Sowjetische Kriegsgefangene im Lager „Schwarzer Weg“ und ihre Grabstätten

von Holger Frerichs

 

  1. Die vergessenen Opfer des NS-Vernichtungskriegs

Der russische Wissenschaftler Pavel Polian hat die sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges als Opfer zweier Diktaturen bezeichnet: In erster Linie waren sie Opfer des nationalsozialistischen Deutschland, das die Angehörigen der Roten Armee als „slawische Untermenschen“ und Repräsentanten des „jüdischen Bolschewismus“ einer mörderischen Behandlung unterzog. Von den insgesamt 5,3 bis 5,7 Millionen Soldaten der Roten Armee im Gewahrsam der Wehrmacht kamen mindestens 2,6 Millionen ums Leben. Die meisten starben 1941/42 an Hunger, Kälte, Erschöpfung und Mangelkrankheiten, vielfach wurden sie aber auch Opfer der von der Wehrmachtsführung erlassenen brutalen Behandlungsvorschriften, ausgeführt durch deutsche Wachmannschaften. Mehrere zehntausend Gefangene, deren Anwesenheit im deutschen Reich als „untragbar“ galt, vor allem „politische Kommissare“, „Juden“ oder „kommunistische Hetzer“, wurden in den Lagern „ausgesondert“ und von der Wehrmacht völkerrechtswidrig der Geheimen Staatspolizei ausgeliefert. Diese verbrachte die Kriegsgefangenen in verschiedene Konzentrationslager, wo sie die Lager-SS systematisch durch Genickschuss ermordete. Viele weitere Gefangene wurden nach Fluchtversuchen oder grundsätzlich verbotenen Kontakten zu Deutschen als Zwangsarbeiter ins KZ eingewiesen oder ebenfalls exekutiert. Erst als die Gefangenen 1942 aufgrund der Kriegslage zu unverzichtbaren Arbeitskräften in der deutschen Kriegswirtschaft geworden waren, änderte sich ihre bis dahin mörderische Behandlung etwas.

Nach dem Ende des Krieges und der Rückkehr in die Sowjetunion sahen sich die überlebenden Rotarmisten dem stalinistischen Repressionsapparat ausgesetzt. Schon während des Krieges von Stalin als „Verräter“ tituliert, wurden die ehemaligen Kriegsgefangenen seitens des sowjetischen Geheimdienstes als potentielle „Kollaborateure“ eingestuft. Die Befreiung 1944/45 bedeutete für viele von ihnen lediglich den Übergang von einer Gefangenschaft in die nächste.

Lange Zeit zeugten bei uns allein noch die Friedhöfe und Grabstätten von den Verbrechen der Wehrmacht an den Sowjetsoldaten. Auch in Niedersachsen gibt es eine große Zahl entsprechender Grabstätten, auf denen insgesamt mehr als 100.000 Tote ruhen. Die größten Anlagen befinden sich in der Nähe der früheren großen „Russenlager“: In Bergen-Belsen sind knapp 20.000 sowjetische Soldaten gestorben und in Massengräbern bestattet worden. Nicht weit entfernt liegen die Friedhöfe der Lager Fallingbostel-Oerbke und Wietzendorf mit jeweils 16.000 Toten. In Sandbostel und an mehreren Orten im Emsland existieren weitere große Lagerfriedhöfe. Die Toten aus den vielen über das ganze Land verstreuten Arbeitskommandos wurden zumeist auf den Gemeindefriedhöfen bestattet.

  1. Das Kriegsgefangenenlager „Schwarzer Weg“

Auch in die Stadt Wilhelmshaven führen die Spuren dieses nach dem Holocaust zweitgrößten NS-Verbrechens. Am 2. August 1941 hatte das Oberkommando der Wehrmacht den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener an zivilen Einsatzstellen unter zunächst noch sehr eng gefassten Voraussetzungen freigegeben. Das im Wehrkreis X als „Russenlager“ eingerichtete Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (kurz: Stalag) 310 X D in Wietzendorf in der Lüneburger Heide verschickte bereits zwei Tage später sowjetische Kriegsgefangene in das Arbeitskommando Nr. 6 X D nach Wilhelmshaven.

