Jever: Der Pogrom von 1938 und das Mahnmal für die Ermordeten Juden

Das ehemalige Gefängnis und das Mahnmal für die ermordeten Juden Jevers an der Frl. Marienstraße (Foto von 2015)
Das ehemalige Gefängnis und das Mahnmal für die Ermordeten Juden Jevers, Frl. Marienstraße. Foto H. Peters, 2015

Das Gefängnis des Amtsgerichts Jever an der Frl. Marienstraße 1 wurde 1912 errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es als Jugendarrestanstalt, bis diese 1998 aufgelöst wurde. Jetzt befindet sich hier hauptsächlich das Archiv des Schlossmuseums Jever.

Während des Novemberpogroms vom 10. November 1938 – die Synagoge wurde ab ca. 2 Uhr morgens niedergebrannt – wurden hier bis auf zwei Ausnahmen ab 5 Uhr morgens alle sich zu diesem Zeitpunkt in Jever und im Wangerland aufhaltenden Juden von der jeverschen SA inhaftiert. Die Frauen konnten am Nachmittag in die von der SA, der HJ und dem Mob geplünderten Wohnungen zurückkehren. Alle Männer mit Ausnahme des 81jährigen bzw. über der festgelegten Altersgrenze liegenden Moses Schwabe wurden am Vormittag des 11. November von der Polizei nach Oldenburg gebracht. Die Verschleppung führte noch an diesem Tag, zusammen mit den Juden aus Wilhelmshaven und Oldenburg,  weiter in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin. Hierher wurden im Zusammenhang der Pogromaktionen ca. 8.000 Juden aus ganz Norddeutschland gezwungen. Das Lager war völlig überfüllt. Auf Grund der entsetzlichen Bedingungen und der mörderischen Übergriffe der SS-Wachmannschaften kam eine bisher unbekannte Anzahl von Menschen um ihr Leben. In Sachsenhausen starb am 21.11.1938 der Tabakwarenhändler Josef Haas aus der Gr. Burgstraße, der ein Jahr zuvor nach Hamburg gegangen war und von dort in das KZ verschleppt wurde. Josef Haas ist das erste der 67 namentlich bekannten Opfer des Holocaust aus Jever.

Aus Sachsenhausen kamen die Verschleppten innerhalb der kommenden Wochen unter der Bedingung frei, umgehend zusammen mit ihren Familien die Auswanderung zu betreiben. Bei Todesstrafe war es verboten, über die Lagerqualen zu sprechen. Von den 40 in Jever inhaftierten jüdischen Menschen schafften nur fünf noch die Flucht in ein sicheres Land. Vier überlebten dank glücklicher Umstände. Die anderen wurden in den 40er Jahren im Osten Europas ermordet.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Jevers (Foto von 2015)
Das Mahnmal für die Ermordeten Juden Jevers, Foto H. Peters, 2015

Einweihung des Mahmals am 2. Sept. 1996. Von r.n.l.: Landesrabbiner Henry G. Brandt, Käthe Löwenberg-Gröschler (Groningen), Lieselott Spitzer (Bournemouth), Martha Isaac (Hamburg), John Winston (London, verdeckt, Kippa), Dr. Alfred Löwenberg (Groningen, Baskenmütze)
Einweihung des Mahnmals, 2. Sept. 1996. Von r.: Rabbiner Henry G. Brandt, Käthe Löwenberg-Gröschler (Groningen), Lieselott Spitzer (Bournemouth), Martha Isaac (Hamburg), John Winston (London, verdeckt, Kippa), Dr. Alfred Löwenberg (Groningen, Baskenmütze)

