sein], auf dem die Regierung spielen kann“ (Wulf 1983, 64 f.). Aus dem Klavier JW wurde ein Pianola oder eher eine Drehorgel und Lange ein Einleger von Lochscheiben. Aber die Musikrichtung blieb dieselbe und auch die in Jever gefertigten Stücke wandelten sich nur wenig, wie noch zu zeigen sein wird. Die Analyse der Berichterstattung des JW von 1933 bis 1945 kann hier nur Akzente setzen und beschränkt sich auf den Lokalteil. Die allgemein-politischen Teile waren für eine Provinzzeitung im Übrigen kaum mit einem gestalterischen Spielraum versehen, da hier das System der inhaltlichen Presselenkung und die verfügbaren Matern herrschten.
7: Die Mitgestaltung von NS-Volksgemeinschaft und NS-Politik im Lokalteil
Noch bis Ende März 1933 nahm das JW umfangreiche Anzeigen des Kaufhauses Karstadt in Wilhelmshaven auf, das jedoch an anderer Stelle als „jüdisch“ gebranntmarkt wurde, wie ebenso die Inserate lokaler Firmen wie Kaufhaus Weiss, Bekleidungshaus Mendelsohn oder Produktenhandel Gröschler sowie der zahlreichen jüdischen Viehhändler und Schlachter wie Levy oder Hoffmann abgedruckt wurden. Diese Werbung, für die Geschäftsleute unabdingbar und für das JW eine wichtige Einnahme, stand lange scheinbar verträglich neben den immer zahlreicher werdenden hakenkreuzgeschmückten Anzeigen, in denen betont wurde: „Juden haben keinen Zutritt.“ Zum Signal der Zukunft wurde für die etwa 100 in Jever lebenden Juden bereits der 1. April 1933. Im Rahmen der ersten reichsweit organsierten Gewaltmaßnahmen gegen die Juden rief die NSDAP Jever zum Boykott der jüdischen Geschäfte auf. „Kein Deutscher kauft noch bei einem Juden! An den Pranger alle Verräter!“ drohte die Ortsgruppe per Zeitungsanzeige. (31.3.1933) Über den Verlauf des Boykotts berichtete das JW am 1.4.1933 und gab per Insert bekannt, „dass wir Inserate von Juden, seit in Kraft treten dieser Bewegung, nicht mehr aufnehmen.“ (3.4.1933, im Original gesperrt gedruckt; H.P.) Diese Eigenanzeige findet sich übrigens zu demselben Datum auch im Schwesterblatt „Anzeiger für Harlingerland.“
Das JW begleitete ab sofort die verschiedenen Kampagnen und Wünsche der Staatspartei NSDAP publizistisch und Lange, der jede wichtige Person in seinem Sprengel kannte, war sicherlich die geeignete Person, dieses auch effektiv zu gewährleisten. In den Jahren 1933/34 finden wir zahlreiche Meldungen aus dem Landkreis Friesland und der näheren Umgebung über die Verschleppung von Regimegegnern in ein Emsland-KZ oder über „Schutzhaft“ von Einwohnern, die etwas Regimekritisches gesagt hatten. Da auch immer jeweils der Grund mit angegeben war, gelangten so die zu vermeidenden Verhaltensweisen und die Gewaltbereitschaft des Regimes zur allgemeinen Kenntnis. Eine vergleichbare Funktion hatten die in demselben Zeitraum sehr häufig mitgeteilten Personalien, die i. d. R. nach diesem Schema abliefen: „Verdienstvolle“ Nazis stiegen beruflich auf und zuvor im noch demokratischen Oldenburg disziplinarisch belangte Beamte sahen sich rehabilitiert, demokratische Persönlichkeiten wurden strafversetzt oder gar mit Berufsverbot oder polizeilichen Mitteln verfolgt. In diesem Zusammenhang feierte das JW in langen Artikeln auch „alte Kampfgefährten“ wie den Studienrat und Ortsgruppenleiter Karl Gottschalck, der zum Leiter des Mariengymnasiums reüssierte, oder den Turnlehrer an derselben Schule und Kreisleiter der NSDAP Eduard Siebrecht, nunmehr Schulrat in Oldenburg.
