Vor 200 Jahren erschien die erste Ausgabe der in Varel herausgegebenen Zeitung „Der Gemeinnützige“. In dieser Tradition steht die in Varel residierende Lokalredaktion der „Nordwest-Zeitung“. Zur langen Historie der Zeitung zählen auch verschiedene „Beiblätter“. So erschien seit 1840 ein Beiblatt, das zuletzt von 1850 bis 1859 den Namen „Vareler Unterhaltungsblatt“ trug und dann wieder im „Gemeinnützigen“ aufging. Unter den „Schriftleitern“ dieses „Unterhaltungsblattes“- heute würde man „Chefredakteur“ sagen – findet sich eine bemerkenswerte jüdische Persönlichkeit, die in Varel so gut wie unbekannt und vergessen ist: Dr. Joseph Moses de Piza.
Ein „sephardischer“ Jude aus Altona
Piza entstammte aus einer jüdischen Familie in Hamburg, deren Vorfahren aus Portugal vertrieben wurden und die daher zum sogenannten „sephardischen“ Judentum in Deutschland zählte. Er wurde am 28. Februar 1824 im damals eigenständigen Altona als Sohn des jüdischen Synagogen-Vorbeters und Kantors Moses Piza und dessen Ehefrau Hannah geboren. Sein Schulbesuch führte ihn zunächst auf Gymnasien in Altona, Hamburg und Braunschweig, anschließend widmete er sich dem Studium der Philosophie an den Universitäten Göttingen und Heidelberg.
Redakteur des „Vareler Unterhaltungsblattes“ 1850-52
Spätestens Ende 1849 muss Joseph Moses de Piza, er war nun 25 Jahre alt, die Suche nach einem Broterwerb nach Varel geführt haben: Er wird erstmals am 5. Januar 1850 als „Redacteur“ des „Vareler Unterhaltungsblattes“ aufgeführt. In der Eigenwerbung des Blattes hieß es damals u.a.: „Das Vareler Unterhaltungsblatt erscheint jeden Sonnabend und bespricht in freisinniger Weise Gegenstände der Politik und des Gemeindelebens.“ Im April/Mai 1850 veröffentlichte er im Blatt u.a. eine mehrteilige Artikelserie „Die Deutsche Demokratie“, in der er aus der Sicht eines freisinnigen Liberalen Betrachtungen über die nachrevolutionäre Situation in Deutschland anstellte. Seine journalistische Tätigkeit in Varel beendete er im Herbst 1852: „Erklärung. Ich lege am heutigen Tage die Redaction des Vareler Unterhaltungsblattes nieder. Varel, den 25. September 1852. J. Piza.“ Welche Gründe für diesen Schritt maßgeblich waren, ist unbekannt.
Mitbegründer des „Vareler Arbeitervereines“ 1850
Joseph Moses de Piza betätigte sich in Varel nicht nur als Journalist, sondern war auch politisch tätig. Er zählte 1850 zu den Begründern des „Vareler Arbeitervereins“, der als früher erster Vorläufer der späteren organisierten Arbeiterbewegung in Varel anzusehen ist. Auch über den Ort Varel hinaus trat er in dieser vom liberalen Bürgertum beeinflussten „Arbeiterbewegung“ in Erscheinung: Als Vertreter des Vareler Vereines wurde er zum Präsident des 2. Kongresses der Regionalorganisation der „Norddeutschen Arbeitervereinigung“, der am 28./29. Mai 1850 in Bremen stattfand, gewählt.
„von der Sekte der deutschen Juden gänzlich getrennt“
Nach der Revolution von 1848/49 war bei den Juden ein ausgeprägteres Selbstbewusstsein festzustellen. So erklärte Piza am 25. Juli 1851 dem gräflichen Amt in Varel, daß er seiner Veranlagung zur Rabbinatssteuer nicht nachkommen werde. Als holsteinischer Untertan sei er Mitglied der portugiesisch-jüdischen Gemeinde in seiner Vaterstadt Altona und könnte darum nicht zu Lasten einer anderen Gemeinde – ’sofern solche Lasten persönlich sind‘ – herangezogen werden. Auch sei er ein portugiesischer Jude und von daher Mitglied einer Sekte, die in Kultus und Verwaltung selbstständig und von der Sekte der deutschen Juden gänzlich getrennt sei.