Zu erkennen waren die Kriegsgefangenen in der Folgezeit an ihren Zwangsarbeitsstätten und bei ihren Fußmärschen durch die Stadt vor allem an den mit Ölfarbe auf die Kleidung angebrachten großen Buchstaben „SU“ (für Sowjetunion). In den ersten Wochen kamen nach Wilhelmshaven ausschließlich Gefangene aus Wietzendorf. Ab Oktober/November 1941 trafen z.B. auch viele Gefangene aus dem Stalag X B in Sandbostel (bei Bremervörde) in Wilhelmshaven ein. Ab Dezember 1941 ging die verwaltungstechnische Zuständigkeit für das Arbeitskommando Nr. 6 in Wilhelmshaven auf das Stalag X C in Nienburg über, das Wilhelmshavener Kommando führte nachfolgend die Nummer 413 X C.

Das Arbeitskommando Nr. 6 X D bzw. 413 X C war während des gesamten Zeitraums seines Bestehens im „Lager Schwarzer Weg“ (Verlängerung des Mühlenwegs nach Osten) untergebracht. Zwischen September und Anfang Dezember 1941 bestand ein „Nebenlager“ im Ortsteil Rüstersiel in der Flutstraße.

Nach Darstellung des Stadtarchivs Wilhelmshaven (Ulrich Räcker-Wellnitz) war das Lager „Schwarzer Weg“ zunächst von der Kriegsmarine als Gemeinschaftslager für Zivilarbeiter genutzt worden. Es lag verkehrsgünstig am Haltepunkt Mühlenweg der Marinebahn. Auf Luftaufnahmen der Alliierten sind mindestens vier große Gebäude auszumachen. Über die genauen Einsatzorte der sowjetischen Gefangenen sind nur wenige Hinweise oder Dokumente überliefert. Sie belegen, dass es sich um körperlich besonders schwere und gefährliche Tätigkeiten bei städtischen Luftschutzbauten, dem Hafenausbau und sonstigen Infrastruktur-Projekten (Wohnungs- und Straßenbau) gehandelt hat.

Abb. 1: Alliiertes Luftbild Kriegsgefangenenlager "Schwarzer Weg" (Stadtarchiv Wilhelmshaven)
Abb. 1: Alliiertes Luftbild Kriegsgefangenenlager „Schwarzer Weg“ (Stadtarchiv Wilhelmshaven)

Die höchste bekannte Belegungszahl des sowjetischen Arbeitskommandos Nr. 6 X D bzw. 413 X C betrug 699 Gefangene, die Angabe stammt vom Januar 1942. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch nachweislich bereits 140 Gefangene verstorben, das Kommando seit Anfang Dezember 1941 wegen „Fleckfieber-Quarantäne“ für Neuzugänge gesperrt und zusätzlich eine unbekannte Anzahl erkrankter bzw. als arbeitsunfähig angesehener Rotarmisten ins Stalag Wietzendorf zurückverlegt worden. Mit großer Wahrscheinlichkeit betrug die ursprüngliche Kommandostärke daher mindestens 850, evtl. bis 1000 Gefangene. Es war damit auch eines der größten sowjetischen Arbeitskommandos des Stalags X D Wietzendorf im Wehrkreis X. Der Stand vom 10. April 1942 betrug 235 sowjetische Kriegsgefangene, dieser erhebliche Rückgang seit Januar 1941 erklärt sich – neben den Abgängen durch weitere Todesfälle und Rückverlegungen ins Stalag – vor allem durch die nach Aufhebung der „Fleckfieber-Sperre“ ab Februar 1942 erfolgten Personalabgaben an andere Kommandos. Am 13. Mai 1942 zählte man 123 sowjetische Kriegsgefangene, der Stand am 10. August 1942 betrug 103 sowjetische Kriegsgefangene. Weitere Stärkeangaben des Kommandos bis zu seiner Auflösung am 25. Oktober 1944 liegen nicht vor.