Der von den Nationalsozialisten betriebene Aufbau der rassistischen „Volksgemeinschaft“ und die dafür zu schaffenden organisatorischen Transmissionsriemen und situativen Anlässe nahmen den größten Raum der Lokalberichterstattung ein: NS-Frauenschaft, Hitler-Jugend, Jungvolk, Ausbau von SA („Gralshüter des dritten Reichs“), SS und NSDAP, Winterhilfswerk, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Reichsluftschutzbund und manches andere mehr. Im Laufe der Jahre gerieten die Berichte über die Organisationen, ihre diversen Veranstaltungen und Verlautbarungen immer schematischer. Es spielte sich gleichfalls das für die Systemstabilisierung und die permanente Bewegung der Massen konzipierte nationalsozialistische „Feierjahr“ (Hitler-Geburtstag, Tag der Nationalen Arbeit, Muttertag, Sonnenwende, Heldengedenktag usw.) ein. Eine Veranstaltung folgte auf die andere, unterbrochen von Inszenierungen aus aktuellem Anlass, die zusätzlich zuhauf angesetzt wurden. Das JW setzte die Berliner Vorgaben routiniert um und lieferte eine zielorientierte Verschränkung allgemeiner Politik und örtlicher Besonderheiten.
Neben der Funktion als effektives Verlautbarungsorgan der „großen Politik“ der NSDAP, ihres unablässigen Aktionismus in allen Politikfeldern und der Vermittlung der ständigen neuen Gesetze und Verordnungen sind doch Besonderheiten erkennbar. Auffällig sind 1933 und später die besonders ausführlichen Berichte über die häufigen Veranstaltungen „für unsere Jugend“. Der Zweck der Bemühungen, der Aggressionskrieg, findet sich bereits am 24.4.1933 im JW unter den Schlagzeilen: „NS-Jugendtag in Jever: Die Jugend im Aufbruch“: „Die Welt braucht die deutsche Jugend, der wieder ein Lebensraum geschaffen werden muss. Dass heute unser Volk […] sich wieder auf seine große nationale Sendung besinnt und auf seinen völkischen Charakter, all das verdanken wir nur einem Manne: […] unserem Führer Adolf Hitler. […] Es ist aber nötig, dass wir ihm auch fernerhin voll und ganz die Treue halten, getreu dem Worte: `Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen!´“ „Das Fest der Jugend in Jever im Zeichen der Sonnenwende […] unter dem alten germanischen Zeichen des Hakenkreuzes“ hörte den Schortenser Hauptschullehrer und Ortsgruppenschulungsleiter Bernhard Schönbohm verdeutlichen: „Unbedingter Gehorsam ist die harte Tugend einer Jugend, die berufen ist, den völkischen Staat seiner Vollendung entgegenzuführen“. (26.6.1933) Gymnasiallehrer Oskar Hempel konnte seine Ansichten nun im Einklang mit dem Staat der versammelten Hitlerjugend darbieten und über das JW verbreiten: „Politisch ist zwar unser deutsches Volk im Reiche gerettet, aber der biologische Aufbau hat noch nicht begonnen. Die Sozialdemokratie förderte bisher die Minderwertigen und ließ ihnen in allen Dingen freien Lauf, da sie mit dieser stumpfsinnigen Masse am besten fertig werden konnte: […] Kinder von geistig Minderwertigen, Kranken, Gewohnheitsverbrechern und ungelernten Hilfsarbeitern. Es muss nun das Ziel sein, die Minderwertigen von den gesunden Volksgenossen zu trennen und sie in ihrer Ausbreitung zu hindern.“ (24.7.1933) Über die praktische Umsetzung solcher „Rassenhygiene“ hieß es: „Jedes Mädchen hat bereits lange vor der Ehe sich dem kommenden Geschlechte gegenüber verantwortlich zu fühlen. Sie [sic!] muss ihren Körper stählen und rein erhalten, mit den Rassegedanken und der Vererbungslehre vertraut sein, bei der Gattenwahl an die künftigen Kinder denken und später als Mutter erziehen in höchster Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit.“ (27.4.1933)
Besonders interessiert schien das JW in der Anfangszeit des Dritten Reichs auch an der Unterstützung der „Glaubensgemeinschaft Deutsche Christen“, deren Initiativen mit Methoden aus der „Systemzeit“ unterstützt wurden. So berichtete die Zeitung u.a. ausführlich über einen Auftritt des berüchtigten Pastors Heinrich Meyer aus Aurich (17.5.1933) und druckte zahlreiche Leserbriefe ab, die für die „Deutschen Christen“ missionierten. Auch die Gründungsphase des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ scheint Schriftleiter Lange besonders am Herzen gelegen haben. Er führte selbst eine Schulung über die kulturelle und politische Bedeutung des Hakenkreuzes durch. (JW, 27.9.1933) Als im Frühjahr 1934 die Hochstimmung nach der „Machtergreifung“ vor allem in bäuerlichen und mittelständischen Kreisen, der Leserschaft des JW, in eine gewisse Ernüchterung überging, beteiligte sich das JW engagiert an der reichsweit ausgerufenen Kampagne gegen die „Meckerer und Kritikaster“.