Die Vareler Katholiken fanden 1851 Zuflucht beim Juden Piza
Ein bemerkenswerter Fall von brüderlicher Solidarität zwischen religiösen Minderheiten, an dem Piza maßgeblich Anteil hatte, ist aus dem Jahr 1851 zu vermelden. Seit der Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts bildeten im protestantisch geprägten Varel die Katholiken eine kleine Minderheit. Ihnen blieb jahrhundertelang die Ausübung ihrer Gottesdienstes verwehrt.
Erst 1851 schickte der katholische Bischof in Vechta den Geistlichen Johann Gottfried Schrandt als Missionar, wie es damals hieß, nach Varel. Für Schrandt stand damals aber weder Wohnung noch Gotteshaus zur Verfügung. So kam er zunächst bei Joseph Moses de Piza unter, der ihm in seinem Haus in der Osterstr. eine Wohnung und auch einen „Betraum“ zur Verfügung stellte. In dieser behelfsmäßigen Herberge – bei einem Juden – konnte am 1. November 1851 zum ersten Mal nach der Reformation wieder eine Heilige Messe in Varel gefeiert werden, an der sieben Gläubige teilnahmen. Katholiken in Varel, die eine Messe feiern, waren damals für die Bevölkerung in Varel so exotisch, dass laut Überlieferung sehr viele Neugierige das Haus von Piza in der Osterstr. umlagerten.
Der älteste Sohn Moritz wurde 1852 in Varel geboren
Piza war verheiratet mit der in Goslar geborenen Rosa (Röschen) Hirsch. Mit ihr hatte er zwei Söhne. Der älteste Sohn Moritz wurde am 13. März 1852 noch während seines Aufenthaltes in Varel geboren. Moritz Piza ergriff den Beruf des Mediziners und lebte später in Hamburg, wo er u.a. als Theaterarzt für das Hamburger Stadttheater und als Funktionär in ärztlichen Standesorganisation bekannt wurde. Moritz Piza starb 1902 in Hamburg.
Der weitere Lebensweg: Oldenburg und Hamburg
Nach seinem Aufenthalt in Varel war Piza für gewisse Zeit noch als Sprachlehrer in der damaligen großherzoglichen Residenz- und Landeshautstadt Oldenburg tätig. 1854 wechselte er als Sprachlehrer an die jüdische Stiftungsschule in Hamburg. Seit 1855 übte er in der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde der Hansestadt das Amt eines Kantors aus, 1859 folgte die Ernennung zum Oberkantor. Im gleichen Jahr, am 29. September 1859, promovierte Piza zum Dr. phil. an der Universität Giessen.
Piza betätigte sich in Hamburg erneut journalistisch: 1862 übernahm er die Redaktion des „Norddeutschen Volksblattes“, von 1864 bis 1871 war er Redakteur bei der Hamburger Lokalzeitung „Freischütz“ und 1872 wurde er Schriftleiter des Altonaer Volksblattes „Reform“. In den 1860er Jahren konnte Piza als Abgeordneter in die Hamburger Bürgerschaft einziehen.
Dr. Joseph Moses de Piza verstarb am 26. September 1879, im Alter von nur 55 Jahren, in seiner Wohnung in Hamburg-Rothenbaum, Grindelallee 38. Anläßlich seines Todes 1879 erschien eine Bronzemedaille, die von einer Freimaurer-Loge in Hamburg herausgegeben wurde, Sie trägt sein Porträt.
Auf Einzelnachweise im Text wurde verzichtet, Quellenhinweise beim Verfasser.
Holger Frerichs (Schlossmuseum Jever),
Forschungsstand: 26.02.2018.