An der Stätte der ehemaligen Synagoge konnte erst 1978 auf Initiative der Ev. Kirchengemeinde eine Gedenktafel angebracht werden, da der Besitzer des Neubaus zunächst nicht kooperierte. (Hier befindet sich seit 2014 das Zeitgeschichtszentrum Gröschlerhaus.) Als eine aus einem Schüler-Lehrer-Projekt am Mariengymnasium hervorgegangene Gruppe von Bürgern Mitte der 90er Jahre ein Mahnmal für die ermordeten Juden Jevers errichten wollten, suchten sie als Ort die Gefängnishofmauer in unmittelbarer Nähe des Gefängnisses aus. Das setzte schließlich erst eine Weisung der niedersächsischen Justizministerin Heidrun Alm-Merk gegen örtliche Einwände durch. Unter großer Beteiligung der Bevölkerung fand die Einweihung am 2. Sept. 1996 im Beisein von überlebenden Juden aus Jever, der Justizministerin, der Vertreter des öffentlichen Lebens durch den Landesrabbiner Henry G. Brandt statt. Das vom Oldenburger Bildhauer Udo Reimann gestaltete Mahnmal zeigt drei Stapel von abgelegten bronzenen Akten oder auch Lebensbüchern, die auf ihren Rücken den Namen des Opfers, das Geburtsjahr, das Todes- bzw. Deportationsjahr und den Ort des Todes bzw. das Deportationsziel aufzeigen. Ganz unten im ersten Stapel beispielweise „Josef Haas 1892 – 1938 Sachsenhausen“ und ganz oben im dritten Stapel „Hans Mendelsohn 1891 – 1945 Ostsee bei Neustadt“. Ein Aktenrücken ist symbolisch leer gelassen, da nicht alle Schicksale aufgeklärt werden können.

 

Das ehemalige Gefängnis von der Straße Kettelhörn aus gesehen. Die Gitter und auch die Schließanlagen einer Reihe von Zellen sind noch im Zustand von 1938.
Das ehemalige Gefängnis von der Straße Kettelhörn aus gesehen. Die Gitter und auch die Schließanlagen einiger Zellen sind noch im Zustand von 1938. Foto H. Peters, 2015

Im Gerichtsgefängnis von Jever am 10. Nov. 1938 Inhaftierte

Die Angabe „gest.“ steht für ein dokumentiertes Todesdatum. „1944 Auschwitz“ beispielsweise, also ein Jahr ohne „gest.“ zusammen mit dem Vernichtungslager, nennt das Jahr und das Ziel der Deportation. Als amtlicher Todestag gilt meist das Datum des Kriegsendes. Die genauen Deportationsdaten sind fast immer bekannt, werden hier aber nicht angeben.

Männer

  • Emil Cohn: 1897 Hooksiel – 1945 in Theresienstadt befreit – gest. 1960 Hooksiel
  • Hermann Gröschler: 1880 Jever – gest. 16.2.1944 Bergen-Belsen
  • Julius Gröschler: 1884 Jever – 1944 Auschwitz
  • Moritz Hoffmann: 1893 Jever – 1943 Auschwitz
  • Fritz Hoffmann: 1900 Jever – 1943 Auschwitz
  • Adolf Josephs: 1879 Jever – 1943 Sobibor
  • Bernhard Josephs: 1871 Jever – gest. 28.10.1942 Theresienstadt
  • Wilhelm (Willy) Josephs: 1880 Jever – 1942 Minsk
  • Salli Katz: 1904 Gushagen – 1942 Riga
  • Erich Levy: 1891 Jever – 1945 in Berlin befreit – gest. 1967 Hannover
  • Siegmund Oss: 1883 Hannover – 1941 Riga
  • Alfred Schwabe: 1889 Jever – 1942 Riga
  • Moses Schwabe: 1857 Jever – gest. 22.1.1942 Dortmund
  • Adolf Weinberg: 1895 Detern – 1943 Auschwitz
  • Hugo Weinstein: 1875 – 1941 Riga
  • Karl Weinthal: 1884 Esens – 1943 Auschwitz (auf der Durchfahrt zum Arbeitsplatz in Wilhelmshaven auf dem jeverschen Bahnhof verhaftet)