Durchgehend und unermüdlich propagierte das JW die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ aus der jeverschen Perspektive. Während zuvor Fotos mit regionalen Bezügen fast nie vorkamen, waren jetzt insbesondere die Fotos Heinrich Willes wie „Kinderreiche Mütter als Gäste des Jeverschen NSKK“, „Winterhilfswerk-Einkochaktion“ , „Großangriff auf das Altpapier“ oder „Eintopfsonntag“ Blickfänge in der Bleiwüste der ungezählten Artikel. (Auswahl, zweite Hälfte 1937) Die Montagen aus mehreren Fotos entsprachen der Parole „Du bis nichts, dein Volk ist alles!“, da der Einzelne in der abgebildeten Masse in den Hintergrund trat.
Die sich im Jubel überschlagende Berichterstattung zum 400 jährigen Stadtjubiläum von 1936, pompös zur „1000-Jahr-Feier“ aufgeblasen, ist das wohl sinnfälligste Beispiel der Inszenierung der Einheit von „Führer, Volk und Vaterland“ und ihrer Verschmelzung mit der inzwischen im NS-Sinne konstruierten „Heimat“. Aber Lange war nicht vollständig zufrieden mit der vorgefundenen Wirklichkeit. Das Oratorium „Das Spiel vom deutschen Bettelmann“ unter Leitung des Musiklehrers Franz Freese, eines Nazi-Skeptikers, war am „Tag der Musik“ der Höhepunkt. Das JW übte nach lobenden Worten über die Mitwirkenden grundsätzliche Kritik an dem Sujet des Oratoriums: „Ist denn das Spiel vom deutschen Bettelmann wirklich ganz aus dem Erleben, Denken und Fühlen unserer Zeit geschöpft? Vermag unser Volk […] sein Genüge finden an dem Bild demütiger Zerknirschung, das der Handlung dieses Oratoriums sein Gepräge gibt? Ist das Geschehen unserer Tage nicht viel zu groß […], als dass man [es] in das Prokrustesbett alt- oder neutestamentlicher Vergleiche spannen könnte? Vergleiche wie Hiob oder Pilatus […] müssen bedenklich hinken, wenn man deutsches Schicksal […] auf deutsche Art dichterisch und musikalisch schildern und deuten will.“ (1936)
Die sie voraussetzende und brutale Kehrseite der „Volksgemeinschaft“ war die Verfolgung und Aussonderung der angeblich „Gemeinschaftsfremden“. Durchgehend sind der Antisemitismus des JW und brandmarkende Artikel über durchreisende „Zigeuner“. Das JW schaltete übelste Hetzartikel und Bildmanipulationen im „Stürmer“-Stil, die zwar vom Manteldienst übernommen wurden, zu denen eine Privatzeitung aber wohl nicht gezwungen war. Das JW ergänzte sie nach Nachrichtenlage durch Eigenes: „In Haft genommen wurde der Jude Fritz Levy, der fortgesetzt mit deutschen Mädchen Unzucht getrieben hat. L. dürfte eine exemplarische Bestrafung zu erwarten haben, doch ebenso gemein und verwerflich ist das Treiben jener deutschen Mädchen, die ohne jedes rassische Empfinden sich heute noch mit einem Juden abgeben. Das Volksempfinden fordert, dass auch sie in schärfster Weise gebrandmarkt werden“ (JW, 5.6.1934). Im Ton von „Der Stürmer“ forderte das JW eine harte Strafe für den „Rasseschänder“ und den Pranger für die Frauen. „Vergeltungsmaßnahme für den jüdischen Mord: Judentempel brannte aus“ titelte es nach der Zerstörung der Synagoge und den Ausschreitungen gegen die Juden beim Novemberpogrom von 1938. (11.11.1938) Als die männlichen Juden Jevers im KZ Sachsenhausen verschleppt waren, hieß es unter dem Titel „Wie sie einst nach Jever kamen“: „Jeder bodenständige Einwohner hat sich allezeit mit Abscheu abgewandt von diesem widerlichen und uns innerlich wie äußerlich fremden Treiben der Juden, […] Vielleicht dauert es nicht mehr lange und der letzte Jude hat unserer Heimat endgültig den Rücken gekehrt. Dann hat ein 250jähriges unrühmliches Gastspiel endlich sein Ende gefunden.“ (22.11.1938) An der Vertreibung der Juden aus Jever im Jahre 1940 war Schriftleiter Lange in seiner Eigenschaft als stellvertretender Ortsgruppenleiter dann tatsächlich persönlich beteiligt.