Zuständig vor Ort für die Bewachung der Kriegsgefangenen waren Landesschützenverbände der Wehrmacht (Heer). Bei den Landesschützen handelte es sich um „frontuntaugliche“, zumeist ältere Wehrmachtsangehörige. Für die Bewachung der sowjetischen Kriegsgefangenen in Wilhelmshaven (sowie im Landkreis Friesland) war die 6. Kompanie des Landesschützen-Bataillons 679 zuständig. Der Bataillons-Stab hatte Quartier in Bad Zwischenahn genommen, Sitz des Kompaniestabes war die Stadt Varel im Landkreis Friesland.

Das Kriegsgefangenenlager „Schwarzer Weg“ bestand bis 25. Oktober 1944. Ab Anfang 1945 diente das Lager der Internierung von Niederländern, die in Holland für einen von der Marinewerft angeforderten Arbeitseinsatz in Wilhelmshaven von der Gestapo verhaftet worden waren. In mehreren Transporten wurden annähernd 1.000 Gestapo-Häftlinge nach Wilhelmshaven geschafft, die erst nach der Besetzung Wilhelmshavens am 6. Mai 1945 durch polnische Truppen befreit wurden. Zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen im Lager „Schwarzer Weg“ finden sich auch im Zusammenhang mit dem heutigen Lager-Gedenkpunkt leider keinerlei weiterführende Hinweise. Die Erinnerungstafel weist lediglich daraufhin, dass das Schicksal der Kriegsgefangenen aus der ehemaligen UdSSR, die von 1941 bis 1944 in diesem Lager eingesperrt waren, bisher kaum erforscht sei. Der Text erwähnt ausführlicher nur die Nutzung als Gestapo-Lager für die niederländischen Polizeihäftlinge.

  1. Die 153 Opfer, das Massensterben 1941 und die „Fleckfieber-Legende“ 1942

Aus den Gräberlisten sowie personenbezogenen Dokumenten der verstorbenen Gefangenen können für den Zeitraum zwischen August 1941 und Herbst 1944 im Kommando Nr. 6 X D / 413 X C mindestens 153 Todesfälle nachgewiesen werden. Von ihnen starben bereits zwischen August und Dezember 1941 nicht weniger als 129 (84,3% aller Todesfälle). Das würde in diesem Zeitraum eine Sterberate von etwa 15-20% unter den Gefangenen bedeuten., wobei als Todesursache zumeist Unterernährung und körperliche Entkräftung in die Personaldokumente eingetragen wurde. In einigen Fällen findet sich auch die Eintragung „erschossen“. Die Brutalität einzelner Angehöriger der genannten Landesschützen-Kompanie ist durch die Forschungen zum Lager Bockhorn belegt, wo knapp ein Dutzend Gefangene gewaltsam zu Tode kamen. Der ehemalige Landesschütze Dietrich Hibbeler (Neuenburg) berichtete nach dem Krieg auch von mindestens einer willkürlichen Erschießung im Arbeitskommando „Schwarzer Weg“, deren Augenzeuge er war.

Es muss also, wie auch für andere Orte mit sowjetischen Kriegsgefangenen nachgewiesen, von besonders menschenunwürdigen Zuständen in den ersten Monaten nach Aufstellung des Kommandos 1941 ausgegangen werden. Das Massensterben dürfte auch in der Bevölkerung – nicht zuletzt aufgrund der wiederholten Leichentransporte zu den beiden für Sowjetgefangene genutzten Friedhöfen (Aldenburg und Ehrenfriedhof) – nicht unbemerkt geblieben sein. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass eine unbekannte Anzahl der sowjetischen Gefangenen aus dem Lager „Schwarzer Weg“ wegen Erkrankung bzw. „Arbeitsunfähigkeit“ in die zu dieser Zeit als „Sterbelager“ zu bezeichnenden Stammlager Sandbostel und Wietzendorf zurückgeschickt wurde und dort kurz nach Ankunft verstarb.

Von Anfang Dezember 1941 bis Anfang Februar 1942 war das Lager „Schwarzer Weg“ wegen „Fleckfieber“ gesperrt. Nach dem Kriege wurde darauf verwiesen, viele der Kriegsgefangenen seien dieser im Winter 1941/42 grassierenden Fleckfieber-Seuche erlegen, die sie, so manche Zeitgenossen, gewissermaßen selbst mit eingeschleppt hätten. Dagegen zeigen die für Wilhelmshaven überlieferten Archivalien der Medizinalverwaltung: Das Fleckfieber war nur bei einem Bruchteil der Opfer vom Winter 1941/42 die Todesursache. Die meisten der Gefangenen sind an Erschöpfung und Unterernährung zugrunde gegangen.