Frauen

  • Emma Cohn: 1872 Hooksiel – gest. 12.1.1944 Theresienstadt
  • Frieda Cohn: 1862 Hooksiel – gest. 1.8.1942 Theresienstadt
  • Jeanette (Netty) Cohn: 1869 Hooksiel – gest. 18.11.1943 Theresienstadt
  • Helene Bruns (später Josephs-Bruns) 1898 Nadorst – gest. nach 1958 (Nichtjüdin, Haushälterin von Wilhelm Josephs)
  • Änne Gröschler geb. Steinfeld: 1888 Osnabrück – überlebte Bergen-Belsen (Palästina-Austausch 1944) – gest. 1982 Groningen
  • Hedwig Gröschler geb. Steinfeld: 1894 Osnabrück – 1944 Auschwitz
  • Rosalie Grünberg: 1878 Aschendorf – 1941 Riga
  • Käthe Haas geb. Mannheim: 1875 Eldagsen – 1942 Minsk
  • Esther Hartogsohn (später Hirsch): 1922 Emden – 1943 Auschwitz
  • Erna Hirche geb. Schiff: 1893 Wilhelmshaven – überlebte in Jever – gest. 1959 Jever
  • Sara Hoffmann geb. Cossen: 1864 Norden – 1942 Maly Trostenez
  • Johanne Hoffmann geb. Levy: 1899 Jever – 1943 Auschwitz
  • Bertha Holländer geb. Oppenheimer: 8.3.1891 Hensbach – ?
  • Rieka Peiser geb. de Levie: 1890 Jever, 1939 emigiert, gest. London
  • Erna Josephs geb. Steinberg: 1909 Kaunitz, 1940 emigriert, gest. 1992 New York
  • Martha Josephs: 1874 Jever – 1943 Sobibor
  • Paula Josephs geb. Katz: 1889 Nörten – 1943 Sobibor
  • Paula Josephs geb. Wolf: 1869 Vreden, 1940 emigriert, gest. 1950 New York
  • Rosa de Levie geb. Löwenstein: 1865 Weener, 1939 emigriert, gest. 1956 London
  • Nanni Levy geb. Emanuel: 1867 Nentershausen – 1942 Maly Trostenez
  • Ruth Levy geb. Seecamp: 1896 Bremen – Zwangsarbeit in Berlin – gest. 1960 Jever (zum Judentum übergetretene Ehefrau von Erich Levy)
  • Sophie Schwabe (später Katz): 1892 Jever – 1942 Riga
  • Liselott Süther geb. Weinstein (später Spitzer): 1907 Jever – 1939 emigriert – gest. 1999 Bournemouth
  • Erna Waller geb. Katz: 1882 Göttingen – gest. 14.6.1939 (Suizid) Göttingen (zu Besuch in Jever)
  • Anna Weinstein geb. Neufeld: 1881 Hamburg – 1941 Lodz
  • Rosa Weinstein geb. Netheim: 1877 Ottbergen bei Höxter – 1941 Riga

Nicht inhaftiert wurden Helene Klüsener geb. Schwabe (1895 Oldenburg – gest. 9.2.1945 Jever, Suizid vor Deportation) und ihre Mutter Caroline Schwabe geb. Hecht (1856 Zwolle – gest. 23.11.1940 Berlin). Caroline Schwabe war schwer krank. Ihre Tochter, eine ausgebildete Krankenschwester, konnte sie erst nach Intervention ihres nichtjüdischen Ehemanns Hermann Klüsener pflegen.

Quellen: Einlieferungsbuch des Gefängnisses Jever 4.7.1929 – 9.11.1940.- In: Nds. Landesarchiv Oldenburg Best. 145-4 acc. 2/90 Nr. 2; Archiv H. Peters Wilhelmshaven, 02/2015

 

Leo Trepp (1913 - 2010), der letzte Landesrabbiner Oldenburgs in der NS-Zeit und spätere kalifornische Theologieprofessor am 15. Nov. 2000 am Mahnmal. Trepp konnte sich noch an einige der Verzeichneten erinnern. Mit v.l.: Volker Landig, Hartmut Peters und Elke Vredenborg (stellvertretende Bürgermeisterin Jevers)
Leo Trepp (1913 – 2010), der letzte Landesrabbiner Oldenburgs der NS-Zeit und spätere kalifornische Theologieprofessor am 15. Nov. 2000 am Mahnmal. Er erinnerte sich an einige der Opfer. V.l.: Volker Landig, Trepp, Hartmut Peters und Elke Vredenborg (stellvertr. Bürgermeisterin von Jever)

Auf dem Mahnmal für die ermordeten Juden Jevers verzeichnete Namen

Die Aufstellung folgt dem Aufbau des Mahnmals, das aus drei Stapeln von Akten oder auch Lebensbüchern besteht. Im ersten Stapel unten wurde sozusagen als erste Akte die von Josef Haas „abgelegt“.

Überwiegend sind nur die Deportationsdaten – und ziele bekannt. Wenn Todesdaten (vor allem aus Theresienstadt) überliefert sind, sind diese hier nicht angeben.

Die Liste umfasst 64 Namen.