Nachdem man schon in der Weimarer Republik für die Revision der Versailler Verträge und für die aggressive Ideologie vom „Volk ohne Raum“ eingetreten war, „begleitete“ das JW aktiv auch alle Politiken hin zum Überfall auf Polen 1939 und den Zweiten Weltkrieg im Lokalteil. Jever wurde später als fast alle anderen Gegenden Deutschlands vom Nationalsozialismus befreit. Der Nordwesten und zuletzt nur noch Friesland, Wilhelmshaven und Butjadingen glichen einer „Endsiegsinsel.“ Das JW titelte bis zum Schluss Überschriften wie „Leewer dood as Sklav!“ (30.3.1945) nach einem Durchhalteappell in Jever, „Kampf bis zum letzten Atemzug“ (2.4.1945), „Wer die Treue bricht, geht unter!“ (7.4.1945) oder „Kampf bis zum Sieg!“ (25.4.1945) und machte sich zum Herold des „Endsieges“. Allerdings sprachen die gleichzeitig mitgeteilten geographischen Verhältnisse der Frontlinien und die große Menge der Todesanzeigen eine andere Sprache. Der Selbstmord Hitlers fand diesen Kommentar: „Unser Führer schied von uns. Traurig und erschüttert senken wir die Fahnen. Aber wenn wir standhaft bleiben und mit glühendem Herzen sein Vermächtnis pflegen, wird seine Saat eines Tages hundertfältig aufgehen, und wir können sagen: Adolf Hitler lebt!“ (2.5.1945) Es „versammelten sich die Parteigenossen und Amtswalter der Marienstadt zu einer ernsten Stunde des Abschieds und Gedenkens” für Hitler. Das JW zitierte ausführlich Kreisleiter Flügel, der wenig verblümt die Niederlage einräumte und selbstmitleidig das angeblich besondere Schicksal der NS-Funktionäre beklagte:„Das Schwerste steht uns vielleicht noch bevor … Noch wissen wir nicht, was des Führers Pläne und Vorbereitungen nicht zur Ausführung kommen ließ, doch müssen wir in seinem Geiste das Schicksal zu meistern suchen, den Mut nicht verlieren, dann wird Adolf Hitler mit uns weiter leben.” Der Bericht über die jeversche Götterdämmerung endete: “Mit den Nationalliedern ging die auf schweren Ernst gestimmte, sich ihres Schicksals bewusste Gemeinschaft auseinander.” (3.5.1945) Man darf annehmen, dass dieser letzte Artikel der NS-Ära von Lange persönlich stammt.
8: Das JW, die NS-Presselenkung und die Verantwortung des Verlegers Enno Mettcker
Die Nationalsozialisten sahen in der Presse ein Mittel der Staatsführung, um ihre politischen Ziele im Inneren und nach außen zu verwirklichen. Um das zu erreichen, wurden Journalisten und Verlage ab 1933 schrittweise und in differenzierter Form gleichgeschaltet sowie Verlage enteignet und in Parteieigentum überführt. Es entstand bis zum Ende der 1930er Jahre ein komplexes und dynamisches System der nationalsozialistischen Presselenkung auf rechtlicher, wirtschaftlicher und inhaltlicher Ebene.