  1. Aussonderungen“ an die Gestapo – Mord im KZ Neuengamme

Auch für die bereits erwähnten Aussonderungen sowjetischer Kriegsgefangener, die aus rassistischen oder ideologischen Gründen von der Wehrmacht aus der Kriegsgefangenschaft „entlassen“ und an die Geheime Staatspolizei übergeben wurden, gibt es für Wilhelmshaven entsprechende Belege. So fanden sich in Unterlagen der Gedenkstätte des KZ Hamburg-Neuengamme die Namen von 10 Gefangenen, die 1941 aus den Arbeitskommandos „Schwarzer Weg“ in Wilhelmshaven sowie aus Arbeitskommandos in Sande-Sander Mühle, Bockhorn und Langeoog stammten und an die Staatspolizeileitstelle Wilhelmshaven „übergeben“ wurden. Sie wurden im Oktober und Dezember 1941 im KZ Neuengamme ermordet. Zwei weitere Fälle aus den Jahren 1943 und 1944, sie betrafen „kommunistische Hetze“ bzw. „verbotenen Kontakt“ zu Deutschen, sind ebenfalls dokumentiert. Von weiteren auf diesem Wege Ermordeten muss ausgegangen werden.

Abb. 2: Stempel und Unterschrift des Leiters der Staatspolizeileitstelle Wilhelmshaven, Dr. Wilhelm Scharpwinkel, auf der Personalkarte des sowjetischen Gefangenen Aleksej Lipko, Arbeitskommando Nr. 6 XD in Wilhelmshaven. Lipko wurde kurz darauf im KZ Neuengamme ermordet (www.obd-memorial.ru, Repro: Holger Frerichs)
Abb. 2: Stempel und Unterschrift des Leiters der Staatspolizeileitstelle Wilhelmshaven, Dr. Wilhelm Scharpwinkel, auf der Personalkarte des sowjetischen Gefangenen Aleksej Lipko, Arbeitskommando Nr. 6 X D in Wilhelmshaven. Lipko wurde kurz darauf im KZ Neuengamme ermordet (www.obd-memorial.ru, Repro: Holger Frerichs)

 

  1. Die Grabstätten sowjetischer Kriegsgefangener in Wilhelmshaven

Die mindestens 153 Opfer des Kriegsgefangenenlagers „Schwarzer Weg“ mussten unter Aufsicht der deutschen Wachmannschaften durch ihre Kameraden zu zwei Wilhelmshavener Friedhöfen gebracht und dort entsprechend der damaligen amtlichen Vorschriften ohne besondere Zeremonie bestattet werden. Bis 10. Dezember 1941 fanden Bestattungen sowjetischer Gefangener auf dem Ehrenfriedhof statt, ab dem 5. Dezember 1941 auch auf dem Friedhof Aldenburg. Insgesamt mindestens 70 Verstorbene aus dem Kommando Nr. 6 X D / 413 X C wurden auf dem Marine-Garnisonfriedhofs (heute Ehrenfriedhof), die übrigen mindestens 83 Toten des Kommandos auf dem Friedhof Aldenburg bestattet.

In der Wehrmachtsverwaltung wurden die Todesfälle genau registriert, eine entsprechende Meldung an die zivilen Standesämter oder die Friedhofsverwaltungen fand jedoch nicht durchgängig bzw. oftmals nur mit ungenauen Angaben statt, was nach dem Kriege und teils bis in die heutige Zeit zu entsprechenden Problemen bei der Opferidentifizierung führte.