  • Josef Haas 1938 Sachsenhausen
  • Conrad de Taube 1940 Brandenburg
  • Alfred Biberfeld 1941 Riga
  • Else Feilmann 1941 Minsk
  • Karl Feilmann 1941 Minsk
  • Marie Feilmann geb. Gossels 1941 Minsk
  • Rosalie Grünberg 1941 Riga
  • Rudolf Gutentag 1941 unbekannter Ort
  • Siegmund Oss 1941 Riga
  • Julius Schwabe 1941 Hamburg
  • Anna Weinstein geb. Neufeld 1941 Lodz
  • Hugo Weinstein 1941 Riga
  • Rosa Weinstein geb. Netheim 1941 Riga
  • Martha Weinstein geb. Goldschmidt 1941 Riga
  • Frieda Cohn 1942 Theresienstadt
  • Nanny Feilmann geb. Pels 1942 Theresienstadt
  • Bertha Gröschler 1942 Lodz
  • Käthe Haas geb. Mannheim 1942 Minsk
  • Hermann Hartog 1942 Auschwitz
  • Henny Hartog geb. Scheuer 1942 Auschwitz
  • Sara Hoffmann geb. Cossen 1942 Maly Trostenez
  • Bernhard Josephs 1942 Theresienstadt
  • Caroline Josephs geb. Cleffmann 1942 Theresienstadt
  • Wilhelm Max Josephs 1942 Minsk
  • Ida Koppel geb. Josephs 1942 Lodz
  • Salli Katz 1942 Riga
  • Sophie Katz geb. Schwabe 1942 Riga
  • Nanni Levy geb. Emanuel 1942 Maly Trostenez
  • Frieda Saulmann geb. Cohn 1942 Theresienstadt
  • Alfred Schwabe 1942 Riga
  • Moses Schwabe 1942 Dortmund
  • Berlina de Taube 1942 Maly Trostenez
  • Bertha Wolf geb. Schwabe 1942 Izbica
  • Frieda Cohn geb. Feilmann 1943 Auschwitz
  • Netty Cohn 1943 Theresienstadt
  • Else Hartogsohn geb. Cohn 1943 Sobibor
  • Esther Hirsch geb. Hartogsohn 1943 Auschwitz
  • Fritz Hoffmann 1943 Auschwitz
  • Moritz Hoffmann 1943 Auschwitz
  • Johanne Hoffmann geb. Levy 1943 Auschwitz
  • Adolf Josephs 1943 Sobibor
  • Paula Josephs geb. Katz 1943 Sobibor
  • Helmuth Josephs 1943 Auschwitz
  • Martha Josephs 1943 Sobibor
  • Bertha de Levie 1943 Sobibor
  • Karl de Levie 1943 Sobibor
  • Johanna de Levie geb. Wolf 1943 Sobibor
  • Max Solmitz 1943 Theresienstadt
  • Hugo de Vries 1943 Auschwitz
  • Adolf Weinberg 1943 Auschwitz
  • Rosi Weinberg geb. Wolff 1943 Auschwitz
  • Wolf Weinberg 1943 Auschwitz
  • Gertrud Biberfeld geb. Weiß 1944 Stutthof
  • Emma Cohn 1944 Theresienstadt
  • Hermann Gröschler 1944 Bergen-Belsen
  • Julius Gröschler 1944 Auschwitz
  • Hedwig Gröschler geb. Steinfeld 1944 Auschwitz
  • Salomon Haas 1944 Auschwitz
  • Emma Josephs 1944 Auschwitz
  • Henny Schwabe geb. Josephs 1944 Auschwitz
  • Paula Solmitz geb. Baum 1944 Auschwitz
  • Ludwig Feilmann 1945 Hamburg
  • Helene Klüsener geb. Schwabe 1945 Jever
  • Hans Mendelsohn 1945 Neustadt

Die Recherchen zum Mahnmal wurden 1996 abgeschlossen. In der Zeit seitdem sind drei weitere Opfer aus Jever bekannt geworden:

  • Caroline Schwabe geb. Hecht 1940 Berlin
  • Ulrich Mamlock 1942 Buchenwald
  • Joseph de Levie 1943 Sobibor

Für sie steht die unbeschriftete Akte oben auf dem dritten Stapel.

Ein Totenbuch mit biographischen Hinweisen zu den Opfern ist geplant.

Quelle: Archiv H. Peters Wilhelmshaven, 2015

 

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