Über die NS-Affinität von Provinzzeitungen liegen keine vergleichenden Studien vor. Es drängt sich aber insgesamt mehr als nur der Eindruck auf, das JW habe in einer entschiedenen Form die staatlichen Ziele mit den eigenen Vorstellungen verbunden. Es arbeitete von 1933 bis zum Scherbenhaufen von 1945 als linientreuer und willfähriger Kumpan des zwölfjährigen Projekts „tausendjähriges Reich“ und nahm die publizistischen Spielräume, die es in der NS-Diktatur für Zeitungen in privater Hand gab, nicht in Anspruch – im Gegenteil. Das JW liest sich bereits ab März 1933 wie eine regionale Ausgabe der NS-Parteizeitung „Völkischer Beobachter“. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, als Schriftleiter Lange seit mehreren Jahren stellvertretender Vorsitzender der NS-Ortsgruppe Jever war, bald als NS-Ratsherr administrativ im Rathaus Jever fungierte, als NS- Schulungsleiter im Landkreis Friesland waltete und, seinen Neigungen folgend, umgehend auch im kulturellen Bereich Funktionen aufnahm. Die Umwandlung der Demokratie zur Diktatur im Jahre 1933 ist in der politischen Tendenz der vor Ort erzeugten Berichte kaum wahrnehmbar. Praktisch war der Wechsel zur Diktatur leicht umzusetzen. Da es nun keine Veranstaltungen der demokratischen Parteien und oppositionelle Leserbriefe mehr gab, fiel das Feigenblatt dieser Einsprengsel weg. Man konnte im gewohnten Stil weiterschreiben, musste aber den Lokalteil erweitern, da nun „eine große Zeit“ in die Spalten drängte.
Es wundert nicht, dass Friedrich Lange ohne Probleme durch die Maschen des raffinierten „Schriftleitergesetzes“ vom 4. Oktober 1933 kam, nach dem sich alle hauptberuflichen Journalisten neu bei den staatlich gelenkten Berufsverbänden akkreditieren mussten. Das Gesetz beschränkte den Zugang zu den Presseberufen auf systemkonforme Journalisten mit „Ariernachweis“, übertrug die Verantwortung für den Inhalt vom Verleger auf einen „Hauptschriftleiter“ und nahm damit im Effekt die private Presse als Träger einer „öffentlichen Aufgabe“ in den Dienst des Staates. Die Stellung gegenüber dem Verleger wurde auch dadurch gestärkt, dass einem Schriftleiter faktisch nicht mehr gekündigt werden konnte, solange er systemkonform agierte. Die Lösung aus der Abhängigkeit vom Verleger bedeutete eine strafbewehrte Bindung des Schriftleiters an die staatliche Pressepolitik, welche jetzt inhaltlich die Zeitung mit bestimmte. Lange, nunmehr „Hauptschriftleiter“, hatte dafür zu sorgen, dass die weiteren „Schriftleiter“ entsprechend mitzogen.
Anfang 1933 erschienen im Deutschen Reich rund 3.400 Zeitungen, von denen viele aber publizistisch unbedeutend waren. 1933 wurden alle kommunistischen und sozialdemokratischen Zeitungen enteignet. Durch eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen schaltete die NSDAP unter Federführung von Reichpressekammer-Chef Max Amann, der zugleich Generaldirektor des Zentralverlags der NSDAP Franz Eher Nachf. war, Zeitung um Zeitung aus oder kontrollierte über Holdinggesellschaften die Verlage. Im Jahre 1944 kontrollierte die NSDAP schließlich mittels ihrer 352 Zeitungen 82,5 Prozent der täglichen Auflage von 25,4 Millionen. Das JW gehörte zu den 625 überlebenden, fast immer kleinen Zeitungen in Privatbesitz. Solange nicht das Firmenarchiv für die Forschung zur Verfügung steht, ist letztlich ungeklärt, warum nicht auch das JW von der NSDAP geschluckt wurde. Die weit in die 1920er Jahre zurückreichende völkische und nationalsozialistische Tradition der Zeitung, auch in Gestalt ihres Hauptschriftleiters Lange, und die aus NS-Sicht nicht zu kritisierende Pressearbeit seit 1933 sind indes plausible Gründe für das Überleben. Die NSDAP nahm auch Zeitungsverlage in Gebieten „ungesunder Wettbewerbsverhältnisse“ vom Markt. Das JW hatte keine Konkurrenz.