Die beiden Wilhelmshavener Friedhöfe wurden nicht nur für die Opfer aus dem „Schwarzen Weg“, sondern auch für die Bestattung von Toten aus anderen Arbeitskommandos mit Sowjetgefangenen im Raum Wilhelmshaven/Friesland genutzt. So finden sich auf dem Ehrenfriedhof weiterhin Opfer aus dem Arbeitskommando Nr. 20 X D / 1155 X C in Sande-Sandermühle (Kommando eingerichtet am 11. August 1941) und  aus dem Arbeitskommando Nr. 5 X D / 1154 X C Bockhorn (eingerichtet am 4. August 1941). Insgesamt ergibt sich eine Zahl von 100 Grablagen von sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Ehrenfriedhof. Die Todesdaten beginnen mit dem 19. August 1941. Ein Toter auf dem Ehrenfriedhof konnte bisher trotz aller Bemühungen nicht identifiziert werden. Im Juni 2008 wurde am Eingang des Ehrenfriedhofs eine Geschichts- und Erinnerungstafel aufgestellt, die die Geschichte der Anlage erklärt. Die Tafel wurde im Rahmen eines Schüler-Projektes in Kooperation mit dem „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ gestaltet. Auf dieser Geschichts- und Erinnerungstafel wird auch auf die Gedenkplatte für „100 in Gefangenschaft gestorbene russische Soldaten des Zweiten Weltkrieges“ hingewiesen. Bei dem Mahnmal handelt es sich um eine ebenerdige Steinplatte im hinteren Teil der Anlage. Die Inschrift lautet: „Hundert russische Soldaten starben als Opfer des Krieges 1941 in der Gefangenschaft. Ihre Namen sind bekannt. Fern ihrer Heimat wurden sie hier zur letzten Ruhe gebettet.“ In jüngster Zeit wurde dort noch ein einzelner Grabstein von Angehörigen eines Opfers aufgestellt, ebenso eine weitere Informationstafel am Rande des Feld C.

Auf dem Friedhof Aldenburg sind insgesamt 99 Grablagen von sowjetischen Kriegsgefangenen zu finden: Neben 83 Toten vom „Schwarzen Weg“ liegen hier noch Opfer aus dem Kommando in Sande-Sander Mühle, aus dem Kriegsmarine-Arbeitskommando in Breddewarden (eingerichtet Dezember 1943) sowie aus dem im Frühjahr 1942 eingerichteten Arbeitskommando Nr. 5888 X C in Mariensiel. Die Identität eines in Aldenburg bestatteten sowjetischen Gefangenen ist noch unbekannt. Eine Geschichts- und Erinnerungstafel, wie sie für den Ehrenfriedhof erarbeitet wurde, existiert in Aldenburg nicht. Die Namen der sowjetischen Kriegsgefangenen – allerdings in der oftmals falschen Schreibweise der städtischen Gräberliste – tauchen in alphabetischer Reihenfolge gemeinsam mit den Namen der zivilen Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion auf sechs ebenerdigen Namenstafeln auf. Im Umfeld dieser bereits erheblich verwitterten Namenstafeln sind drei Grabkreuze mit der Inschrift „1939 bis 1945“ aufgestellt.

Die städtische Gräberliste mit den sowjetischen Gefangenen auf beiden Friedhöfen wurde vom Verfasser im Rahmen der Nachforschungen korrigiert und ergänzt.

 

Wiktor Ilja Tschurbanow, Russe,
geboren am 24. Oktober 1916,
Beruf: Schlosser,
Gefangennahme: 2. Oktober 1941,
Registriert im Stalag Sandbostel,
Erkennungsmarke 120805 XB.

Ab 30. März 1942 im Arbeitskommando Nr. 413 X C Wilhelmshaven (Lager „Schwarzer Weg“),

 

 

 

am 5. April 1942 in Wilhelmshaven verstorben. Todesursache: Erschöpfung.

Grablage: Friedhof Aldenburg 19A-80.

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Abb. 3 und 4: Von allen Opfern liegen sogenannte Personalkarten und andere Wehrmachtsdokumente vor. Hier Ausschnitte aus der Personalkarte von Wiktor Tschurbanow, er war einer von 164 Toten aus dem Arbeitskommando „Schwarzer Weg“ und ist bestattet auf dem Friedhof Aldenburg (www.obd-memorial.ru, Repros: Holger Frerichs)
  1. Weitere sowjetische Arbeitskommandos in Wilhelmshaven: Wiesenhof und Breddewarden

Neben dem Lager „Schwarzer Weg“ bestand während des Krieges in Wilhelmshaven ein weiteres Arbeitskommando sowjetischer Kriegsgefangener im Lager „Wiesenhof“ (ab Frühjahr 1942).