Zu einer Krise kam es im Verlag Mettcker in der Folge der „Anordnung zur Wahrung der Unabhängigkeit des Zeitungsverlagswesens“ von April 1935. Ab nun war es einem Verleger nicht mehr erlaubt, mehr als eine Zeitung herauszugeben, und auch die Rechtform einer Personalgesellschaft war anzunehmen. „Im Jahre 1937 hatte es Schwierigkeiten mit dem Verlag gegeben. Verhandlungen, Unruhe, die Auflösung stand bevor. Mein Vater war nicht in der Partei. Eintritt in die Partei, gleichzeitig übertrug er einen Teil des Verlages auf seinen ältesten Sohn Ludolf, Buchdruckermeister.“ (Jacobs-Mettcker, S. 2) Auf diese Umschichtung ist wohl zurückzuführen, dass beide Mettckerschen Zeitungen, das JW und der „Anzeiger für Harlingerland“, im Familienbesitz blieben. Es scheint so zu sein, dass ca. 1938 im Zusammenhang der Erkrankung des alten NSADP-Mitglieds Richard Kleinadel, der 1939 starb, mit Albert-Christian Böhle ein geschulter Nazi-Redakteur für den „Anzeiger“ als Hauptschriftleiter eingestellt wurde.
Die vielen Glückwünsche zur Feier des 150. Jubiläums im Mai 1941 bilden ein Tableau der ungefährdeten Einbettung der Traditionszeitung in die gestaltete Presselandschaft NS-Deutschlands. Trophäe und wohl auch Lebensversicherung für den weiteren Bestand des Verlages war das Telegramm des zuständigen Reichsministers Goebbels. Der Gauleiter Weser-Ems Carl Röver wies handschriftlich auf den „großen Anteil aus der Kampfzeit für Adolf Hitlers Revolution“ des JW hin. Max Amann, die führende Kraft der Zerschlagung der privaten Verlage und des Aufbaus der NS-Presse, schrieb, nicht ohne eine Bedingung anzudeuten: „Sein Jubiläum fällt in eine der größten Epochen deutscher Geschichte, an der diese Zeitung wie die ganze deutsche Presse durch ihre auf den Endsieg gerichtete Arbeit tätigen Anteil hat.“ Herauszuheben sind noch Otto Dietrich, der Pressechef der Reichsregierung, der Reichsverband und der Niedersächsische Landesverband der deutschen Presse und das Reichspropagandaamt Weser-Ems und natürlich die regionalen NS-Größen.
Nur Albert-Christian Böhle vom „Anzeiger“ ging in der Jubiläumsausgabe 1941 auf den Verleger ein:
„Scharf gekennzeichnet ist der Weg [des JW, H.P.] in den Jahren, als es nicht zum guten Ton gehörte, die Wahrheit zu sagen, sein Deutschtum zu bekennen, Front zu machen gegen alles Undeutsche und Fremde. Es war in den schweren Jahren von 1918 bis 1932 die Tradition der Familie Mettcker, die der Zeitung den Weg wies und diese schweren Zeiten überstehen ließ. […] So lag der Weg des Wochenblatts in Zeiten der Unsicherheit und des geistigen Verfalls klar abgezeichnet, weil sein Verleger Enno Mettcker […] ihm die Richtung wies. Und dass dieser Weg der rechte war, hat sich gezeigt. Der Verlag kann heute stolz darauf sein, dass seine Haltung von hohen und höchsten Stellen voll anerkannt wird.“ (JW, 6.5.1941)
Enno Mettcker entstammte einer Verlegerfamilie, er erbte 1913 das Gut Moorhausen, den Zeitungsverlag und die Druckereien. Er stellte nicht nur 1919 den einschlägig bekannten Friedrich Lange als Schriftleiter des JW ein, sondern mit Richard Kleinadel im Jahre darauf beim „Anzeiger“ eine ähnlich völkisch-nationale Persönlichkeit. Der Verleger war mit der zunehmend radikaleren völkischen und nationalsozialistischen Tendenz der Zeitungen offenbar einverstanden, denn sonst hätte er spätestens 1929 andere Schriftleitungen installieren müssen. Mettcker trägt die Verantwortung für diese unheilvolle Epoche, in der seine beiden Zeitungen die Nationalsozialisten und die antidemokratischen Deutschnationalen mit auf das Pferd hieven halfen und Teil der „Bewegung“ waren. Es gibt zwar glaubhafte Informationen, dass Mettcker nach 1933 zunehmend in Distanz zum NS-Regime ging, als aber ein Umsteuern der Zeitungen nicht mehr möglich war. Es ist nicht bekannt, worin diese Distanz genau begründet war. Vermutlich war Mettcker einer der deutschnationalen und fast immer antisemitischen Demokratieverächter aus der Hugenberg-Ecke, die eine Diktatur befürworteten, die Linksparteien als Angriff auf das private Eigentum wahrnahmen, für einen Revanchekrieg eintraten, die aber die offen verbrecherischen Methoden der Nazis und ihren totalitären Zugriff auf alle Bereiche von Staat, Wirtschaft und Alltag spätestens angesichts der sich abzeichnenden totalen Niederlage ablehnten. Mettcker hätte übrigens auch die Möglichkeit gehabt, den Verlag zu verkaufen, um für den Weg Deutschlands in den moralischen und tatsächlichen Abgrund nicht weiter persönlich mitverantwortlich zu sein. Die Lösung der Krise von 1937 deutet auf das Gegenteil hin. Enno Mettcker starb 1946 im Alter von 72 Jahren.
9: Zur Sicht des JW auf die eigene NS-Vergangenheit
Am 4. Mai 1945 kapitulierte die Regierung Dönitz an der Nordwestfront, am 5. Mai wurde Jever besetzt. Friedrich Lange durfte noch die letzte Ausgabe des JW vom 14.5.1945 redigieren, die in der Hauptsache aus Verordnungen der britischen Militärregierung bestand. Danach kam er wie die anderen politischen Leiter in die Internierung. Das JW erhielt aus nachvollziehbaren Gründen von den Briten keine Lizenz zum weiteren Erscheinen und hatte bis Oktober 1949 eine Zwangspause einzulegen. Erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland (Mai 1949) konnten auch Zeitungen und Verlagshäuser mit einer solchen Vergangenheit wieder in Betrieb gehen. Als neuen Chefredakteur und Verlagsleiter hatte die Witwe Enno Mettckers, Maria Mettcker geb. Berlage (1883 – 1968), Dr. jur. Fritz Blume (1901 – 1982) eingestellt. Das NSDAP-Mitglied Blume hatte in Rathenow als Verleger und Herausgeber erfolgreich, also im Einklang mit der NS-Presselenkung, zwei private Regionalzeitungen fusioniert und war danach Kriegsberichterstatter an der Ostfront und auf dem Balkan gewesen.
Als sein Vorgänger Friedrich Lange Silvester 1952 starb, formulierte Blume in seinem Nachruf: „Damit hat ein Leben, das ganz dem Dienste der Öffentlichkeit gewidmet war, ein Ende gefunden. Seit dem 1. Januar 1919 bis zu seinem Ausscheiden bei Kriegsende hat Friedrich Lange eine große Anzahl von Artikeln und Aufsätzen geschrieben, die politisch, literarisch und lokal wertvoll waren.“ (2.1.1953) Das JW war 1953 in einer Epoche angekommen, in der ein ehemaliger NS-Schriftleiter dem anderen NS-Schriftleiter den Ehrenkranz flechten konnte. Als ob nichts gewesen und dieses Nichts auch noch gut gewesen wäre. Es nimmt nicht wunder, dass in der Ära von Fritz Blume sen. das JW seine NS-Vergangenheit nicht selbst thematisiert hat. Als 1981 eine Schülergruppe am Mariengymnasium Jever eine Ausstellung über Jevers NS-Zeit im Foyer der Landesbank zu Oldenburg zeigte, ließ Blume unter Hinweis auf seine Geschäftsbeziehungen zur Bank eine der Ausstellungstafeln entfernen. Die Tafel stellte die NS-Verstrickung des JW vor 1933 dar. Als die Deutsche Presseagentur sich für den Vorgang interessierte, versuchte Blume die weitere Verbreitung der Meldung vergeblich zu verhindern.