Ab 1943 erfolgte die Versetzung von sowjetischen Gefangenen aus den Heeres-Stammlagern an die Kriegsmarine für den Arbeitseinsatz bei der Marineflak an der Küste und auf den Inseln, bei Marine-Kraftfahrtabteilungen und auch bei Marine-Baubereitschaftsabteilungen. Die Kriegsmarine organisierte den Einsatz der Gefangenen nunmehr in eigener Regie und Verantwortung, nachdem bis dahin das Heer die Arbeitskommandos an Marinestandorten und – Baustellen betreut hatte. Das etwa ab Ende 1943 mit sowjetischen Gefangenen belegte Lager Breddewarden (seinerzeit Kreis Friesland, heute Stadt Wilhelmshaven) hatte 1943/44 offenbar eine zentrale Verteilerfunktion für den Arbeitseinsatz im Baubereich der Marine. Von hier wurden sowjetische Gefangene in Wilhelmshaven und Umgebung eingesetzt, aber auch an andere Standorte weiterversetzt. Im Umfeld des Lagers Breddewarden wurden im Januar 1944 einige Gefangene bei einem Fluchtversuch erschossen. Die Unterbringung der Gefangenen bei der Marineflak in Wilhelmshaven (und Friesland) fand nach den vorliegenden Hinweisen direkt bei den einzelnen Batterien statt.

  1. Forschungsprojekt und geplante Veröffentlichung

Der Autor hatte bereits in Kooperation mit der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle (Dr. Rolf Keller) eine ausführliche Dokumentation zum Arbeitskommando sowjetischer Kriegsgefangener in Bockhorn-Kreyenbrok (Landkreis Friesland) veröffentlicht. Die Recherchen des Verfassers zum Arbeitskommando „Schwarzer Weg“ sowie weiteren sowjetischen Arbeitskommandos in Wilhelmshaven und im Landkreis Friesland standen im Zusammenhang mit einem vom Land Niedersachsen seit 2010  geförderten Forschungsprojekt der Stiftung, das sich näher mit dem Arbeitseinsatz und der Lebenssituation sowjetischer Kriegsgefangener in den Städten und Dörfern Niedersachsens befasste. Der Forschungsbericht „Sowjetische Kriegsgefangene in Wilhelmshaven und dem Landkreis Friesland : Arbeitskommandos, Lager und Grabstätten 1941-1945“ liegt vor bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle. Eine erweiterete und bearbeitete Fassung des Berichtes erschien 2017 als Buch:

Zwangsarbeit — Hunger — Tod. Arbeitskommandos, Lager und Grabstätten sowjetischer Kriegsgefangener in Wilhelmshaven und Friesland 1941-45. Band 4 der Wilhelmshavener Beiträge zur Stadt– und Kulturgeschichte, herausgegeben von der Stadt Wilhelmshaven (Stadtarchiv, Kulturbüro). Brune-Mettcker Druck- und Verlagsgesellschaft mbh, Wilhelmshaven, 1. Auflage 2017, Format DIN B 5, 278 Seiten, mit über 200 Abbildungen, Preis 19,50 Euro, ISBN 978-3-941 929-20-3.

Die Gedenktafel am ehemaligen Lager Schwarzer Weg erwähnt die sowjetischen Kriegsgefangenen. Eine ausführliche Würdigung wäre angebracht. (Foto Uwe Karwath, 2008)
Die Gedenktafel am ehemaligen Lager Schwarzer Weg erwähnt die sowjetischen Kriegsgefangenen. Eine ausführliche Würdigung wäre angebracht. (Foto Uwe Karwath, 2008)

Der Artikel basiert auf einem Forschungsüberblick, der unter dem Titel „Vergessene Opfer des Vernichtungskriegs: Kriegsgefangene im Lager Schwarzer Weg“ zunächst in „Heimat am Meer“, Wilhelmshavener Zeitung v. 17.12.2011, und ab 2015 auf dieser Webseite veröffentlicht wurde. Diese Neufassung enthält einige Korrekturen und Ergänzungen.

Copyright: Holger Frerichs, Hoher Weg 1, Varel

Forschungsstand: 18.5.2019