Erst nach Blumes Tod und personellen Wechseln in der Redaktion hat sich das JW langsam der eigenen NS-Belastung gegenüber geöffnet. Zum 50. Jahrestag der sog. „Machtergreifung“ erschien am 29. Januar 1983 unter dem Titel „Die Zeitung als Wegbereiter?“ ein allerdings recht beschönigender Artikel des Redakteurs Theodor Kruse. Kruse verfehlte zu großen Teilen das selbst gesetzte Thema, da er den Schwerpunkt auf die Zeit nach der Pressegleichschaltung legte, relativierte und war nicht auf dem aktuellen Forschungsstand. Die Schüler hätten in ihrer Dokumentation das JW „wegen der Zeit des 3. Reiches angeprangert“, was sachlich falsch war, da es ja um die Rolle des JW vor 1933 ging. Die Wortwahl entsprach einer Wagenburgmentalität und nicht der Bereitschaft, die historische Verantwortung zu übernehmen. Immerhin veröffentlichte das JW einen längeren Leserbrief des Verfassers zur Sache. 1991 erschien anlässlich des 200jährigen Jubiläums des JW und einer Ausstellung über die Zeitung eine vom Verlag Mettcker und dem Schlossmuseum Jever herausgegebene Festschrift. Hier platzierte Ingo Hashagen in „Zur Geschichte des Verlagshauses“ die bis heute gültige offizielle Darstellung der Verlagsgeschichte. Der Abschnitt „Zwischen 1913 und 1945“ stellt eine die Besitzerfamilie von ihrer geschichtlichen Verantwortlichkeit entlasten wollende Firmenhagiographie dar. Die nationalsozialistisch geprägte Ausrichtung des JW vor 1933 sei „aufgrund der Bewegung im Jeverland“ erfolgt. Über Friedrich Lange heißt es: „Er hätte besser geschwiegen!“ (FS, S. 12 f.) Seit den 1990er Jahren finden sich in anderen Zusammenhängen, wie z.B. bei Rückblicken anlässlich geschichtlicher Jahrestage, jedoch immer wieder redaktionelle Artikel und Passagen im JW, die die nationalsozialistische Epoche der eigenen Zeitung nicht mehr verharmlosen, sondern angemessen darstellen.
Hartmut Peters, Mai 2016
LITERATUR
- Jeversches Wochenblatt, insbes. Jahrgänge 1918, 1919, 1923, 1924, 1928, 1931, 1933 – 1941, 1945 (Schlossarchiv Jever)
- Protokollbuch des Heimatvereins von 1920 (Schlossarchiv Jever)
- 200 Jahre Jeversches Wochenblatt: Aspekte lokaler Zeitungsgeschichte: Eine Ausstellung zum Jubiläum des Jeverschen Wochenblatts. Schloss-Museum Jever 6.5. – 28.7.1991.- Jever: Mettcker, 1991 (FS)
- Dasenbrock, Dirk: Georg von der Vring: 1889 – 1968: Vier Leben in Deutschland.- Vechta 1997
- Eissfeldt, Kurt: Die jeverländische Parteipolitik während der Staatskrise 1928 – 32 im Spiegel des Jeverschen Wochenblattes.- Waddewarden 1967 (Ms., Examensarbeit, Schlossarchiv Jever)
- Frei, Norbert; Schmitz, Johannes: Journalismus im Dritten Reich.- München 2014
- Grundig, Edgar: Chronik der Stadt Wilhelmshaven. Bd. 2. – Wilhelmshaven 1957 (Ms.), S. 140 f.
- Haase, Ludolf: Aufstand in Niedersachsen: Der Kampf der NSDAP 1921 – 1924. – Hannover 1942 (Ms., Nds. Landesarchiv)
- Landig, Volker: Der Jeverländische Altertums- und Heimatverein in seiner Geschichte: Festvortrag zum 125jährigen Jubiläum des Vereins, gehalten im Schloss Jever am 15. Mai 2011
- Lüpke-Müller, Inge: Der Landkreis Wittmund zwischen Monarchie und Diktatur: Politische Strukturen und Wahlergebnisse von 1918 bis 1933.- In: Ostfriesland zwischen Republik und Diktatur.- Aurich 1998, S. 11 – 84
- Peters, Hartmut: Jever zwischen der Novemberrevolution 1918 und dem Beginn der Bundesrepublik 1949/51.- In: Ein Blick zurück: Beiträge zur Geschichte des Jeverlandes.- Jever 1986, S. 90 – 138 (Peters 1)
- Peters, Hartmut: Georg von der Vring und Jever.- In: 425 Jahre Mariengymnasium Jever: 1573 – 1998, S. 113 – 126 (Peters 2)
- Sander, Antje: Friesenstolz und Heimatsinn: Der Jeverländische Altertums- und Heimatverein und die Heimatbewegung im Oldenburger Land um 1920.- In: Suche nach Geborgenheit: Heimatbewegung in Stadt und Land Oldenburg.- Oldenburg, 2002, S. 306 – 331
- Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte.- Konstanz 2005
- Zehn Jahre NSDAP Jever: 1928 – 1938.- Jever 1938 (Festschrift)